„Wandern ins Weite“

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Seit 2 ½ Monaten hängt eine blaue Stahlplatte am Lern- und Medienhaus. Vielleicht ist es einigen von Euch ähnlich gegangen wie mir, dass Ihr Euch gefragt habt: „Was soll das?“ Irgendetwas muss sie mit dem Campuspfad zu tun haben, denn pünktlich zu seiner Einweihung wurde sie angeschraubt. Aber was? Eine Art Handtuchhalter für die Leinwand mit den Sponsoren? Aber die war ja nur ganz kurz dort abgelegt. Und das wäre auch eine eher merkwürdige Konstruktion gewesen. Oder Kunst am Bau? Aber ein schlichtes blaues Rechteck wäre doch reichlich abstrakt – um nicht zu sagen langweilig?

Jetzt endlich ist klar: Die Platte ist tatsächlich Kunst am Bau. Aber erst in der Form, die Antonio Zecca ihr am vergangenen Samstag gegeben hat. Da hat er mit einer Flex einen Wanderer in die blaue Fläche gefräst. Und ja, es besteht ein Zusammenhang zum Campuspfad. Nicht nur, weil das Blau zu den Stelen passt. Eigentlich hätte Herr Zecca das Bild bei der Einweihung im November auf die Platte fräsen wollen, aber da war er krank. Jetzt diente der Tag der offenen Tür als Ersatztermin. Und auch das ist ein passender Kontext – wie zu zeigen sein wird.

Der Wanderer steht symbolisch für den Campuspfad. Auch auf der Einladungskarte für die Einweihung war einer abgebildet. Dieses Symbol funktioniert gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen kann die Schulbiografie als eine Wanderung oder eine Etappe einer Wanderung betrachtet werden. Ihr kommt irgendwann – meist zu Beginn der 5ten oder der Eingangsklasse – hier an, geht ein Stück Eures Weges an dieser Schule und zieht dann – meist mit einem Abschluss in der Tasche – weiter ins Leben. Und ähnliches gilt auch für uns, die wir an dieser Schule angestellt sind. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ heißt es in Ps 31. Das ist für uns auch ein Unterrichtsziel: Euch auf Eurem Weg in die Weite der Zukunft zu begleiten. Euch darin zu unterstützen, geistige Weite zu entwickeln.

Eine Wanderung entlang dem Campuspfad macht zugleich deutlich, dass die Schule selbst unterwegs ist. In 120 Jahren Schulgeschichte hat sich Vieles verändert. Gut so. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ heißt es im Hebräerbrief. Das bedeutet zugleich: Die Entwicklung, die Wanderschaft unserer Schule ist nicht abgeschlossen, sondern geht weiter. Das ist manchmal anstrengend. So wie jede Wanderung, die diesen Namen verdient. Und manchmal wünschen wir uns die Möglichkeit zu verweilen. Das ist ein legitimes Bedürfnis. Ruhepole sind im Leben wichtig. Die Schule darf und soll auch ein Stück Heimat sein. Aber das Bedürfnis nach Ruhepolen darf nicht dazu führen, stecken zu bleiben und notwendige Entwicklungen zu versäumen.

Aufgrund der krankheitsbedingten Verschiebung hat Antonio Zecca den Wanderer nun im Rahmen des Tages der offenen Tür in die Tafel gefräst. Dieser neue Kontext verleiht der Symbolik eine neue Dimension. Am Tag der offenen Tür öffnet sich unsere Schule für Besucher. Wanderer von außen werden willkommen geheißen – manche von ihnen setzen im nächsten Schuljahr ihre Wanderung durch ihre Schulbiografie bei uns und mit uns fort. Offenheit und Gastfreundschaft prägen den Tag der offenen Tür. Im selben Kapitel des Hebräerbriefs, in dem das Unterwegssein thematisiert wird, steht auch: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Gastfreundschaft weitet den Horizont. Ebenso wie die Wanderungen ins Weite öffnet sie den Raum für neue Begegnungen.

Campuspfad und Tag der offenen Tür. Wege ins Weite, Gastfreundschaft und Offenheit für neue Begegnungen. All das verbindet sich im Bild des Wanderers. Insofern wäre dieser Wanderer auch ein gutes Vorbild für unsere Gesellschaft. Hier nehme ich aktuell eine Tendenz zur Enge und dazu, sich abzuschotten, wahr. Die furchtbaren Taten von Magdeburg und Aschaffenburg machen betroffen. Aber der Ruf danach, Fremde möglichst draußen zu halten, ist die falsche Antwort darauf. Die Mehrzahl der Vorschläge in diese Richtung, die derzeit diskutiert werden, hätte weder die noch die andere Tat verhindert. Die Betroffenheit der Menschen zu nutzen, um Migranten unter Generalverdacht zu stellen, finde ich beschämend. Das wird dem Leid und der Trauer der betroffenen Menschen nicht gerecht.

Die Tendenz, sich als Gesellschaft abzuschotten, verbindet sich mit dem in Teilen der Gesellschaft verbreiteten Wunsch, stehen zu bleiben oder – mehr noch – zu den Ruhepolen zurückzukehren, als vermeintlich alles noch gut und „normal“ war. Aber welche Vergangenheit auch immer uns als „normal“ präsentiert wird – die 80er-Jahre oder das bürgerliche 19. Jhdt. – sie war immer nur eine zeitlich begrenzte Realität. Dass wir uns entwickeln, gehört zum Menschsein dazu. Sonst lebten wir noch immer in der Steinzeit.

Nochmal: Es geht nicht darum, alles Alte zu verwerfen. Und es stimmt auch nicht, dass alles Neue automatisch gut ist. Für das Alte wie für das Neue gilt, was uns als Jahreslosung mit auf den Weg gegeben ist: „Prüft alles und behaltet das Gute.“ Das ist ein Wort, über das nachzudenken sich immer wieder lohnt. Und dasselbe gilt für die anderen Bibelworte dieser Andacht. „Gastfrei zu sein vergesst nicht“, „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“, „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Lasst uns gemeinsam weitergehen auf dem Weg in die Weite, die Gott für uns bereithält.

Arnold Glitsch-Hünnefeld