„Verbrannte Erde“
Schulgottesdienst zum Buß- und Bettag
„Verbrannte Erde“, Toni Lindner
Gestern waren es 1000 Tage, dass Russland gegen die Ukraine Krieg führt. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas und ihren Verbündeten dauert nun auch schon über ein Jahr. In beiden Fällen ist kein Ende in Sicht. Und im Schatten von diesen beiden toben noch viele andere Kriege auf der Welt. Fast täglich erreichen uns Bilder von verwüsteten Häusern und Städten und leidenden Menschen. Selbst wenn diese Kriege irgendwann beendet sein werden, wird es lange dauern, bis die Zerstörungen beseitigt, Häuser und Versorgung wieder aufgebaut sein werden. Und die Verwundungen der Menschen an Leib und Seele werden noch länger nachwirken.
Wenn ich die Bilder der Ruinen sehe, kommt mir die Formulierung „Verbrannte Erde“ in den Sinn. Damit ist gemeint, dass eine Gegend so gründlich zerstört wird, dass danach nichts mehr wächst.
„Verbrannte Erde“ nennt Toni Lindner eine seine Plastiken, die im Oktober im evangelischen Gemeindehaus ausgestellt waren. Eine Gestalt steht auf einer durchlöcherten Erhebung und blickt auf einen zerschossenen Untergrund hinab. Auch die Gestalt selbst wirkt trotz der glänzenden Bronze, aus der sie gegossen ist, versehrt und verwundet. Ihr Blick ist gebannt durch die Zerstörungen. Der Mensch ist nicht dazu in der Lage, den Blick zu heben und nach vorn zu schauen. Zu tief sitzen die Traumata. Verstärkt wird der düstere Eindruck dadurch, dass die Plattform mit der Figur auf ein verkohltes Stück Holz montiert ist, an dem Bronzetropfen wie geschmolzenes Gestein herabfließen.
Lindner fügt seiner Plastik den Begleitspruch zu: „Was vom Krieg zu halten ist, frage nicht die Generäle, sondern die Gefallenen.“ Meist sind es nicht die Kriegsherren, die die Kosten eines Krieges zu tragen haben, sondern die einfachen Menschen. Die Soldaten, die ihr Leben verlieren oder seelisch verwundet und körperlich versehrt werden. Darüber hinaus die Zivilbevölkerung. Frauen und Kinder, die ihr Heim, ihr Hab und Gut, ihre Angehörigen oder ihr Leben verlieren. Was sie vom Krieg halten, ist nicht schwer zu erraten. Krieg ist immer ein Verbrechen an der Menschheit.
Warum werden dann immer wieder Kriege geführt? Diese Frage richtet sich dann eben doch an die Herrschenden und ihre Generäle. In dem Stück von Suzanne Vega stellt der Soldat der Königin diese Frage. Sie bleibt ihm die Antwort schuldig. Weil sie seine Frage nicht ertragen kann, lässt sie ihn umbringen. In Russland ist es unter Strafe verboten, den Krieg in der Ukraine als das zu bezeichnen, was er ist: Krieg. Stattdessen lautet die offizielle Sprachregelung „Spezialoperation“.
Jede Infragestellung des Handelns von Putin und seinen Getreuen wird brutal unterdrückt. In Israel hat Premier Netanjahu seinen Verteidigungsminister entlassen, weil der in Frage gestellt hat, ob das Vorgehen im Gazastreifen und im Libanon noch strategisch sinnvoll ist. Von der Frage danach, ob das unermessliche Leid der Zivilbevölkerung, die Zehntausende von Toten noch in irgendeiner Weise verhältnismäßig sind, ganz zu schweigen. Der Überfall der Hamas war ein Verbrechen und ein Trauma. Dass Israel sich dagegen wehrt, ist sein gutes Recht. Aber eine Politik der verbrannten Erde geht weit darüber hinaus. Und für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat es noch nie auch nur den Hauch einer Rechtfertigung gegeben.
Der Krieg schafft seine eigene Logik. Und die, die derzeit über Krieg und Frieden zu entscheiden haben, sind nicht willens oder in der Lage, sich dieser tödlichen Logik zu entziehen. Sie verschließen sich wie die Königin in dem Lied. Sie stellen sich taub und blockieren alle ernsthaften Bemühungen um Frieden.
Soll man es deshalb aufgeben, das Gespräch mit ihnen zu suchen? Ich denke nicht. Auch wenn das bedeutet, sich mit Menschen an einen Tisch zu setzen, deren Handeln zutiefst verwerflich ist. Auch wenn diese Menschen sich einen Dreck um Recht und Vernunft scheren. Jesus hat einmal zu seinen Jünger*innen gesagt: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“ Diese Aussage ist in vielen Teilen der Welt immer noch erschreckend aktuell. Trotzdem ist es unvermeidlich, diese Mächtigen beharrlich an Recht und Gerechtigkeit zu erinnern. Dabei dürfen keine faulen Kompromisse eingegangen, beispielsweise das Freiheitsrecht eines Volkes zum Tausch angeboten werden. Aber wenn es irgendwann zu einem Frieden kommen soll, braucht es Gesprächskanäle und Gespräche.
Trotzdem ist es richtig, dass die Einflussmöglichkeiten selbst der Mächtigen der freien Welt deprimierend gering sind. Was sollen einfache Menschen wie wir da schon ausrichten? Jesu Wort an seine Jünger*innen geht noch weiter. Der ganze Ausspruch lautet: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“
Jesus selbst hat die Logik von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen. Er hat sich der Gewalt der Mächtigen ausgesetzt und sie ad absurdum geführt. Sie konnten seine Botschaft nicht zum Schweigen bringen. Gerade durch seinen Tod und seine Auferstehung hat sie sich weltweit ausgebreitet.
So gilt seine Mahnung auch uns: „So soll es bei euch nicht sein.“ Wir sollen unser eigenes Verhalten kritisch überprüfen. Gerade am Buß- und Bettag. Wir sollen uns fragen, wo wir andere klein halten und ihnen Gewalt antun. Vielleicht nicht mit Schlägen, aber mit Worten oder auf andere Weise. Auch Mobbing kann zum Beispiel verbrannte Erde in einer Seele hinterlassen. Und dann gilt die Frage auch uns selbst: „Warum?“
Es liegt an uns, der Logik des Todes eine Logik der Liebe entgegenzusetzen. Der Liebe Gottes, der Nächsten, sogar der Fremden und Feinde. Gegen die Logik von Gewalt und Gegengewalt gilt es eine Logik des Respekts, des friedlichen Miteinanders und der Versöhnung zu setzen. Wo wir das zu leben versuchen, können wir uns des Beistands Gottes sicher sein. Und wo wir die Erfahrung machen, dass ein solches Miteinander möglich ist, dass wir trotz Scheitern und Rückschlägen dazu in der Lage sind, da können wir überzeugend auch nach außen für Gerechtigkeit und Frieden eintreten. Denn auch dazu sind wir berufen.
Arnold Glitsch-Hünnefeld