Sind wir nicht alle ein bisschen …?

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Vorletztes Wochenende waren wir bei der Konfirmation des Patensohnes meiner Frau. Und wie das so ist, wenn man nicht zu den Auserwählten gehört, die in der reservierten Familienbank Platz finden, muss man früh dran sein, um überhaupt noch einen Platz in der Kirche zu finden. Ich hatte also viel Zeit, in der Kirche die Gäste der anderen Familien zu beobachten.

Wer z.B. Kaugummi kaut – auch später noch beim Glaubensbekenntnis. Und schau mal die in dem knallbunten Kleid! Die ist ja geschmückt wie ein Pfingstochse! Will die den Konfirmandinnen die Show stehlen? Oder der da. Der hat bestimmt Stunden vor dem Spiegel verbracht, um seine Frisur erst zu verwuscheln und dann zu zementieren. Sieht aus, als hätte er in eine Steckdose gefasst. Und da – Aua! – das geht ja gar nicht: Weiße Sneakers zum Anzug!

Ups! Da habt Ihr mich. Sneakers zum Anzug sind doch zur Zeit total angesagt. Wahrscheinlich haben sich einige bei meinem Outfit gedacht: Die Schuhe und der Anzug – total oldschool! Oder: Schau mal die Krawatte mit den Elefanten. Der wird wohl auch nie erwachsen!

Mir ist eine Begebenheit bei der Konfirmation meiner Tochter eingefallen. Auch da waren die Plätze in der Kirche knapp und meine Schwiegermutter saß direkt hinter zwei alteingesessenen Damen aus dem Dorf. Als die Konfirmand*innen und ich feierlich in die Kirche eingezogen sind, hat die eine der beiden die andere angestupst: „Schau mal die mit dem roten Jäckle! Das hätte es zu unserer Zeit nicht gegeben.“ „Schschsch!!!“ macht die andere: „Das ist die Tochter vom Pfarrer!“ Meine Schwiegermutter hat gegrinst und geschwiegen.

Was schräg oder eine Stilsünde ist, hängt offenbar davon ab, in welcher Blase man sich bewegt. Vornehmer gesprochen: Zu welchem Milieu man gehört. Was ich merkwürdig finde, empfinden andere als stylisch. Und was ich völlig normal finde, finden andere vielleicht ganz schön schräg. Ihr müsst vermutlich nicht lange nachdenken, um zu benennen, was meine Stilsünden sind. Um es auf einen Werbespruch aus den frühen 2000ern zu bringen: „Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?“

Selbst Jesus ist von einigen seiner Zeitgenossen schräg angeschaut worden. Als „Fresser“ und „Weinsäufer“ war er bei manchen von ihnen verschrien. Das hatte vermutlich auch damit zu tun, dass er sich mit Leuten eingelassen hat, bei denen sich die meisten Menschen seiner Zeit darauf verständigen konnten: „Die gehen gar nicht!“ Zöllner, Prostituierte und andere. Jesus schaute genauer hin. Es sah nicht nur, wie jemand gekleidet war, und auch nicht nur, womit jemand seinen Lebensunterhalt verdiente. Er sah den ganzen Menschen. Und er sah in jedem Menschen Gottes geliebtes Kind. Und so verstand er es, auch in den Menschen, die andere abgeschrieben hatten, ihr Potential zu erkennen und wach zu kitzeln.

So fühle auch ich mich von Gott angesehen. Dafür spielt es keine Rolle, ob ich cool oder langweilig bin. Dafür spielt es auch keine Rolle, ob ich anerkannt oder unbeliebt bin. Und auch nicht, ob ich erfolgreich bin oder ein Vorhaben in den Sand setze. Beides mischt sich in meinem Leben. Und Euch geht es vermutlich ähnlich.

Diesen Blickwinkel Jesu versuche ich einzunehmen. Die Menschen, denen ich begegne als Menschen zu sehen. Das heißt nicht, alle Unterschiede zu ignorieren. Manches werde ich auch weiterhin komisch finden. Ich bin nun mal ein Kind meines – relativ bürgerlichen – Milieus. Und es ist auch ok, sich ab und zu über ein besonders schräges Outfit zu beömmeln. Ein bisschen freundlicher Spott ist in meinen Augen erlaubt. (Ob die eingangs geschilderten Lästereien noch dazu gehören oder schon über der Grenze sind, sei dahingestellt.) Aber dass ich manches an meinen Mitmenschen merkwürdig finde, darf nicht dazu führen, dass ich mich über sie erhebe. Wie gesagt: Ich bin nicht das Maß aller Dinge und außerhalb meiner Blase werden manche auch einiges an mir auszusetzen haben.

Und schon gar nicht dürfen solche Unterschiede dazu führen, andere auszugrenzen. Wie langweilig wäre es, wenn alle den gleichen Stil hätten. Dann hätte man viel weniger zu lachen. Nein, Spaß! Als Kirche können wir z.B. ganz froh sein, dass nicht nur ein Milieu zu uns gehört. Es sind so schon wenig genug. Deshalb ist eine bunt gemischte Konfirmand*innengruppe auch ein schönes Bild.

Wenn wir uns in unserer Verschiedenheit annehmen, können wir von den verschiedenen Begabungen profitieren, die wir haben. Wenn wir uns als Menschen betrachten, können wir vielleicht auch Potenziale wach kitzeln, die bisher noch in manchen von uns schlummern. Wenn wir entspannt damit umgehen, dass wir alle unsere Macken haben, dann können wir miteinander darüber lachen. Dann ist unsere Gemeinschaft von Lebensfreude geprägt. Von der Freude, die Gott an uns hat.

Arnold Glitsch-Hünnefeld