Die Renovation der Orgel in der Melanchthonkirche

2020

Die Melanchthonkirche ist Teil der Evangelischen Schule Schloss Gaienhofen und wurde 1966/67 nach Plänen des Architekten Hermann Blomeier (1907 – 1982), Konstanz, erbaut. Unter der Leitung des Architekturbüros Poth / Zimmermann, Radolfzell, wurde sie 2019/20 generalsaniert. Diese beiden baulichen Maßnahmen sind die Eckpunkte in der Geschichte der Steinmeyer-Orgel. Das Instrument wurde 1968 als op. 2209 von der Firma G.F. Steinmeyer GmbH, Oettingen, unter Leitung von deren Geschäftsführer Fritz Steinmeyer (1918 – 2008) erbaut. Eine Disposition dafür hatte zunächst Dr. Walter Leib (1893-1977), seit 1930 Orgel- und Glockensachverständiger für die Evangelische Kirche in Baden und seit 1931 Dozent am Kirchenmusikalischen Institut Heidelberg, entworfen. Der Auftrag zur Planung ging allerdings an Heinrich Richard Trötschel (* 1926), seit 1965 Kantor in St. Georgen und seit 1965 ebenfalls Orgel- und Glockensachverständiger für die Evangelische Kirche in Baden, über, der das Werk dann gemeinsam mit Steinmeyer konzipierte und das Projekt fachlich betreute.

Die Orgel ist in einem flachen, an der nischenhaft auskragenden Ostwand der Kirche aufgestellten Gehäuse untergebracht, das einem Bilderrahmen ähnelt. Der Prospekt ist nach dem Werkprinzip gegliedert: Hauptwerk links oben, Brustwerk links unten, Oberwerk (schwellbar) rechts oben zurückgesetzt, Pedalwerk rechts unten vorangestellt. Asymmetrisch darunter platziert befindet sich der Spieltisch, von dem aus die mechanischen Spiel- und elektrischen Registertrakturen gesteuert werden. Allerdings wurde das Konzept mit 32 Stimmen auf drei Manualen und Pedal bei der Erbauung nicht vollständig umgesetzt.

Erstellt wurden Hauptwerk (I), Oberwerk (II) und Pedal mit der jeweils vorgesehenen Registerzahl, nämlich insgesamt 25. Lediglich vorbereitet wurde das Brustwerk (III) mit den Kippschaltern am Spieltisch und den Prospektpfeifen im dafür vorgesehenen Gehäuseteil; Trakturen, Windlade und sonstige Pfeifen sind dafür nicht eingerichtet worden. Über die Jahrzehnte hinweg gab es mehrere Anläufe zur Komplettierung des Instruments, die jedoch allesamt scheiterten. Auch die angedachten Ausreinigungen und Überholungen kamen nicht oder nur als nachbessernde Reparaturen durch die Erbauerfirma zustande.

Insofern präsentierte sich die Orgel im November 2015 im Rahmen des von der Badischen Landeskirche aufgelegten Sonderbauprogramms „Elektrische Sicherheit bei Orgeln (2015 – 2025) als ein Torso und zudem in einem äußerst verschmutzten sowie technisch und musikalisch durchweg unbefriedigenden Zustand. Dieser war noch durch die klimatische Situation im Instrument und um dieses herum verstärkt worden, da es keinerlei Isolierung zwischen der Außenwand aus hellen Klinker-Ziegeln und Beton gab. Das Werk war seit Jahrzehnten den extremen Temperaturschwankungen zwischen Kälte und Hitze sowie den von draußen eindringenden Luftströmungen des über die Halbinsel Höri am Bodensee blasenden Seewindes und den im Innern des oktogonalen Baus auftretenden thermischen Luftverwirbelungen ausgesetzt. Durch Wasserschäden hervorgerufene Feuchtigkeit hatte auf den Unterbau des Instruments schädlich gewirkt. Das Werk funktionierte bei der Untersuchung nur eingeschränkt, da aufgrund von defekten Registerwippen und Schleifenzugapparaten nicht alle Stimmen schaltbar waren. Die Spieltrakturen ließen sich bewegen, öffneten jedoch nicht gleichmäßig die Ventile. Die Verstimmungen innerhalb einzelner Register sowie derselben zueinander waren mehr als deutlich zu hören.

Sanierung und Optimierung

Im Zuge der notwendigerweise nun anzugehenden grundlegenden Sanierung und der damit verbundenen Optimierung der Orgel musste daher an vorderster Stelle eine durch entsprechende bauliche Maßnahmen an der Kirche zu erzielende Nachhaltigkeit stehen. Bei den Planungen durch die zuständigen Architekten und den Renovierungsarbeiten der verschiedenen Gewerke im Kirchenraum sollte somit die Orgel als teuerstes „Möbel“ besonders berücksichtigt werden. Hierfür bildete der wechselseitige kontinuierliche Austausch mit dem Orgelsachverständigen und der für die Renovierung beauftragten Firma Orgelbau Steinmeyer, Inhaber Karl Göckel, auf der Grundlage ihres Angebots vom 10. September 2018 eine ideale Voraussetzung.

Während der Bauarbeiten in und an der Kirche wurde die Orgel teilabgebaut und in die Werkstatt nach Oettingen verbracht. An Wand und Boden hinter und unter dem Gehäuse wurden mit erheblichem Aufwand Isolierungen installiert. Mit dem Wiedereinbau der purgierten, renovierten bzw. wegen Verschleißes substituierten Teile erfolgten bei der Technik insbesondere die Regulierung bzw. Justierung aller mechanischen Bauteile und die elektrische Absicherung
der Registertrakturen sowie beim Klang eine umfassende Nachintonation.

Zuvor war die Frage nach dem Umgang mit dem seinerzeit nicht realisierten Brustwerk erörtert worden, wobei drei Optionen zur Auswahl gestanden hatten:

  • Belassung des bisherigen Zustands;
  • Einbau einer Windlade für sieben Register nach annähernd ursprünglichem Konzept (dabei Versetzung Krummhorn 8′ aus Oberwerk, dort dafür Oboe 8′) und entsprechender Spiel- und Registertrakturen für ca. 84500 Euro;
  • Nutzung der vorhandenen Klaviatur als Sound-Clavier (durch Einbau von elektronischen Kontakten und Anschluss eines Synthesizers oder Expanders per MIDI-Signalgebung; Abstrahlung der Klänge über mehrere auf den Raum bemessene und unter anderem hinter den stummen Prospektpfeifen positionierte Aktivboxen für ca. 5 000 bis 15 000 Euro, bzw. je nach Ausstattung, in einen offenen Preis.

Die Entscheidung fiel zugunsten der dritten Option, wobei folgende Kriterien den Ausschlag gaben:

  • Die Belassung des bisherigen Zustands wäre weiterhin unbefriedigend gewesen.
  • Die Investition für ein neobarockes Werk wäre wohl unter ästhetischen, jedoch nicht unter finanziellen Gesichtspunkten vertretbar gewesen.

Die Nutzung der Klaviatur als „Sound-Clavier“ begründet sich aus der Funktion der Melanchthonkirche als musikalisch-kulturelles Zentrum der dortigen Schule, der Kirchengemeinde und der Region und soll das vielfältigen Spektrum der dortigen Aufführungen in Gottesdienst und Konzert bereichern, das von Siegfried Schmidgall als Musiklehrer und Schulkantor verantwortet wird. Zugleich knüpft der Einbau eines „elektronischen Auxiliaires“ an Überlegungen von Josef Michel (1928 – 2002) an, einst ebenfalls Musiklehrer in Gaienhofen und an der Steinmeyer-Orgel amtierender Bezirkskantor, der sich bereits im Erbauungsjahr des Instruments für ein solches Element als ein „integrierender Bestandteil der Pfeifenorgel“ stark gemacht hatte. Dabei hatte er sich auf Ideen und Experimente von Walter Leib mit elektronisch erzeugten
Teiltönen berufen können, die er unmittelbar nach seinem Dienstantritt in Gaienhofen zusammen mit der Firma Ahlborn-Orgel GmbH, Heimerdingen, in der Orgel hatte umsetzen wollen. Die Kosten für das Projekt beliefen sich ohne bauseitige Maßnahmen und ohne die elektronischen Zusatzgeräte auf ca. 100000 Euro. Die Kosten für die Tätigkeit des Orgelsachverständigen wurden dabei, wie üblich, von der Badischen Landeskirche übernommen.

Resultat: Hybrid-Orgel
Die Steinmeyer-Orgel befindet sich aufgrund der an ihr vorgenommenen Maßnahmen nunmehr in einem sehr guten Zustand. Die Arbeiten an Technik und Pfeifen haben deutlich spür- und hörbare Verbesserungen gebracht, so dass das Instrument technisch und klanglich wesentlich verbessert gegenüber dem Zustand zu seiner Erbauungszeit dasteht.
Die Sicherheitsmängel in der elektrischen Anlage sind beseitigt. Die Auflagen zur Arbeitssicherheit bzgl. Zugänglichkeit und Beleuchtung wurden umgesetzt. Zudem wurden die Vorbereitungen getroffen, das Klangspektrum unter Nutzung der Klaviatur des dritten Manuals über ein „elektronisches Auxiliaire“ innovativ und speziell im schulischen Kontext einsetzbar mit synthetischen Klängen zu erweitern. Entstanden ist somit eine Hybrid-Orgel, die ihre Begründung in der Orgelbewegung hat und deren Facetten in der Gegenwart nun erlebbar macht.

Dr. Michael Gerhard Kaufmann, Oberkirchenrat und Orgelsachverständiger der Badischen Landeskirche

1. Über die Orgel gibt die Akte im Evangelischen Oberkirchenrat KarLsruhe, Orgel- und Glockenprüfungsamt, der EvangeLischen Kirche in Baden Auskunft: 61/33 Gaienhofen (Dezember 1960 bis März 2020).

2. Vgl. Johannes Matthias Michel, Josef Michel, in: Biographisch – Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), 22 (= Ergänzungen IX), Nordhausen 2003, Sp. 838-839. Josef MicheI studierte ab 1947 Kirchenmusik in Heidelberg, war Kantor in Gaggenau (1951-62), danach künstlerischer Leiter der Ahlborn-Orgel GmbH in Heimerdingen (1962 – 1972) und schließlich Musiklehrer und Bezirkskantor in Gaienhofen (1972 – 1991).

3. Klaus von Loeffelholz und Josef Michel, Das elektronische Auxiliaire zur Pfeifenorgel, Berlin
1968/2 1980; S. 5

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