Passion und Ostern – zwei Pole
Schulgottesdienst Ostern 2024
Die Passionszeit neigt sich dem Ende zu. Vor uns liegen die Osterferien. Noch ist die Passionszeit nicht zu Ende. Die kommende Woche bis zum Karsamstag gehört noch dazu. Aber Ostern rückt schon ins Blickfeld. Passion und Ostern. Zwei Pole. Zwei Seiten einer Medaille. Sie stehen in Spannung zueinander und gehören doch zusammen. Sie prägen auch den Gottesdienst heute.
In den Andachten und Gottesdiensten der Passionszeit haben immer wieder Bilder eine Rolle gespielt. Auch Bilder können zwei oder mehr Seiten haben. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel sie betrachtet werden. Einige der Bilder und Andachten klingen in diesem Gottesdienst noch einmal an. Zu einem Teil der Bilder hat der Religionsleistungskurs Assoziationen beigesteuert, die in diese Predigt mit eingeflossen sind.
Am 25. Februar hat Antonio Zecca in einem Gottesdienst in der Lutherkirche in Singen ein Passionstriptychon gemalt. Ein Leitgedanke des Gottesdienstes war die Frage des Hinschauens. Was sehen Menschen in der Gegenwart Jesu? Wie genau sehen sie hin?
Das erste Bild des Triptychons zeigt die Salbung Jesu in Bethanien. Mehrere meiner Schüler*innen haben eine Taufe assoziiert. Auch da wird Menschen eine Flüssigkeit über den Kopf gegossen. Jesus wird vor Beginn seines öffentlichen Wirkens von Johannes getauft. Die Geschichte der Salbung steht am Ende seiner Wirkungszeit. Maria salbt ihn mit kostbarem Nardenöl. Sie nimmt damit die Totensalbung vorweg. Sie sieht genau hin und lässt Jesus zukommen, was unmittelbar nach seinem am Kreuz wegen des anbrechenden Sabbats nicht mehr möglich ist. Sie pflegt den noch nicht sichtbar vom Tode Gezeichneten und tut so ein gutes Werk an ihm. In der liebevollen Pflege ist Gott selbst gegenwärtig.
Auf dem zweiten Bild des Triptychons ist der Prozess Jesu vor Pilatus dargestellt. Ein Schauprozess. Mein Blick wandert unwillkürlich zu dem Bild des politischen Gefangenen, das Antonio Zecca in der Andacht zum Tod von Alexej Nawalny gemalt hat.
In beiden Prozessen – gegen Jesus und gegen Nawalny – ging es nicht um die Frage von Schuld. In beiden Fällen – und in unzähligen anderen Schauprozessen auch – stand das Urteil vor Prozessbeginn fest. Pilatus sieht nicht hin und wäscht seine Hände in Unschuld. Der Tod von Nawalny sei ein trauriger Vorfall, hat Putin Anfang der Woche gesagt. Und weiter: „Aber es ist passiert, dagegen kann man nichts tun, so ist das Leben.“ Ungerührt und zynisch. Den Menschen Nawalny sieht er nicht. Alle Welt konnte sehen, wie die unmenschlichen Haftbedingungen Nawalny zugesetzt haben. Das Regime tut, als hätte es nichts gesehen und nichts damit zu tun.
In der Mitte des Triptychons die Kreuzigung. Ein Schüler hat den Bogen zwischen Jesus und dem Soldaten vor ihm mit dem Blut aus der Wunde in der Seite Jesu in Verbindung gebracht. Blut und Wasser strömt nach dem Johannesevangelium aus der Wunde. Noch einmal ein Taufbezug. Noch einmal verschmelzen Anfang und Ende.
Die Umstehenden verhöhnen Jesus. „Bist Du der Sohn Gottes, so steig herab vom Kreuz! Dann wollen wir an dich glauben.“ Nikos Katzantzakis erblickt darin die letzte Versuchung Christi. Das vorzeitige Ende des Leidens. Es wäre zugleich der ultimative Machterweis. Aber Jesus nimmt keine Abkürzung und bleibt dem Willen Gottes bis zum bitteren Ende treu.
Einer Schülerin ist aufgefallen, dass auch bei diesem Bild wie bei den beiden anderen der Hintergrund blau ist. Sie hat sich gefragt, ob das nicht zu freundlich angesichts der grausamen Ereignisse sei. Ob nicht die Finsternis, von der die Evangelien berichten, passender gewesen wäre. Auf dem Nawalny-Bild ist der Hintergrund blutrot. Antonio Zecca hatte zwischenzeitlich überlegt, ihn schwarz zu malen. Kein Licht in der Zelle. Der helle Fleck rechts oben ein einsames Fenster? Oder eine blendende Lampe im Verhörraum? So oder so, kein Trost. Bei Markus und Matthäus stirbt Jesus mit den Worten „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Trotzdem der blaue Hintergrund auf dem Bild. Vielleicht steht er dafür, dass in diesem Geschehen Hoffnung für die Welt liegt. Bei Johannes sind Jesu letzte Worte: „Es ist vollbracht.“
(Die Osterkerze wird entzündet, der Strauß auf den Altar gestellt, das letzte Bild aufgestellt.)
Auf das Leiden und Sterben Jesu folgt die Auferstehung. Im Vorgriff auf Ostern habe ich die Osterkerze entzündet. Auch sie zeigt ein bildliches Motiv. Im Hintergrund bunte fröhliche Farben. Zum Ostergeschehen passen sie. Eine andere Assoziation aus dem Leistungskurs war, dass hier Ziegelsteine dargestellt seien. Kreuzartig angeordnet sind sie. Um den Kopf Jesu herum lockerer. Mit seiner Auferstehung bricht Jesus daraus hervor. Jesus hat die Arme ausgebreitet. Ist das noch die Haltung von der Kreuzigung? Oder schon eine Geste des Segnens. Wie im Raum der Stille in St. Michael auf dem Schwanberg?
Auch in dieser Darstellung der Verweis auf Anfang und Ende: Alpha und Omega. Von Ewigkeit zu Ewigkeit steht Christus den Menschen bei. Die Allgegenwart Gottes selbst in Leid, Tod und Trauer. In den Augen eines Schülers löst sich Jesu vom Omega und strebt dem Alpha, dem Anfang entgegen. „Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“ (Ps 121,8) Das Ende wird zum Anfang.
Die bunten Steine haben mich noch an eine andere Bibelstelle erinnert. Im ersten Petrusbrief heißt es über Christus: „Kommt her zu ihm! Er ist der lebendige Stein, der von den Menschen verworfen wurde. Aber bei Gott ist er erwählt und kostbar. Lasst euch auch selbst als lebendige Steine zur Gemeinde aufbauen. Sie ist das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist. Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift: »Seht, ich lege auf dem Berg Zion einen ausgewählten, kostbaren Grundstein. Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« Für euch ist er kostbar, weil ihr an ihn glaubt. Aber für diejenigen, die nicht an ihn glauben, gilt: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Grundstein geworden. Er ist ein Stein, an dem man Anstoß nimmt, und ein Fels, über den man stolpert. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort keinen Glauben schenken. Doch genau dazu sind sie bestimmt. Aber ihr seid das erwählte Volk: eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, eine Gemeinschaft, die in besonderer Weise zu Gott gehört. Denn ihr sollt die großen Taten Gottes verkünden. Er hat euch nämlich aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen.“ (1.Petr 2,4-9)
Die Christinnen und Christen als lebendige Steine des Bauwerks Gemeinde. Keine Mauern, die einengen, sondern ein Schutzraum. Und zugleich ein Raum, der Vielfalt und Freiheit ermöglicht. So bunt und verschieden, wie die Menschen sind. Jesus Christus als der Grundstein, auf dem sich die Gemeinde aufbaut. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben.“ Jesus Christus zu verwerfen war vergebliche Mühe der Mächtigen.
Damit komme ich zum letzten Bild. Dem Bild, das Antonio Zecca als Motiv für diesen Ostergottesdienst vorgeschlagen hat. „L’inutilità degli sforzi umani“ heißt es. „Die Sinnlosigkeit menschlicher Bemühungen“. Passt das zu Ostern und den freundlichen Farben dieses Bildes? Auf den ersten Blick dominieren doch die bunten Blüten, die frühlingshafte Stimmung. Der Mensch in der Mitte wird jugendlich kraftvoll. Seine Augen sind geschlossen, als sei er gerade erst dabei, aus dem Todesschlaf zu erwachen.
Aber im Gegensatz zu den Blüten ist er grau. Und er steht auf einem Sockel mit menschlichen Gesichtern. Stehen sie für die Sinnlosigkeit der menschlichen Bemühungen? Sinnlos, fruchtlos, vergeblich, umsonst? „Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.“ (Ps 127,1f) Dieses „umsonst“ führt mich zu einem weiteren biblischen Bild. „Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.“ (Mt 6,28f) Jesus warnt in der Bergpredigt vor dem fruchtlosen Sorgen und Trachten. Und er kommt zu dem Schluss: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ (Mt 6,33) Menschliches Bemühen ist dann nicht fruchtlos, wenn es auf Gott und seine Gerechtigkeit ausgerichtet ist.
Solches Handeln ist das Gegenteil der vergeblichen Mühe, den Eckstein zu verwerfen. Menschen wie Jesus zum Schweigen bringen zu wollen. Gewalt gegen Gewaltlosigkeit zu setzen. „Sforzi“, das kann auch Kräfte bedeuten. „Forces“ wird im englischen auch für die Streitkräfte verwendet. Den Geist der Freiheit und der Gerechtigkeit mit Gewalt zu unterdrücken, kann eine Zeit lang gelingen. Manchmal eine quälend lange Zeit lang. Aber es hat keine Nachhaltigkeit. Menschen werden sich immer nach Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden sehnen. Und ihre Sehnsucht wird sich Bahn brechen. Denn sie ist Ausdruck des Geistes Gottes. Und der Geist Gottes lässt sich nicht einsperren.
Seinen Ausgang hat dieser Geist bei Jesus genommen. Mit Jesus Christus ist etwas Neues in die Welt gekommen und das hat sie für immer verändert. Er ist der Inbegriff von Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden. Das Projekt Christi geht weiter. Die Mächtigen konnten Jesus töten. Sie töten auch heute noch Menschen, die sich für das Reich Gottes einsetzen. Den Geist Jesu Christi können sie nicht auslöschen. Er lebt in den Menschen weiter, die an ihn glauben. Mauern, Grabsteine können ihn nicht festhalten. Menschen lösen sich aus ihrer Trauer und treten ein für ein Reich Gottes in Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit ohne Unterdrückung und Krieg.
Stark wie der Tod ist die Liebe. Die Mächte des Todes sind noch da. Zugleich sind die Menschen, die ihnen zum Opfer gefallen sind, nicht vergessen. Auch im Persönlichen sind Ängste, Krankheit, Verletzungen und Trauer noch da. Aber sie sind aufgehoben in dem Trost von Ostern. In der Allgegenwart Gottes auch in Leid und Tod. Das Werk von Menschen, die die Liebe Gottes weitergeben, die der höheren Gerechtigkeit dienen, wird nie vergeblich sein. Das Leben siegt.
Arnold Glitsch-Hünnefeld