„O Heiland reiß die Himmel auf“ und lass die orangene Sonne leuchten

Mittwochsandacht_online

Gudrun Mau, O Heiland reiß die Himmel auf (Ausschnitt – das gesamte Bild findet sich am Ende des Beitrags)

Heute ist der erste Mittwoch im Advent. Zugleich ist heute der letzte Mittwoch der „Orange Days“. Was es mit denen auf sich hat, haben vielleicht nur Wenige von euch mitbekommen. „Orange the World“ ist eine Kampagne der Vereinten Nationen, die sich für die Beendigung der Gewalt gegen Frauen einsetzt. Die Nachrichten aus Afghanistan und dem Iran, wo Frauen systematisch unterdrückt werden, kennen vermutlich Viele. Aber man muss gar nicht so weit gehen. Gewalt gegen Frauen findet auch in Deutschland statt. Im letzten Jahr wurden in Deutschland 360 Frauen von ihren Partnern oder Expartnern getötet – also durchschnittlich fast jeden Tag – und jede dritte Minute erlebt eine Frau Gewalt durch ihren Partner. Diese Tatsachen ins Bewusstsein zu rücken und gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, ist das Ziel von „Orange the World“. Bei der Vorbereitung auf die Andacht habe ich mich gefragt: Advent oder Orange Days?

Und dann die Überraschung: Das eine hat mehr mit dem anderen zu tun, als ich erwartet hätte. Das wurde mir klar, als ich den Hintergrund zu einem der Adventsfenster erfahren habe, die nebenan in den Fenstern des Gemeindehauses zu sehen sind. Gudrun Mau wurde zu ihrem Bild von dem Adventslied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ und dessen Entstehungsgeschichte inspiriert.

Herausgekommen ist – passend zu seinem Hintergrund – ein unruhiges Bild. Ich sehe einen wilden Himmel. Wolken wie zerrissen im Widerstreit mit der Sonne. In der Mitte eine Grünfläche, umgeben von finsteren Bergen und einer dunklen Fläche im Vordergrund. In der Mitte des Bildes wächst eine Blume. Klein und doch nicht zu übersehen. Diese Blume und die orangene Sonne bilden die Hoffnungspole in dem Bild.

Gudrun Mau hat Motive aus dem Lied „O Heiland reiß die Himmel auf“ in ihr Bild eingearbeitet. Wir hören seine Melodie und sehen die Strophen, die die Künstlerin für ihre Erklärung zu dem Bild ausgewählt hat. Mit dieser Erklärung greift sie Gedanken aus einem Artikel von Christian Feldmann im Sonntagsblatt auf.

Das Lied ist so unruhig wie das Bild. Gott wird bestürmt, dass sein Heiland die Himmel aufreißen möge. Er soll nicht länger fern bleiben und die Welt in Finsternis lassen. Ich sehe in dem Bild den aufgerissenen Himmel, der die Strahlen der orangenen Sonne freigibt. Ich sehe das Blümlein, das die Erde hervorbringt.

Das Lied hat Friedrich Spee geschrieben. Er war Jesuit und kurz vor dem Abschluss seines Theologiestudiums. 1622 veröffentlichte er das Lied, nachdem der Erzbischof und Kurfürst von Mainz mehrere hundert Frauen als Hexen hatte hinrichten lassen. Da ist er, der Bezug zu den Orange Days. Gewalt gegen Frauen hat eine lange Geschichte. Das Lied ist ein Aufschrei gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit. Friedrich Spee stritt als einer der ersten gegen Folter und für rechtsstaatliche Prinzipien. Sein Lied ist heute noch so aktuell wie vor 400 Jahren.

Zugleich greift es uralte Gedanken aus der Bibel auf. Die Bilder und Metaphern für sein Lied nahm Spee aus dem Buch des Propheten Jesaja. Dort heißt es: „Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen.“ Die Texte aus dem Jesajabuch stammen aus einer von Gewalt geprägten, friedlosen Zeit. Juda hatte einen selbstmörderischen Krieg gegen die übermächtigen Babylonier vom Zaun gebrochen. An dessen Ende standen die Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Wesentliche Teile der Bevölkerung waren nach Babylonien verschleppt worden und hatten dort im Exil leben müssen. Unter der Herrschaft der Perser hatten deren Enkel zwar zurückkehren und den Tempel wieder aufbauen dürfen. Aber die Hoffnung auf Frieden hatte sich nicht erfüllt. Immer noch herrschten im Inneren himmelschreiende Ungerechtigkeit und von Außen die Bedrohung durch Krieg. Wo war Gott in dieser finsteren Zeit – die der unseren in mancher Hinsicht so erschreckend ähnlich ist? „Ach, dass du den Himmel zerrissest.“

Die Hoffnungen der Menschen damals richteten sich auf einen König, der ganz anders sein würde als die Mächtigen der Welt. Einen König, der den Frieden bringen würde. Ein „Reis aus der Wurzel Isais“, also ein Nachfahre von König David. Das ist das Blümlein, das die Erde hervorbringen soll. „Ihr Wolken brecht und regnet aus – den König über Jakobs Haus.“

Heute sind viele Menschen skeptisch geworden, was die Erwartung eines Heilsbringers angeht. Die Menschen, die als Heilsbringer gefeiert wurden oder werden, haben sich meistens als herbe Enttäuschungen herausgestellt. Im Judentum ist die Erwartung einer Person als Messias hinter die Erwartung eines messianischen Zeitalters zurückgetreten.

Christen glauben, dass dies mit Jesus von Nazareth angebrochen ist. All den Finsternissen seiner und unserer Zeit zum Trotz. Er hat ein anderes Königtum vorgelebt. Er hat auf Gewalt verzichtet, sich der Gewalt ausgesetzt und sie so überwunden. Wie die Bilder von Tau und Regen, Blume und Wurzel in dem Lied setzte er auf die sanfte Kraft, die stärker ist als brutale Gewalt. Er hat gesellschaftliche Normen freimütig unterwandert. Unter den Menschen, die ihm nachfolgten, hatten Frauen ihren gleichberechtigten Platz. Er setzte die Liebe sogar der Feinde gegen Vergeltung und Gewalt.

Seine Haltung ist für Christen Verheißung und Herausforderung zugleich. Ich kehre noch einmal zurück zum Gedanken der Orange Days. Gewalt gegen Frauen fängt nicht erst bei Schlägen und Schlimmerem an, sondern schon bei Sprache und Haltung. Wir Männer und Jungen müssen uns hinterfragen, inwiefern wir das Bild von der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern bedienen. Wo wir schweigen, wenn wir sexistisches und übergriffiges Verhalten mitbekommen. Das ist auch eine Frage von Courage, die wir uns als Schule vorgenommen haben. Wir sollten uns fragen, wo wir tolerieren, dass das Thema, Frauen zu schützen, von der Tagesordnung der Politik genommen wird.

Jesus hat vorgelebt, dass ein anderer Umgang miteinander möglich ist. Da, wo seine Botschaft auf fruchtbaren Boden stößt, wo Menschen in seinem Geist miteinander umgehen, da ereignet sich mitten im Dunkel der Welt sein Reich. Da geht die orangene Sonne von Gerechtigkeit und Frieden auf. Es ist die unauslöschliche Hoffnung des Advents, die unauslöschliche Hoffnung der Christenheit, dass die weichen Kräfte des Friedens die Mächte der Gewalt am Ende überwinden werden.

Arnold Glitsch-Hünnefeld