„Luft holen!“

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Fastnacht ist vorbei, die Fastenzeit hat begonnen. Laut einer aktuellen Umfrage halten erstaunlich viele Menschen den bewussten Verzicht für sinnvoll: 72% der deutschen Bevölkerung und bei den 18- bis 29-jährigen sind es sogar 84%. Und mehr als die Hälfte gibt an, regelmäßig zu fasten. Ich auch. Neben Fleisch, Alkohol und Süßkram verzichte ich darauf, meine Zeit mit Handyspielen zu vergeuden. Dabei geht es mir nicht um meine Gesundheit, sondern um ein Stück Freiheit von Abhängigkeiten.

Die Fastenzeit vor Ostern ist nicht nur eine Zeit des – mehr oder weniger mühsamen – Verzichts, sondern sie dient auch einem Perspektivwechsel. Die evangelische Kirche macht das mit ihrer jährlichen Fastenaktion „7 Wochen ohne“ deutlich. In diesem Jahr heißt das Motto der Aktion: „Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik“. Im Hintergrund steht die große Aufgeregtheit in unserer Gesellschaft angesichts der Krisen und Bedrohungen unserer Zeit.

Der Blick in die Nachrichten kann einem schon mal den Atem nehmen. Und eins ist klar: Wegschauen und die Augen fest zukneifen hilft auf Dauer nicht. Zumindest ein Teil der Krisen unserer Zeit ist eine Herausforderung an unser Verhalten. Klar ist aber auch: Panik hilft ebenso wenig. Die Gefahr geht nicht vorüber, nur weil ich Angst habe und mich entsprechend schlecht fühle.

Es geht darum, die Augen nicht vor der Wirklichkeit zu verschließen, aber den Blick auch nicht von den Krisen bannen zu lassen. Sich den Atem nicht verschlagen zu lassen. Und das gilt für die großen Krisen unserer Zeit ebenso wie für die persönlichen Herausforderungen. Auch in einer Prüfungssituation, bei einer Präsentation oder einer Klassenarbeit hilft Panik nicht weiter. Luft holen und runterkommen und sich dann den Herausforderungen stellen, ist die Devise. Dazu kann ein Perspektivwechsel helfen.

Das Motto der Fastenaktion „Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik“ wird in sieben Wochenthemen aufgefächert, denen jeweils eine Bibelstelle zu Grunde liegt. „Fenster auf“ war das Thema der ersten (halben) Woche nach dem Aschermittwoch. Dabei wurde daran erinnert, wie Gott dem Menschen bei der Schöpfung seinen Atem eingehaucht und das Leben geschenkt hat. Die weiteren Themen heißen „Seufzen“, „Singen“, „Frischer Wind“, „Dicke Luft“, „Ruhe finden“ und „Osterwunderluft“. Die Bibelstelle für diese letzte vorösterliche Woche ist Ps 104,30: „Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu das Antlitz der Erde.“ Die Fastenaktion schläft also einen Bogen von der Schöpfung über die Nöte der Welt bis zur Auferstehung und der Neuschöpfung.

Diese Woche heißt das Thema „Seufzen“. Und der Bibelvers steht in Röm 8,26: „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.“ Wo uns der Alltag den Atem nimmt und uns die Sprache verschlägt, hilft uns der Geist Gottes auf. Er gibt uns die Worte ein, die wir brauchen. Und auch was wir nicht in Worte fassen können, trägt er vor Gott.

Ich erlebe das jeden Morgen. Mein täglicher persönlicher Perspektivwechsel ist eine stille Zeit direkt nach dem Aufstehen. Dazu gehört für mich neben einem Bibeltext und einem stillen Gebet mit Dank und Bitten auch das Beten eines Psalms. Ich habe mir eine Handvoll Psalmen eingeprägt, von denen ich jeweils den bete, der mir gerade einfällt. Und was ich in meinem freien Gebet nicht in Worte fassen kann, findet darin Raum. Zugleich öffnen mir die Psalmen einen neuen Blick auf meine Wirklichkeit. Und ich entdecke immer wieder neue Facetten und Deutungsmöglichkeiten.

Einer dieser Psalmen ist Ps 27. Darin heißt es unter anderem: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“ Ich erkenne darin: Mein Wohl und Wehe hängt nicht von mir selbst und letzten Endes auch nicht von den Menschen und Begleitumständen um mich herum ab. Was immer auch geschieht. Ich bleibe im Licht Gottes. Ich kann nicht tiefer fallen als in seine Hand.

Weiter im Psalm: „Ich möchte bleiben im Hause des Herrn, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu betrachten.“ Ich erkenne, dass ich Teil eines größeren Ganzen bin. Ich bin Teil der Schöpfung und lebe von Gottes Dienst an uns. Im Gottesdienst – in der Andacht im Gebet – kann ich mich dessen versichern und in aller Unruhe der Zeit festen Grund unter den Füßen spüren. Mit den Worten des Psalms: „Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen.“

„Weise mir deinen Weg und leite mich auf ebener Bahn.“ Bei Gott suche und finde ich Orientierung auch in unruhigen Zeiten wie der unseren. Gegen Ende schreibt der Psalmbeter: „Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen.“ Für mich heißt das: Ich sehe die Zeugnisse der Güte Gottes, das Gute, was ich auch in dieser Zeit erlebe. Die Menschen zum Beispiel, mit denen ich es zu tun habe, hier an der Schule, in der Familie, in meinem Freundeskreis und anderswo. Ich vertraue darüber hinaus darauf, dass ich noch größere Zeugnisse der Güte Gottes sehen werde – schon in diesem Leben, im Lande der Lebendigen. Und ich vertraue auf Gottes Land der Lebendigen durch die Auferstehung der Toten.

Der Psalm schließt mit den Worten: „Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!“ Also: Keine Panik! Atmet durch! Lasst Euch erfüllen vom Atem Gottes. Und geht so gestärkt ins Leben.

Arnold Glitsch-Hünnefeld