Licht aus jener Welt

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Es ist November. Der Herbst neigt sich seinem Ende zu. Die Bäume haben die meisten ihrer Blätter abgeworfen. Die Natur zieht sich zur Ruhe zurück. Die trüben Tage herrschen vor: Nebel und Regen prägen die Stimmung. Ein Bild, das ich in einem November aufgenommen habe, steht für mich sinnbildlich für diese Zeit des Jahres.

Mit dem November endet auch das Kirchenjahr. Am ersten Advent beginnt das neue Kirchenjahr, aber noch ist nicht Advent. Wir stehen buchstäblich zwischen den Jahren. Für die Kirche ist der November eine Zeit des Totengedenkens. Die katholische Kirche gedenkt an Allerheiligen, dem 1. November, den Verstorbenen. In der evangelischen Kirche ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr der Totensonntag. Am vergangenen Sonntag hat Pfarrer Klaus im Gottesdienst hier in der Melanchthonkirche die Namen der Menschen aus unserer Gemeinde verlesen, die im zurückliegenden Kirchenjahr verstorben sind. Die Konfirmand*innen haben für jede und jeden von ihnen eine Kerze auf dem Altar entzündet. In diesem Jahr hat mich das besonders berührt, weil eine der Kerzen für meine Mutter entzündet wurde.

Diese stille Zeit, diese Zeit des Gedenkens ist wichtig. Ich spüre jedes Jahr, dass es gut ist, sich diese Zeit zu nehmen und sie bewusst zu erleben. Ich merke, dass auch Traurigkeit ihren Wert hat und es mir gut tut sie zuzulassen. Wenn ich traurig bin, weil ein Mensch nicht mehr da ist, dann zeigt mir das, dass dieser Mensch mir wichtig war. Wenn ich über den Verlust nicht traurig wäre, wäre gerade das ziemlich traurig. Dann müsste ich mich fragen, warum mir dieser Mensch so wenig bedeutet.

Traurigkeit ist auch aus anderen Gründen wichtig. Sie ist ein Gegenpol zum fröhlichen, aktiven Leben. Wie die Natur sich im Herbst zurückzieht, um neue Kräfte zu sammeln, brauchen auch Menschen einen solchen Gegenpol. Ununterbrochene Fröhlichkeit und Aktivität würde Menschen überfordern. Traurigkeit gehört zum Leben dazu und es ist wichtig, sie zuzulassen.

Eine besonders schöne und wertvolle Erfahrung in der Traurigkeit ist es, getröstet zu werden. Menschen, die mich trösten, wenden sich mir auf eine behutsame und liebevolle Weise zu. Ich erlebe eine Nähe, die ich ohne die Traurigkeit vielleicht nicht erfahren hätte. Und zugleich hilft mir der Trost, mich in der Traurigkeit nicht zu verlieren. Traurigkeit soll ihren Raum im Leben haben, aber dieser muss begrenzt bleiben. Sonst droht eine gesunde Traurigkeit in eine Depression zu kippen.

Eine wichtige Funktion im Umgang mit Trauer hat das Gedenken. Im Gedenken wandern die Gedanken zurück zu den Menschen. Zurück zu dem, was wir gemeinsam erlebt haben. Zurück zu den Spuren, die sie in meinem Leben hinterlassen. Meine Mutter hat mich in Vielem geprägt und ich bin ihr dankbar dafür. In der Erinnerung sind die, die nicht mehr da sind, doch irgendwie gegenwärtig. Sie grüßen mich gewissermaßen aus der Ewigkeit.

Ewigkeit ist der zweite Schwerpunkt am Ende des Kirchenjahres. Der Totensonntag wird auch als Ewigkeitssonntag gefeiert. Es wird die Wirklichkeit Gottes ins Auge gefasst, die über den Tod hinaus unser Leben umgreift. Und das nicht nur am Ewigkeitssonntag. Ein Morgenlied, das ich an diesen spätherbstlichen Sonntagen gerne im Gottesdienst singen lasse, heißt „Morgenglanz der Ewigkeit“. Frau Bischofberger spielt die Melodie für uns an. Den Text der ersten Strophe könnt ihr mitlesen.

Morgenglanz der Ewigkeit,

Licht vom unerschaffnen Lichte,

schick uns diese Morgenzeit

deine Strahlen zu Gesichte

und vertreib durch deine Macht

unsre Nacht.

Gerade an den trüben Tagen des Novembers ist etwas vom Morgenglanz der Ewigkeit zu erleben. In der Ahnung, dass jenseits des Nebels oder jenseits der Wolken die Sonne trotzdem da ist. Auf dem Bild ist sie mit ihrem blassen Schein zwischen den Zweigen zu erkennen. Sie schenkt eine Ahnung von Trost trotz der dürren Zweige und des Nebels über dem See. „Lass die dürre Lebens-Au lauter süßen Trost genießen“ heißt es in dem Lied.

Und in der letzten Strophe: „Leucht uns selbst in jener Welt, du verklärte Gnadensonne; führ uns durch das Tränenfeld in das Land der süßen Wonne, da die Lust, die uns erhöht, nie vergeht.“ Es ist die Verheißung, dass Gott jenseits des Todes Freude für uns bereithält.

Gottes Ewigkeit bedeutet seine ewige Gegenwart. Er kommt uns Menschen ganz nahe. Er tröstet uns. Traurigkeit hat ihren Platz und findet doch ihre Grenze bei Gott. In der Offenbarung des Johannes beschreibt der Seher seine Vision von Gottes Ewigkeit. Er schreibt: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.

Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“ (Offb 21,1.3-5a)

Arnold Glitsch-Hünnefeld

Morgenglanz der Ewigkeit

1. Morgenglanz der Ewigkeit,

Licht vom unerschaffnen Lichte,

schick uns diese Morgenzeit

deine Strahlen zu Gesichte

und vertreib durch deine Macht

unsre Nacht.

2. Deiner Güte Morgentau

fall auf unser matt Gewissen;

lass die dürre Lebens-Au

lauter süßen Trost genießen

und erquick uns, deine Schar,

immerdar.

3. Gib, dass deiner Liebe Glut

unsre kalten Werke töte,

und erweck uns Herz und Mut

bei entstandner Morgenröte,

dass wir, eh wir gar vergehn,

recht aufstehn.

4. Ach du Aufgang aus der Höh,

gib, dass auch am Jüngsten Tage

unser Leib verklärt ersteh

und, entfernt von aller Plage,

sich auf jener Freudenbahn

freuen kann.

5. Leucht uns selbst in jener Welt,

du verklärte Gnadensonne;

führ uns durch das Tränenfeld

in das Land der süßen Wonne,

da die Lust, die uns erhöht,

nie vergeht.

Text: Christian Knorr von Rosenroth (1654) 1684

Melodie: Johann Rudolf Ahle 1662, Halle 1708