Innehalten

… angesichts des Krieges in der Ukraine

Am 7. März war die Schulgemeinde morgens um 9 Uhr aufgerufen, im Unterrichtsgeschehen innezuhalten, angesichts der schockierenden Bilder aus der Ukraine. Dieter Toder und Schulpfarrer Arnold Glitsch-Hünnefeld gestalteten gemeinsam den Live-Stream aus der Kirche.

Liebe Schulgemeinde,

am 24. Februar 2022, für viele der Beginn der Fastnachtsferien, sind wir in einer anderen Welt aufgewacht. Die Dimension dieser Zeitenwende wird täglich sichtbarer.

Die russische Armee hat die Ukraine angegriffen. Seitdem herrscht wieder Krieg, im Osten Europas, aber eben: in Europa. Für viele unvorstellbar, hat der russische Präsident den Einmarschbefehl zur Eroberung seines Nachbarlandes gegeben. Am Mittwoch, 2. März, hat die UN-Vollversammlung zwar mit überwältigender Mehrheit diesen Akt der militärischen Gewalt verurteilt und dazu aufgefordert, die Kämpfe unmittelbar einzustellen, aber der Krieg geht weiter.

Wir stehen hier: entsetzt und machtlos, jedoch nicht tatenlos:

Auch wir verurteilen diesen kriegerischen Akt und zeigen Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, durch eine klare Haltung, durch Spenden, wie auch immer.

Gleichwohl müssen wir daran denken, dass auch unter uns Schüler und Lehrerinnen sind, die aus dieser Gegend der Welt stammen oder familiäre Wurzeln dort haben – auf beiden Seiten: ich sehe Universitätsdiplome aus I.Franco in der Ukraine – und aus Krasnojarsk in Russland; ich sehe Geburtsurkunden von Schülern aus der Ukraine – und aus Russland.

Wie müssen erst diese Mitglieder unserer Schulgemeinde das Geschehen im Kriegsgebiet erleben?

Daher ist es wichtig, sprachlich klar zu unterscheiden. Nicht Russland (oder gar, in alter deutscher Diktion: „der Russe“) hat die Ukraine angegriffen, sondern die russische Armee, Soldaten, Befehlsempfänger, die einigen Berichten zufolge, nicht mal wussten, dass sie einen Krieg führen und kein Militärmanöver durchführen.

Solidarität mit der Ukraine heißt für uns auch: tätige Hilfe, etwa durch Sachspenden über den Verein „Open“, 2014 in Freiburg in Folge der Annexion der Krim durch russische Streitkräfte gegründet, mit Sammelstellen in Konstanz, in Radolfzell oder auf der Reichenau. Oder über Geldspenden an die bereits bekannte Aktion Deutschland hilft oder die Diakonie-Katastrophenhilfe, die über die Aktionen „Hoffnung für Osteuropa“ und „Brot für die Welt“ kirchlichen und diakonischen Akteuren in Rumänien, der Slowakei, Polen und der Ukraine zur Seite steht.

Solidarität mit der Ukraine, das bedeutet ebenfalls die Bereitschaft auf einiges zu verzichten, was wir seither gewohnt waren und schon für selbstverständlich nahmen: Versorgungssicherheit bei Energieträgern, Preisstabilität, Reisefreiheit und unbeschwerte Sportveranstaltungen – um nur ein paar Dinge zu nennen. Oder, im Vorausblick auf hier ankommende Flüchtlinge, bieten wir der Gemeinde Gaienhofen Räumlichkeiten und anderes mehr auf unserem Schulcampus an – wir könnten auf eine Turnhalle verzichten, auf Unterrichtsräume zur erneuten Einrichtung von Impfstraßen, auf alleinige Nutzung unserer Mensa, je nach Bedarfslage eben.

Die damit verbundenen Einschränkungen nehmen wir in dieser Situation gerne in Kauf.

Wir sind in dieser neuen Welt alle neu gefordert. Möge es uns gelingen, wenigstens hier, unter uns, Frieden zu halten – und dadurch zur Friedensfindung in der Ukraine zu ermutigen.

Hoffnungsvoll stimmt mich eine kleine, regionale Nachricht vom letzten Mittwoch: da wird im Südkurier von einem Konstanzer Unternehmer berichtet, der vor 30 Jahren zum Schüleraustausch in Leningrad war und dort in einer russischen Familie lebte; beim Auffrischen der damaligen Kontakte aus Anlass des Krieges und der von ihm unterstützen Hilfsmaßnahmen erhielt er bereits wenige Minuten später diese E-Mail: „Lieber Jan, es ist ein Alptraum. Für uns auch.“ (2.3.22, S. 27 „Hilfe für die Ukraine läuft“).

Möge es den direkt Betroffenen – und uns – beschieden sein, dass dieser Alptraum bald beendet wird. Im Frieden und nicht in einem noch weitergehenden Krieg.

D. Toder