„Ich liebe Menschen.“

Mittwochsandacht_online

Quelle: Peter Bongard (https://fundus.media)

Bülent Ceylan „Ich liebe Menschen“

Bülent Ceylan spricht mir mit dem Lied aus der Seele. Warum eigentlich? Der Rammstein-Style der Strophen ist es sicher nicht. Ich glaube, ich teile die widerstreitenden Gefühle, die das Lied zum Ausdruck bringt. Und ich teile das Fazit: Ich liebe Menschen.

Die Liste der guten Gründe, warum man Menschen eher exkrementös findet, ließe sich über das Lied hinaus beliebig verlängern. Dass Menschen aus Fanatismus mit einem Auto in eine Gruppe unschuldiger Menschen rasen, ist nur ein ziemlich krasses von vielen Beispielen. Wozu Menschen in der Lage sind, was sie einander und der Welt antun, lässt mich manchmal schier verzweifeln.

„Vielleicht wär die Welt ja besser ohne.“ Schon vor ein paar Jahren haben Die Ärzte gesungen „Los komm, wir sterben endlich aus, denn das ist besser für die Welt.“ In ganz finsteren Momenten denke ich auch so. Und finde darin paradoxerweise ein Stück Hoffnung: Die Welt wird weiterexistieren, selbst wenn die Menschheit sich irgendwann ausgelöscht haben sollte. Wir Menschen sind nicht der Nabel der Welt. Und das ist vermutlich ganz gut so.

Und doch: Ich liebe Menschen. Im zweiten Teil des Refrains folgt die für mich vielleicht schönste Zeile: „Ich weiß, dass sie es kaum verdienen, denn ich bin auch einer von ihnen.“ Vielleicht verstehen manche das so: „Ich liebe Menschen, weil ich einer von ihnen bin.“ Die Liebe zur eigenen Spezies ist naturgegeben. Aber mit dieser Lesart wäre die entscheidende Pointe verpasst. Ich weiß, dass Menschen es kaum verdienen, geliebt zu werden, weil ich selbst ein Mensch bin. Weil ich weiß, dass ich es selbst oft kaum verdiene, geliebt zu werden. Weil ich meine eigenen Schwächen und Widerwärtigkeiten nur allzu gut kenne. In dem Lied schwingt keine Selbstgerechtigkeit mit. Und das macht es für mich so liebenswert.

Und dann in der Bridge eine weitere Schlüsselzeile: „Und wenn da oben jemand runterschaut, bin ich mir sicher, er denkt das auch: Ich liebe Menschen.“ Das ist für mich der tiefste Grund des Trostes in all dem Elend. Selbst Gott verzweifelt manchmal an der Menschheit. An ihrer Dummheit und an ihrer Bösartigkeit. In der Bibel finden sich reichlich Beispiele dafür. Das bekannteste ist vermutlich die Geschichte von der Sintflut. Der Auslöser für die Flut ist Gottes Erkenntnis, dass das Dichten und Trachten des Menschen böse ist von Jugend auf. Und nach der Flut? Da richtet Gott den Regenbogen als Zeichen dafür auf, dass er das Leben nicht noch einmal vernichten will. Und das obwohl … – nein paradoxer noch weil – Gott auch nach der Flut klar ist, dass das Dichten und Trachten der Menschen böse ist. Er liebt sie trotzdem. Er liebt diese seine unverbesserlichen Kinder.

Eines dieser unverbesserlichen Kinder bin ich selbst. Eines dieser von Gott geliebten Kinder bin ich. Das ist für mich im Kern der Sinn meines Lebens. Gott liebt mich trotz all meiner Fehler und es ist sein Wille, dass ich da bin. Deshalb kann ich mich auch selbst lieben. Deshalb kann ich einen realistischen Blick auf mich selbst wagen. Deshalb muss ich meine Fehler und meine Schuld nicht vor mir – oder vor Gott – verstecken. Und deshalb darf ich mir zugleich zugestehen, dass ich auch ganz wunderbare Seiten habe.

Und so geliebt, kann ich auch andere Menschen lieben. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Einmal mehr kommt das Doppelgebot der Liebe ins Spiel. Gott zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst, ist das höchste der Gebote. Gottes Liebe steht am Anfang. Und daraus leitet sich die Liebe zu sich selbst und zu den Menschen ab.

Wenn ich trotz meiner Fehler zu meinen Stärken stehen kann, dann kann ich auch die wunderbaren Seiten erkennen, die die Menschen um mich herum haben. Dass Menschen liebenswert sind, weil sie Katzenvideos schauen, ist natürlich ein Witz. Eher weil sie „lachend weinen“. Weil sie so widersprüchlich sind wie ich selbst. Weil sie eben auch unfassbar liebenswerte Züge haben. Gestern habe ich mich mit den Schüler*innen getroffen, die 14tägig in der Smartphone-Sprechstunde älteren Menschen ihre Handy-Kompetenz zur Verfügung stellen. Es war erfrischend zu erleben, wie unbeschwert und mit wieviel Lebensfreude, ja mit wieviel Liebe sie diese Aufgabe angehen. Soziales Engagement lässt mir das Herz aufgehen. Aber das braucht es nicht einmal. Oft komme ich einfach gut gelaunt aus dem Unterricht, weil es mal wieder eine Freude war, mit Euch zu arbeiten. Es ist einfach so: Ich liebe Menschen. Und ich hoffe, ihr auch.

Arnold Glitsch-Hünnefeld