Halloween = unchristlich?
Mittwochsandacht_online

„Das Grauen schleicht von Haus zu Haus und klingelt alle Leute raus.“
„Geister schreien, Hexen lachen, gebt uns Süßes, sonst wird’s krachen!“
„Huuuu hier kommt der Knochenmann, / Schau dir auch die Geister an.
Willst du vor uns Ruhe haben, / Gib uns ganz schnell süße Gaben!“
Kommt euch das bekannt vor? Am Donnerstag kommende Woche, am 31. Oktober, werden bei Einbruch der Dunkelheit wieder so allerlei schaurige Gestalten durch die Straßen schleichen und an den Türen um Süßigkeiten betteln. Mit dabei sind beleuchtete Kürbisgeister, Fratzenmasken, Monster und so allerlei Gruselequipment. Und bei uns ist morgen Halloweenparty der Unter- und Mittelstufe. Da trifft man hier ab 16 Uhr auch auf Vampire, Zauberer, Hexen – und hoffentlich nicht auf Horrorclowns.
„Sie können doch als evangelische Schule keine Halloween-Party zulassen, das ist doch unchristlich!“, schrieb mir eine aufgebrachte Mutter im vorletzten Jahr.
Um es kurz zu machen – ich schrieb ihr zurück: „Doch, das können wir.“ – und begründete es kurz. An der ausführlicheren Fassung meiner Gedanken dazu möchte ich euch teilhaben lassen.
Die Frage ist zunächst, ob sich der bisweilen makabre Hype für eine Diskussion darüber eignet, was „christlich sein“ bedeutet. In Ansätzen glaube ich: ja, sie eignet sich dafür.
Was mich an Halloween tatsächlich stört, ist zum einen der überzogene Kommerz in der Deko- und Kostümabteilung, dem zu viele Menschen – nicht nur Kinder und Jugendliche – nicht standhalten können. Das ist im Advent und zu allen anderen Festen auch nicht anders. Was mich noch mehr stört, ist der gedankenlose Umgang mit Mensch und Leben.
Wenn ich mit Schülern der Klasse 5 um diese Jahreszeit Gruselgeschichten schreibe und sie dazu einlade Halloween-Deko aufzuzählen oder auch wenn man den Begriff googelt, so werden Grabsteine, Särge, Skelette, Totenköpfe, aus der Erde herausragende Zombiehände als Deko für den Vorgarten und blutige Leichenteile, Spinnen und allerlei Ungeziefer für die Halloween Party aufgezählt.
Für mich geht da Vieles zu weit und ist mehr als nur geschmacklos – es ist würdelos. Und daran ändert auch das Wissen nichts, dass die Faszination des Gruselns aus der Evolution erklärbar ist: (junge) Menschen testen wie in einem Spiel gerne ihre Grenzen aus, indem sie mit den Gegenständen à la Geisterbahn die Angst herausfordern und besiegen lernen. Trotzdem gilt es Schwellen des Respekts einzuhalten.
Der andere Aspekt, der mich als überzeugte Protestantin an Halloween stört, ist die Tatsache, dass der Reformationstag, der auch auf den 31. Oktober fällt, völlig in den Hintergrund gerückt ist. In den nord- und ostdeutschen Bundesländern ist dieser Tag gesetzlicher Feiertag, in vielen Kirchen finden Gottesdienste statt, die den Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517 feiern. Im eher katholischen Süden geschieht dies in den evangelischen Kirchen am Sonntag nach dem 31.10. – und wird angesichts des bisweilen makabren Halloween-Hypes im außerkirchlichen Bereich übersehen.
Der Ursprung des Begriffs Halloween ist „All Hallows Eve“ – der Vorabend zu Allerheiligen und damit durchaus christlich. Und die irische Sage von Jack o’Lantern illustriert die Nähe der beiden Feste zueinander: Jack war ein berüchtigter Betrüger in Irland, der nach seinem Tod weder in der Hölle, noch im Himmel willkommen war – im Himmel nicht, weil dort kein Platz für Kriminelle ist, und in der Hölle nicht, weil selbst der Teufel Angst hatte von Jack über den Tisch gezogen zu werden. Er wurde dazu verdammt, ewig zwischen beiden Stätten umherzuwandeln – mit einer Kerze in einer ausgehöhlten Futterrübe.
Eine Vorstellung, die sicher die Menschen damals wie heute erschauern ließ und lässt – begründet durch eine Mischung aus Schadenfreude – weil Betrüger bestraft gehören- und Mitleid – weil Jack ja bis heute seine Ruhe nicht gefunden hat. Die nach Amerika ausgewanderten Iren nahmen ihre Tradition der beleuchteten Rüben dann mit, mussten aber auf Kürbisse umsteigen. Und von dort kam der Trend zurück nach Europa und sorgte für eine enorme Zahl an Fans weltweit.
Gegen Kerzen in dem ausgehöhlten XL-Gemüse spricht ja auch nichts – ich habe selbst einen beleuchteten Kürbis aus Keramik vor der Haustüre – , gegen ein wenig Grusel, um sich angsttechnisch auszuprobieren, und in memoriam an Jack o’Lantern auch nicht. Und wer an Allerheiligen bei Einbruch der Dunkelheit das Lichtermeer auf dem Friedhof sieht, ist vielleicht auch berührt von dem Gedanken, dass die vielen Kerzen den Weg der Seelen der Verstorbenen in die Ewigkeit erhellt haben mögen. So gesehen könnte man Halloween als eine Art verweltlichte Version von Allerheiligen ein paar Pluspunkte geben.
Ein Grundsatz für unser Handeln sollte das Maßhalten sein, eine Tugend, die bei Mönchsorden seit dem Mittelalter groß geschrieben war und bis heute ist. Anselm Grün ist Mönch in Münsterschwarzach bei Würzburg und Erfolgsautor zahlreicher Bücher. Eines davon aus dem Jahr 2014 trägt den Titel „Mäßigung“. Die Leser werden darin nicht zum reinen Verzicht aufgefordert, sondern dazu, dass jeder sein Maß finden möge, das ihm gut tut, um im Einklang mit sich zu leben – also seine innere Balance zu finden. Insofern ist das Maßhalten keine Spaßbremse, sondern eher eine Einladung zur Achtsamkeit.
Doch das Maß ist eindeutig verloren gegangen, wenn in der Nacht auf den 1. November liebevoll geschnitzte Kürbisgeister kaputtgeschlagen, Mülleimer ausgeleert und Eier an Hauswände geworfen werden, weil man der x-ten Kindergruppe in Zombiekostümen nicht mehr aufgemacht und Unmengen von Süßigkeiten bereitgehalten hat.
Im 1. Korintherbrief schreibt Paulus: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles nützt. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ Wichtig ist ihm dabei auch das Folgende: „Denkt dabei nicht an euch selbst, sondern an die anderen.“ (10,23ff). Gemeint ist im Kontext des Briefes die Rücksicht auf das Gewissen des anderen.
Paulus fordert uns hier auf, jenseits von Verboten vor allem auch den Nutzen, also den guten Zweck einer Sache im Blick zu behalten. Den sehe ich nicht, wenn vielerorts Schaden angerichtet und Rache geübt wird an Menschen, die den Zombies und Gruselgestalten nichts abgewinnen können oder die sich nicht in Sachen Süßigkeiten ausnutzen lassen möchten.
Ich sehe Paulus‘ Anspruch bei uns an der Schule in besonderer Weise verwirklicht, wenn die Halloween-Party unter dem Thema „no racism, no hate“ steht. Auf besondere Weise verstärkt dies unsere vielfältigen Aktionen im Kontext der Demokratieförderung und auf dem Weg zur Abstimmung „Schule ohne Rassismus“, die in den nächsten beiden Tagen ansteht. Der Impuls zu einer solchen Halloweenparty ging von der 8. Klasse aus und zeigt ein Bewusstsein für ein gutes Maß: Spaß haben soll ja seinen Platz in der Schule haben, das sei allen Halloween-Fans gegönnt – nur eben nicht auf Kosten anderer und in Rücksicht auf die, deren „Ding“ Halloween nun einfach nicht ist.
Ich wünsche uns, dass wir das rechte Maß und eine gesunde Balance finden, von der Anselm von Grün spricht.
Ich wünsche denen, die Spaß dran haben, ein Halloween, das gut tut und das auch das Gewissen der anderen im Blick hat, von dem Paulus spricht – und das die Gefühle der anderen respektiert.
Ich wünsche mir, dass der Reformationsgedanke einen Platz in dieser Balance hat und
dass wir uns bewusst sind, als evangelische Schule Andacht in einer Kirche feiern zu dürfen, die den Namen eines Co-Reformators – oder wie wir heute sagen würden – eines Followers – von Martin Luther trägt: Philip Melanchthon.
Amen.
Martina Bischofberger