„Fürchte dich nicht“

Mittwochsandacht_online

Bild: Damiana Hieber

In diesem Jahr hat die evangelische Kirche für die Fastenzeit ein Motto ausgegeben, das sehr gut in die Zeit passt: „Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik“. Hintergrund ist die große Aufgeregtheit in der Gesellschaft angesichts der Krisen und Bedrohungen unserer Zeit. Dabei hat jede Woche ihr jeweils eigenes Thema. Über dieser 3. Woche steht das Stichwort „Singen“. Passend dazu haben wir für das Vor- und Nachspiel einen Minichor zusammengestellt.

Der biblische Bezug für das Wochenthema überrascht allerdings erst einmal, weil da vom Singen gar keine Rede ist. Jona ist vor Gottes Auftrag geflohen, auf offenem Meer, mitten im Sturm von der Besatzung seines Schiffes über Bord geworfen und von einem großen Fisch verschluckt worden. Im Bauch des Fisches betet er nun. Er dankt Gott, dass der ihn vor dem Ertrinken gerettet hat. Dabei ist die Situation noch keineswegs geklärt. Es gibt bestimmt Erfreulicheres als im Bauch eines Fisches zu sitzen. Jona findet trotzdem im Gebet zum Vertrauen. Beten oder eben Singen gegen die Panik.

Was wir zum Eingang gesungen haben und zum Abschluss singen werden, sind zwei Sätze aus dem „Elias“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Das Oratorium vertont die biblische Geschichte des Propheten Elia. Es ist eine dramatische Geschichte mit einem zwiespältigen Helden. Der Prophet Elia stellt sich gegen den König Israels. Der hat den Baalskult seiner Frau Isebel, einer Kanaanäerin nach Israel importiert. Elia kämpft kompromisslos gegen die Abgötterei und für den Glauben an den einen Gott Israels.

Er erwirkt ein Gottesurteil auf dem Berg Karmel. Die 450 Propheten Baals auf der einen Seite und Elia allein auf der anderen bauen zwei Altäre. Auf jeden wird ein toter Stier gelegt. Mit dem Altar der Baalspropheten passiert nichts. Auf Elias Altar fällt das Feuer Gottes. Bei diesem Erweis, dass der Gott Israels der wahre und einzige Gott ist, lässt Elia es allerdings nicht bewenden. Stattdessen bringt er die 450 Propheten Baals alle um.

Isebel, die Königin, droht Elia daraufhin Rache an. Der flieht, bis er erschöpft und resigniert aufgibt und sich den Tod wünscht. „Ich bin nicht besser als meine Väter“ spricht er zu Gott. Doch Gott lässt nicht zu, dass Elia sich seinem Selbstmitleid und seiner Depression überlässt. Er schickt ihm einen Engel, der ihn mit Wasser und frischem Brot versorgt. Der sendet Elia zum Berg Gottes in der Wüste. Dort begegnet Gott selbst ihm und gibt ihm den Auftrag, Nachfolger für den König von Israel, für den König des Nachbarvolks der Aramäer und für sich selbst zu beauftragen.

Die Musik von Mendelssohns Elias ist dramatisch, so wie die Geschichte selbst. Dazwischen erklingen immer wieder ruhigere und ermutigende Einschübe. „Wirf dein Anliegen auf den Herrn“ ist die Antwort auf eine Arie Elias, in der er Gott vor dem Gottesurteil auf dem Karmel um Beistand bittet. In einer zerrütteten Gesellschaft und im Angesicht eines übermächtigen Feindes wendet sich Elia an Gott. Er erfährt die Stärkung, die er in dieser Situation braucht, stellt sich der Herausforderung und wagt das völlig Unrealistische.

„Fürchte dich nicht“ steht ziemlich am Anfang des zweiten Teils des Oratoriums, vor der Auseinandersetzung mit der Königin, der Flucht und dem Neuanfang. Elia erkennt, dass er nicht nur vor der Königin flieht, sondern auch vor sich selbst: „Ich bin nicht besser als meine Väter“. Und dieser Teil seiner Flucht ist vergeblich, denn vor sich selbst kann man nicht weglaufen. Doch Gott überlässt Elia nicht seiner Depression. Er hält an ihm fest und gibt ihm einen neuen Auftrag. Und Elia wird diesen Auftrag ausführen.

Im Neuen Testament, in der Passions- und Ostergeschichte, erlebt Petrus ähnliches. Selbstüberschätzung, Versagen und neues Vertrauen durch Jesus Christus. Vertrauen, das Christus in ihn setzt, und Vertrauen auf Christus.

Jona, Elia und Petrus sind Beispiele für die Kraft, die Menschen im Glauben finden können. Auch dann, wenn die Welt um sie herum aus den Fugen gerät. Auch dann, wenn sie erkennen, wie begrenzt ihre eigenen Fähigkeiten sind. Diese Kraft allen Widrigkeiten zum Trotz wird in der Psychologie Resilienz genannt.

Es ist eine Kraft, die wir wohl alle in diesen Tagen brauchen. Eine Kraft, die wachsen kann, wo der Blick nicht von den Krisen und Bedrohungen gebannt wird, sondern sich auf die Ressourcen richtet, die Gott trotz allem für uns bereithält. Eine Kraft, die sich in dem Vertrauen gründet, dass wir mit Gottes Hilfe über uns selbst hinauswachsen können. Im Alltag vor Ort und in den Herausforderungen der Zeit. Ich setze mein Vertrauen auf Gott, weil ich mich mit den vordergründigen Ausweglosigkeiten der Gegenwart nicht zufriedengeben will. Dieses Vertrauen gewinnt im Beten und Singen für mich neue Kraft. „Wirf dein Anliegen auf den Herrn.“ haben wir gesungen. Und ich höre Gottes Antwort: „Fürchte dich nicht.“

Arnold Glitsch-Hünnefeld