Der Leichtsinnige, der Kleinliche und der Großmütige

Mittwochsandachten

Am vorletzten Wochenende hat die Minikantorei das Musical „Der verlorene Sohn“ aufgeführt. Einmal mehr war ich beeindruckt, zu welchen gesanglichen und schauspielerischen Leistungen Schüler*innen aus den unteren Jahrgangsstufen schon fähig sind. Besonders berührt hat mich, mit wieviel Hingabe sie bei der Sache waren. So haben sie die Geschichte und die Botschaft mit Leben gefüllt.

Das Gleichnis Jesu, das dem Musical zu Grunde liegt, dürfte den allermeisten bekannt sein. Trotzdem nochmal zur Sicherheit eine Kurzfassung: Der jüngere von zwei Söhnen eines Landwirts möchte das Leben entdecken. Er lässt sich sein Erbe ausbezahlen und zieht weg in ein fernes Land. Dort bringt er sein Erbteil durch mit Partys und anderen Freuden. Als er pleite ist, kommt eine Hungersnot über das Land. Er nimmt eine Stelle bei einem Schweinezüchter an, aber dort darf er nicht mal etwas vom Schweinefutter nehmen. In seiner Not beschließt er, als Tagelöhner zu seinem Vater zurückzukehren, weil der seine Arbeiter fair behandelt. Aber sein Vater nimmt ihn nicht als Tagelöhner, sondern wieder als seinen Sohn an und richtet großes Fest aus, weil er wieder da ist. Der ältere Bruder, der immer treu bei seinem Vater geblieben ist und gearbeitet hat, ist eifersüchtig und will nicht mitfeiern. Der Vater redet ihm gut zu und versucht in ihm die Freude über den wiedergefundenen Bruder zu wecken.

Um es vorwegzunehmen: Ich erkenne mich in beiden Söhnen wieder. In dem leichtsinnigen jüngeren Bruder und in dem kleinlichen älteren. Und vielleicht ist das ein Schlüssel zu dem Gleichnis. Für beide hält das Gleichnis eine Botschaft bereit. Für den jüngeren: Trau Dich umzukehren, wenn Du merkst, dass Du auf einem Irrweg bist. Du kannst darauf vertrauen, dass Gott Dir eine neue Chance gibt. Und für den älteren: Spring über Deinen Schatten und gönne es anderen, dass Gott ihnen eine neue Chance gibt. Freu Dich mit ihnen und freue Dich an der Gemeinschaft in Gott.

Im Musical wurde die Sehnsucht des Jüngeren nach Leben anschaulich herausgearbeitet. Tagaus tagein dieselbe Schufterei – das kann doch nicht das ganze Leben sein! Ich könnte mir vorstellen, dass Euch das nicht ganz fremd ist. Es muss doch noch ein Leben jenseits der Schule geben. Freizeit, Hobbies, Partys. Und ab und zu mal die Vernunft Vernunft sein lassen und über die Stränge schlagen. Das gehört doch zum Leben dazu. Entdecken, was das Leben noch so bereithält, sich selbst ausprobieren, Fehler machen dürfen.

Der Vater in dem Gleichnis gesteht das seinem Sohn zu. Auch wenn ihm das vermutlich nicht leichtgefallen ist. Es ist immer schwer, die eigenen Kinder gehen zu lassen, wenn es sie von zuhause wegzieht. Erst recht, wenn man einen Familienbetrieb hat, von dem man sich wünscht, dass er weitergeführt wird. Aber der Vater stellt sich dem Wunsch des Sohnes nach Freiheit nicht in den Weg. Gott gesteht uns zu, unsere eigenen Wege zu gehen.

Darin, dass der Sohn seinen eigenen Weg gehen will, kann ich also nichts Schlimmes erkennen. Auch dass er sein Geld verschleudert, ist in meinen Augen eher dumm als böse. Es ist ja sein Eigentum, der Anteil am Erbe, der ihm zustand. Zum verlorenen Sohn wird er eigentlich erst, als er sich nicht traut, seinem Vater unter die Augen zu treten. Nachvollziehbar ist auch das. Wer steht schon gerne als Versager da? Auch der Kampf mit dem Stolz war in dem Musical überzeugend dargestellt. Aber darin steckt halt auch ein Stück fehlendes Vertrauen in den Vater.

Deshalb ist für mich der entscheidende Moment dafür, dass aus dem verlorenen der wiedergefundene Sohn wird, der, als er neues Vertrauen zu seinem Vater fasst. Dabei kommt er nicht mit überzogenen Forderungen. Ein Anrecht auf die Sohnschaft hat er nicht. Er hat seinen Anteil schon bekommen. Aber er vertraut darauf, dass sein Vater ihn fair behandeln wird. Dass der Vater weit darüber hinausgeht, erwartet er nicht und kann er auch nicht erwarten. Gottes Güte ist nichts, was wir einfordern können. Aber wir können uns von ihr überraschen und beschenken lassen.

Und der ältere Bruder? Er freut sich kein bisschen über die Rückkehr des Jüngeren. Und ehrlich gesagt: Ich kann auch ihn verstehen. Er hat seinem Vater die Treue gehalten. Er hat hart dafür gearbeitet, den Betrieb gemeinsam mit seinem Vater am Laufen zu halten. Er war in jeder Hinsicht verantwortungsvoll und vernünftig. Und jetzt, wo der Bruder zurückkommt, der all das nicht war, veranstaltet der Vater ein Riesenfest. So viel Aufmerksamkeit hat er die ganz Zeit über nicht bekommen. Das ist übrigens gar nicht so selten, dass den Kindern, die sich weniger kümmern, die größere Aufmerksamkeit von den Eltern geschenkt wird. Und auch die Sorge, dass sein Erbteil jetzt bedroht sein könnte, ist ja nicht völlig unberechtigt.

Der Vater versucht, ihn zu beruhigen. Er will nicht schon wieder einen Sohn verlieren. Der ältere Sohn kann ihm weiterhin vertrauen. „Alles, was mein ist, ist dein.“ Und er versichert dem verunsicherten Sohn, dass ihm seine ungebrochene Liebe gilt. Diese ist für den älteren Sohn vielleicht so selbstverständlich geworden, dass er sie gar nicht mehr wahrnimmt. Der Vater will ihm klarmachen, dass er nichts verliert, dadurch dass sein Bruder zurück ist, sondern dass sie alle drei gewinnen.

Ob der ältere Bruder sich darauf einlassen kann? Im Gleichnis wird das offen gelassen. Im Musical feiert er am Ende mit. Wir wissen nicht, wie die Geschichte ausgeht. Ungerechtigkeit, auch wenn sie vielleicht nur vordergründig als solche erscheint, ist schwer auszuhalten. Aber: Ist es im Schmollwinkel der Rechtschaffenheit wirklich so beglückend? Der ältere Bruder hat viel zu gewinnen, wenn es ihm gelingt, über seinen Schatten zu springen. Der Vater zwingt ihn nicht; er lädt ihn ein. Es bleibt die Entscheidung des älteren Bruders, ob er diese Einladung annimmt.

Wie gesagt: Ich erkenne mich in beiden Brüdern wieder. Das kann es mir leichter machen, zu akzeptieren, wenn anderen eine neue Chance gegeben wird, über die ich mich geärgert habe. Das kann es mir vielleicht sogar möglich machen, selbst zu vergeben und anderen eine neue Chance zu geben. Und umgekehrt: Wenn ich nachvollziehen kann, wie schwer es manchmal fällt, zu akzeptieren, wenn Fehler nicht geahndet werden, kann ich vielleicht Geduld mit Menschen entwickeln, denen es schwer fällt zu vergeben – mir oder anderen.

Unter dem Strich ist der Vater beiden Söhnen gegenüber großherzig. Wo wir uns dieser Großmut Gottes aussetzen, kann sie ansteckend wirken. Eine Gemeinschaft, die von Großmut und Fehlertoleranz geprägt ist, wünsche ich mir für auch für unsere Schule.

Arnold Glitsch-Hünnefeld