Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.
Ein frohes Weihnachtsfest!
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.“ Mit diesen Worten beginnt die Verheißung aus Jesaja, die wir zum Eingang gesprochen haben. Von einem Volk im Finstern ist die Rede und von einem Volk, das unterwegs ist. Trifft das auf uns zu? Ja und nein.
Im weltweiten Vergleich und auch im Vergleich mit vielen Menschen in Deutschland geht es den meisten von uns gut. Jedenfalls, wenn man auf das Materielle schaut, also darauf, wieviel wir zum Leben haben. Trotzdem kennen wohl alle von uns Finsternisse. Im Persönlichen: Druck in der Schule. Zuletzt haben sich bei vielen die Klassenarbeiten und Klausuren gehäuft. Einsamkeit; sich fremd in der Klasse fühlen oder auch fremd sich selbst gegenüber. Depressionen, Sorgen um einen lieben Menschen oder eine eigene Krankheit. Und auch der Blick über den eigenen kleinen Bereich hinaus stößt auf viel Dunkelheit: Der Hunger in der Welt, die Kriege, der Klimawandel und vieles andere mehr.
„Das Volk, das im Finstern wandert.“ Wandern wir? Wir haben ein Zuhause, einen Ort, wo wir hingehören. Menschen bei denen wir gut aufgehoben sind. Und doch sind wir auch unterwegs, entwickeln wir uns, bleiben wir nicht stehen. Hoffentlich jedenfalls. Der Advent ist eine Zeit der Bewegung. Wir gehen Gottes Ankunft entgegen. Noch ist es nicht Weihnachten, aber es ist schon zum Greifen nah.
Die Bilder des Adventskalenders im Foyer bringen das zum Ausdruck. Wir haben gehört, was Schülerinnen und Schüler in ihnen sehen. Im ersten Gottesdienst sind noch andere Beobachtungen zur Sprache gekommen. Auf zwei Bildern sind es nur Schafe, zu denen der Enge spricht. Allen, auch ihnen gilt die Weihnachtsbotschaft. Es sind ganz verschiedene Schafe. So individuell und unterschiedlich wie wir. Und doch ist es eine Herde, eine Gemeinschaft. Auf einem anderen sind die Hirten zu sehen, die jubeln und die Freude der Menschheit über Weihnachten symbolisieren.
Die Krippe und der Stall – mehrfach nur als Silhouetten dargestellt – stehen für Demut und Einfachheit. Und zugleich die Konzentration auf das Wesentliche: Die Geburt Jesu. Stern und Engel wurden als Verbindung der himmlischen und der irdischen Welt gedeutet. Und immer wieder kommt in den Interpretationen das Licht zur Sprache. Das Licht des Engels oder des Sterns.
Allen ist die Botschaft von Weihnachten verkündet. Nicht nur den Reichen und den Schönen, sondern den Hirten und den Schafen. So unterschiedlich sie -, so unterschiedlich wir alle sind. Die Menschen, die diese Botschaft annehmen, bilden eine Gemeinschaft über alle Grenzen hinweg. Manchmal ist es mühsam, dass wir so verschieden sind. Aber im Licht der Botschaft von Weihnachten können wir den Reichtum darin erkennen.
Die Ärmlichkeit und Einfachheit von Stall und Krippe stehen im Kontrast zum Glanz und Glamour, mit dem Weihnachten heute oft versehen wird. Der Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller-Center wird von 50.000 LED-Lichtern erstrahlt. Dahinter verblassen Stall und Krippe scheinbar. Aber gerade in ihrer Bescheidenheit liegt Ruhe, nach der viele von uns sich sehnen. Eine stille Freude. In der Einfachheit liegt Orientierung mitten zwischen den funkelnden Ablenkungen. In der Bescheidenheit liegt die Konzentration auf das Wesentliche: Jesus Christus ist geboren. Gott wird Mensch.
Für mich ist das auf faszinierende Weise in dem damals noch unfertigen Bild ausgedrückt, das auch viele Schüler*innen angesprochen hat. Der helle Strahl am Himmel wirkt fast wie ein Riss in der Finsternis. „O Heiland reiß die Himmel auf!“ Darüber haben wir vor zwei Wochen nachgedacht. Das göttliche Licht scheint durch das Dunkel hindurch. Die Verbindung zwischen Himmel und Erde, in Jesus Christus wird sie Wirklichkeit: Gott wird Mensch. Seine Geschichte verbindet sich mit unserer Geschichte. Unsere kleinen Lebensgeschichten werden zu Gottes eigener Geschichte. Er erlebt unsere Finsternis und unsere Freude. Nichts von dem, was uns widerfährt, ist ihm fremd.
Und er bringt sein Leben, seine Liebe in unser Leben. Das Kind in der Krippe, Jesus, wird später vorleben, in finsteren Zeiten ein Licht zu sein. „Ich bin das Licht der Welt“ sagt er von sich. Und uns sagt er zu: „Ihr seid das Licht der Welt.“
Licht in der Dunkelheit. Das Motiv, das am häufigsten in den Interpretationen genannt wurde. Manchmal ist es schwer zu sehen angesichts der Finsternisse, die ich eingangs erwähnt habe. Aber es ist da. Vielleicht vorerst nur als Riss im Dunkel. Das können Kleinigkeiten sein. Weihnachtliche Bräuche. Ein Plätzchen, eine Kerze, ein Geschenk. Kleine Lichter, die die Seele wärmen und ihr Widerstandskraft gegen die Dunkelheit geben. Licht kann im Schulalltag aufgehen.
Da, wo jemand, der sich schwer damit tut, Anschluss zu finden, Freunde findet – in einer AG oder doch auch in der Klasse. Ein freundliches Wort oder eine helfende Hand können zu Licht-Blicken werden. Und manchmal bricht das Licht auch in das große Weltgeschehen ein. Wie es mit Syrien weitergehen wird, liegt noch im Dunkeln. Aber allein, dass es möglich ist, dass ein Tyrann wie Assad gestürzt wird, ist ein Lichtstrahl. Das Dunkel, für das er stand, ist nicht undurchdringlich. Es behält nicht das letzte Wort.
Ich hatte vorhin gesagt, dass das Bild mit dem Lichtstrahl nicht fertig war. So ist es im Adventskalender zu sehen. Der Stern überstrahlt den ganzen Himmel. Das Weihnachtsgeschehen ist so bedeutend, dass der Himmel reagiert. Uns ist zugesagt, dass einst der Stern wieder aufgehen wird wie in der heiligen Nacht. Dass aus dem Lichtspalt wieder ein strahlender Stern wird. Dass Hunger, Krieg und Unterdrückung endgültig überwunden werden. „Das Volk, das im Finstern wandert, sieht ein großes Licht.“ Gehen wir gemeinsam darauf zu.
Arnold Glitsch-Hünnefeld