Das Haus ist zerbrochen
Einweihung eines Mahnmals

Am 09. November wurde im Kirchgarten der katholischen Kirche Wangen der im Oktober 1940 in das Lager Gurs in Südwestfrankreich deportierten badischen Juden gedacht, darunter auch Mitbürger aus Wangen. Im Rahmen einer berührenden Feierstunde wurde ein von Schülern erstellter Gedenkstein eingeweiht.
Ein halbes, zunächst unscheinbares Häuschen, aus einem Stein herausgearbeitet, die Namen der letzten Juden von Wangen wie überdimensionierte Klingelschilder in die Wände eingearbeitet, das Ensemble flankiert von Fackeln auf einem Sockel im Wangener Kirchgarten – passend inszeniert durch Novemberstimmung mit Nebel bei einbrechender Dunkelheit – so präsentierte sich das Mahnmal zum Gedenken an die nach Gurs deportierten Juden aus der Gemeinde. Es war gemeinsames Anliegen von Schülern, Eltern, Lehrern von Schloss Gaienhofen und Bürgern aus Wangen und von der Höri, ein Zeichen für das friedliche Miteinander von Religionen und gegen das Vergessen zu setzen.

Mit der von der Gemeinde Wangen und der Evangelischen Schule Schloss Gaienhofen ausgerichteten Feier entfaltete sich die Bedeutung des Gedenksteins, der im Lauf des letzten Jahres unter Schülerhänden entstanden war und von den beiden Initiatoren des Projekts und Leitern der Courage & Demokratie AG, Julian Hobinka und Nathalie Dittmann, unterstützt wurde. Bei der Suche nach einem geeigneten Standort kooperierte die Schule eng mit der Gemeinde Wangen und ihrem Ortsvorsteher Klaus Sturm sowie der Firma Hangarter aus Bankholzen, die die Bodenplatte stiftete.
Der Gedenkstein hat die Form eines zerteilten Hauses mit einem sogenannten Walmdach, eine damals typische Bauweise jüdischer Häuser in Deutschland. Die andere Hälfte des Hauses befindet sich in Neckarzimmern, wo sie bereits am 19. Oktober in einer Feierstunde eingeweiht wurde. Dort stehen 130 weitere Gedenksteine von Schülern aus Baden, die, angeordnet auf einem Davidstern, an die am 22. Oktober 1940 von Baden nach Gurs deportierten Juden erinnern. Renate Kreplin war als Vertreterin des Fördervereins „Mahnmal Neckarzimmern“ ebenfalls angereist, um ihrer Anerkennung für das Engagement der Courage & Demokratie AG Ausdruck zu verleihen. Der Freundeskreis „Jacob Picard“ aus Wangen, vertreten durch Anne Overlack, hatte Anerkennungen für die beteiligten Schüler vorbereitet und überreichte diese im Rahmen der Feier.
Gerahmt wurde die Gedenkfeier von einer kleinen Ausstellung im Eingangsbereich der Schule. Vom 3. – 7. November wurde dort die jüdische Geschichte Wangens beleuchtet. Ein Video zeigte Ausschnitte eines Zeitzeugeninterviews mit Gert Wolf, dem Sohn des letzten jüdischen Mitbürgers aus Wangen.
Schulpfarrer Arnold Glitsch-Hünnefeld machte in seinem geistlichen Impuls bewusst, dass die Kirchen sich in der NS-Zeit zu wenig schützend vor die Juden gestellt hätten und dass auch Luther eine antisemitische Haltung an Tag gelegt und sich damit in eine lange Tradition christlichen Antijudaismus‘ gestellt hatte. Christen seien nach neueren Erkenntnissen jedoch untrennbar mit den Juden verbunden – und deshalb sei in besonderer Weise zu würdigen, wenn junge Menschen Courage zeigten und diskriminierenden Haltungen entgegenträten, so Glitsch-Hünnefeld.
Der kommissarische Schulleiter, Dr D. Schumacher, führte den Gedanken fort. Die Schüler, die das Mahnmal realisiert haben, übernähmen damit Verantwortung und trügen selbst dazu bei, dass die Gedenkarbeit nicht mit der Errichtung dieses Mahnmals ende, sondern mit dieser gerade erst beginne. Er appellierte an die Anwesenden, die jungen Menschen darin zu unterstützen, das kulturelle Gedächtnis zu bewahren. Dessen Gestaltung dürfe nicht denen überlassen werden, die mehr an einer rechten Instrumentalisierung der Vergangenheit und der damit verbundenen Herabwürdigung und Marginalisierung von Teilen unserer heutigen Gesellschaft interessiert seien.
Lily Dinter, aktiv an der Gestaltung des Steins beteiligte Schülerin, griff in ihrer Ansprache das Bild des Hauses auf – in Form einer Textcollage aus Zitationen von Jacob Picard, dem jüdischen Dichter aus Wangen, sowie Worten von Gert Wolf und Hannelore König, den Kindern der letzten jüdischen Familie aus Wangen. Drei Jahrhunderte lang sei das friedliche Zusammenleben von jüdischen und christlichen Mitbürgern möglich gewesen. Mit dem nationalsozialistischen Regime sei das Haus ins Wanken geraten, bis zu dem Punkt, an dem „die Existenz der Juden im Dorf Wangen (…) vergessen (wird), gewaltig aus der Geschichte des Dorfes hinausgerissen. Aus dem Haus gesprengt.“
„So wollen wir mit unserem Mahnmal an die persönliche Geschichte unserer Gemeinde Wangen erinnern. An die Zerrissenheit, die Kultur, den Wiederaufbau. An die einzelnen Leben derer, die ermordet wurden. Und daran, dass wir nie vergessen.“ (Lily Dinter)
Unser Dank gilt….
… den Schülern der Courage-AG
Letizia Cortessi
Lisa Dachauer
Lily Dinter
Runa Günter
Annie-Maj Herr
Timo Lejoly
Liana Ruf
Helen Schmidt
Antonia Schubach
Tim Speckert
… den beteiligten Mitarbeitern von Schloss Gaienhofen:
Nathalie Dittmann
Julian Hobinka
Harald Björnsgard
… der Gemeinde Wangen
Ortvorsteher Klaus Sturm
Tom Leonhardt
Familie Wolf – stellvertretend Deborah Wolf
Katholische Kirche Wangen: Heinz Vogel
… und den Förderern
Schlosserei (Sockel des Mahnmals)
Firma Hangarter (Bankholzen)
Renate Kreplin (Förderverein Mahnmal Neckarzimmern)
Anne Overlack (Freundeskreis Jacob Picard)





























