„Aufbruch“
Mittwochsandacht_online

Wieder einmal gab es eine Ausstellung im Evangelischen Gemeindehaus. Diesmal lag sie allerdings genau in den drei Wochen, in denen keine Mittwochsandachten stattgefunden haben. Deshalb kann ich bei der Andacht heute nicht mehr für die Ausstellung werben.
Trotzdem lohnt sich ein Rück-Blick auf die ausgestellten Werke. Sie stammten diesmal von zwei Schwestern. Der Schwerpunkt von Nora Löbe ist die Malerei. Die ausgestellten Bilder waren abstrakt, vom Spiel und der Kommunikation der Farben geprägt. Daneben wurden von ihr noch einige Lichtinstallationen gezeigt, bei denen ebenfalls das Farbspiel im Zentrum stand. Vera Floetemeyer-Loebe ist Bildhauerin. In der Mehrzahl der von ihr gezeigten Plastiken waren Materialien verarbeitet, die sie gefunden hat – meist aus Holz. Zum Teil waren in ihre Plastiken Figuren integriert, die sie gefertigt hat.
Auf dem Plakat für die Ausstellung waren ein Bild und eine Plastik miteinander kombiniert. Pfr. Klaus hat beim Eröffnungsgottesdienst für die Ausstellung zu diesen beiden Kunstwerken gepredigt. Ich fand die Predigt spannend. Denn beim Zuhören ist mir aufgefallen, dass die beiden Werke bei mir ganz andere Assoziationen geweckt haben. Einmal mehr zeigt sich, dass Kunst einen weiten Raum der Interpretation öffnet. Was seht ihr in dem Bild? … Was seht ihr in der Plastik? … Welche Gedanken löst die Kombination aus beiden bei Euch aus?
Der Titel der Ausstellung war „Aufbruch“. Und dazu war auf dem Plakat diese Kombination zu sehen. Wer oder was bricht auf? Werden die dunklen Farbtöne der rechten Bildhälfte durch das helle Blau von links aufgebrochen? Brechen die senkrechten Holzstücke die flächige Struktur des Bildes auf? Bricht die Farbe in die Form auf? Brechen neue Betrachtungsweisen meinen Horizont auf? Brechen wir auf in eine offene Zukunft?
Für meine Gedanken war zunächst das Material bedeutsam, mit dem Vera Floetemeyer-Löbe gearbeitet hat: Strandgut; Treibholz. Totes Holz, das der See an den Strand gespült hat. Gleichgültig, vergessen, Endstation. Außerdem hat bestimmt eine Rolle gespielt, dass die Ausstellung in der Passions- und Osterzeit gezeigt wurde. Auf dem Hintergrund dieser Kirchenjahreszeit habe ich in den beiden Werken die Themen Tod und Auferstehung entdeckt. Und das in verschiedenen Variationen.
Einerseits sehe ich eine Bewegung durch das tote eintönige Gehölz in die lebendigen Farben des Bildes. Andererseits entdecke ich in dem Bild eine kreuzförmige Struktur. In der rechten Bildhälfte sehe ich Rot wie Blut und Dunkel wie die Nacht. Jesu Leiden und Sterben am Kreuz; das Blut seiner Wunden; die Nacht der Gottverlassenheit. Und die umgekehrte Bewegung entdecke ich in der Plastik: Jesus ist gestrandet; er fand seinen Tod am Holz. Doch ausgerechnet das gestrandete, tote Holz steht für den Aufbruch in ein neues Leben. Durch seine Verwendung in dem Kunstwerk erhält das tote Holz einen neuen Sinn. Die Hölzer liegen nicht mehr kreuz und quer am Ufer, sondern sie sind aufgerichtet wie ein kleines Wäldchen. Eine künstlerische Auferstehung.
Bemerkenswert ist auch: Es ist nicht ein Holz, sondern es sind viele Hözer. Im 1. Korintherbrief beschäftigt sich Paulus mit der Auferstehung der Toten. Offenbar gab es in Korinth Menschen, für die ausgeschlossen war, dass es eine Auferstehung der Toten geben könne. Ihnen hält Paulus entgegen: Wenn Gott Jesus von den Toten auferwecken konnte, dann ist er grundsätzlich dazu in der Lage. Jesus ist der Erste, der auferstanden ist, und die, die zu ihm gehören, werden ihm einst folgen. Auferstehung der Vielen.
Gegen Ende dieser Überlegungen in 1.Kor 15 kommt Paulus zu der Erkenntnis: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg!“ In den beiden Kunstwerken ist der Tod verschlungen in das Leben. Im Bild und in der Plastik je für sich. Und erst recht in der Kombination von beiden. Auferstehung nicht erst am Ende der Zeit, sondern schon im Leben. Auferstehung in der Gemeinschaft der Glaubenden, wie in der Vielzahl der Hölzer.
Leben aus der Auferstehung bedeutet, sich nicht mit den Mächten des Todes abzufinden, sondern darauf zu vertrauen, dass Gott ein „Trotzdem!“ bereithält. Das gilt für die schlimmen Ereignisse in der Welt. Teile der Ukraine, der Gazastreifen und andere Gebiete der Welt sind gegenwärtig Todeszonen. Leben aus der Auferstehung heißt, darauf zu vertrauen: Auch dort wird es eine Auferstehung geben. Ein Leben jenseits von Krieg und Unterdrückung. Ein Leben in Gemeinschaft, Selbstbestimmung und Freiheit. Für die Menschen in der Ukraine. Für die israelischen Geiseln und die Palästinenser. Und entsprechend mit den Menschen umzugehen.
Auch im Schulalltag gibt es dunkle Erfahrungen. Hoffentlich bleiben sie unseren Abiturient*innen weitgehend erspart, die gerade ihre schriftlichen Prüfungen haben. Aber Krisen und Scheitern wird wohl jede und jeder mal in seinem Schulleben erfahren. Aus der Auferstehung leben heißt, einander in solchen Situationen tragen. Als Klasse und als Schulgemeinde. Gemeinsam wachst ihr, wachsen wir auch durch Krisen hindurch. Ihr wachst als Persönlichkeiten und wir wachsen als Gemeinschaft. Begleitet von Gott, dem in Jesus Christus keine menschliche Erfahrung fremd ist. In seiner Gegenwart ist jeder Tag ein Aufbruch ins Leben.
Arnold Glitsch-Hünnefeld