Zum Erfolg verdammt

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Steffen Drescher / pixelio.de

„Ich habe nicht versagt. Ich habe mit Erfolg zehntausend Wege entdeckt, die zu keinem Ergebnis führen.“ Dieser Satz stammt von Thomas Edison, dem Erfinder der Glühbirne und zahlreicher weiterer Innovationen. Etwas Neues zu versuchen, ist immer mit dem Risiko des Scheiterns verbunden. Edison würde sogar sagen: Scheitern gehört dazu. Es muss in Kauf genommen werden, wenn unbekannte Wege beschritten werden sollen, die nötig sind, damit Neues entstehen kann.

Das ist so ziemlich das Gegenteil der Redewendung, dass Menschen, Regierungen, Projekte „zum Erfolg verdammt“ seien. Ich habe den Eindruck, dass diese letztere Haltung gegenwärtig unsere Gesellschaft im Großen wie im Kleinen bestimmt. Wer etwas wagt, wird misstrauisch beäugt. Und wenn das Wagnis misslingt, ist die Öffentlichkeit schnell dabei, den Stab über die Verantwortlichen zu brechen und einen Shitstorm auszulösen. Ich denke, das tut uns nicht gut. Weder in der großen Politik noch im kleinen Rahmen.

Morgen beginnt an unserer Schule die Projektwoche. An anderen Schulen gibt oder gab es so etwas schon lange. Ich habe als Schüler vor 40 Jahren schon an Projektwochen teilgenommen. Für unsere Schule ist die Projektwoche etwas Neues. Und wie immer, wenn etwas Neues versucht wird, gibt es die skeptischen Begleitstimmen: „Der Zeitpunkt ist ungünstig gewählt.“ Das ist wohl so, aber wir haben das im letzten Schuljahr nun einmal so beschlossen. „Das Ganze ist doch sowieso Zeitverschwendung. Die Zeit wäre in regulären Unterricht besser investiert.“ Das muss sich erst noch zeigen. „Die Schüler*innen nutzen die Projektwoche doch nur, um gefühlt die Ferien vorzuziehen.“ Vielleicht haben unsere Schüler*innen etwas mehr Vertrauen verdient.

Lassen wir uns doch erst einmal auf das Experiment „Projektwoche“ ein. Ich kann mir vorstellen, dass es für Viele eine Bereicherung darstellen wird. Sie arbeiten mit Schüler*innen aus anderen Klassen und Stufen zusammen. Sie stellen gemeinsam etwas auf die Beine. Sie beschäftigen sich mit Dingen, zu denen sie sonst vielleicht nie einen Zugang bekämen. Natürlich besteht die Möglichkeit des Scheiterns. Dass zum Beispiel der Ertrag den Aufwand nicht rechtfertigt. Ein solches Scheitern wäre dann im Nachhinein zu analysieren. Es wäre zu prüfen, ob das Projekt Projektwoche grundsätzlich nicht zu unserer Schule passt oder ob es Dinge gibt, die man verändern könnte, um es das nächste Mal besser zu machen.

Auch andere Veranstaltungen an unserer Schule waren von Skepsis begleitet – mal von außen, mal von den Verantwortlichen selbst – und haben sich dann als Erfolge entpuppt. Der Wintertanzball zum Beispiel war im Vorfeld nicht unumstritten und dann ein bezaubernder Abend für alle Beteiligten. Und die Theateraufführungen als solche sind zwar kein neues Projekt, aber jedes einzelne Stück ist ja immer neu und nur für diese Aufführungen geschrieben. Ich habe erlebt, wie nervös Maggie Schlenker noch am Tag vor der Premiere war. Die Aufführungen waren dann einmal mehr grandios und sehr berührend. Danke, dass Ihr Euch auf das Wagnis eingelassen habt.

„Zum Erfolg verdammt“, das ist im Übrigen eine ganz unevangelische Vorstellung. Luthers Rechtfertigungslehre sagt doch gerade aus, dass wir mit unseren Fehlern, unserem Scheitern, sogar mit unseren dunklen Seiten bei Gott angenommen sind, wenn wir uns ihm anvertrauen. Wie für Edison so gehört auch für Luther das Scheitern untrennbar zum Menschsein dazu. Wir sind immer „simul iustus et peccator“, gleichzeitig Gerechtfertigte und Sünder, schreibt er. Und er zieht daraus die Konsequenz: „Pecca fortiter!“, Sündige tapfer! Das meint natürlich nicht, dass man gezielt das Böse tun soll, sondern dass man überhaupt etwas tun soll – auch auf die Gefahr hin, dass es schief geht. So befreit der Glaube an die Rechtfertigung zum Handeln.

Im besten Fall kann ein Scheitern dazu dienen, daran zu wachsen. Über den Abi-Streich wurde schon viel geredet. Da ist einiges aus dem Ruder gelaufen. Es gab heftige Reaktionen und reichlich Verstimmung. Dann aber wurden Gespräche miteinander geführt. Beide Seiten hatten die Größe, öffentliche Entschuldigungen auszusprechen. Es gab einen Abi-Streich 2.0 – ein Novum – und beim Abiball konnten alle Beteiligten miteinander über die Ereignisse lachen. Ich denke, künftige Abiturient*innengenerationen und die Schulleitung haben etwas für kommende Jahre gelernt. So hat eine missglückte Aktion alle ein Stück weiter gebracht.

Ein Text aus dem Neuen Testament, der den Zusammenhang von Scheitern und Neuanfang deutlich macht, ist vermutlich den allermeisten hier bekannt: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der jüngere Sohn probiert sich aus. Er wagt den Schritt in ein unbekanntes Leben. Er verbrennt jede Menge Geld und landet in einer Sackgasse. Hätte er das Ganze besser lassen sollen? So sieht es zumindest sein älterer Bruder. Und dessen Ärger ist ja durchaus verständlich. Aber der Vater gibt dem Jüngeren eine zweite Chance. Und dieser hat aus seinem Scheitern etwas gelernt. Das zeigt sich schon an der demütigen Haltung, mit der er seinem Vater begegnet. Er ist durch sein Scheitern erwachsen geworden.

In der zurückliegenden Woche haben unsere Realschulabsolvent*innen und unsere Abiturient*innen ihre mündlichen Prüfungen abgelegt. Viele sehr erfolgreich. Einige weniger. Und vor Euch übrigen Schüler*innen liegt der Schuljahresabschluss mit den Zeugnissen. Auch da wird es Erfolge und Misserfolge geben. Wo Ihr gute Resultate erzielt habt, freut Euch darüber. Wo es nicht gut gelaufen ist, lasst Euch nicht entmutigen. Wie heißt es so nett? „Aufstehen, Krönchen Richten, Weitermachen!“

Und bevor Ihr jetzt denkt „Der hat gut reden, der hat seine Abschlüsse doch alle in der Tasche“: Ich habe – wie jeder Mensch – auch meine Erfahrungen mit dem Scheitern. Meine hochfliegenden Pläne einer Karriere an der Uni zum Beispiel waren mit der Doktorarbeit, die nie fertig geworden ist, beendet. Manchmal schmerzt dieses Scheitern immer noch ein bisschen. Aber ich bin glücklich damit, dass ich Pfarrer geworden bin, glücklich mit den Erfahrungen, die ich in der Gemeinde und im Oberkirchenrat gesammelt habe, glücklich, dass ich jetzt hier bin. Und ich bereue die Zeit, die ich in die Doktorarbeit investiert habe, nicht. Ich habe viel gelernt – über das Thema und über mich selbst.

Also: Traut Euch, etwas zu tun. Traut Euch, neue Wege zu gehen. Habt keine Angst vor dem Scheitern. Edison hat 10.000 Dinge erfunden, die zu nichts nütze waren. Aber ohne seine vergeblichen Versuche gäbe es bis heute vielleicht kein elektrisches Licht. Lasst Ihr Euer Licht leuchten und vertraut darauf, dass Gott Euch – auch durch das Scheitern hindurch – zu guten Zielen leiten wird.

Arnold Glitsch-Hünnefeld