Wie ein Fisch im Wasser

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Ein lang vermisstes Bild: Bunte Badekappen bewegen sich durchs Wasser von Steckborn nach Gaienhofen. Nach zwei Jahren coronabedingter Unterbrechung fand endlich wieder das traditionelle Seeschwimmen statt.

Es war ein Stück Rückkehr zur Normalität und zugleich eine willkommene Unterbrechung des Alltags. Wie groß die Sehnsucht nach Rückkehr zur Normalität ist, zeigt die außergewöhnlich hohe Beteiligung in diesem Jahr. 80 Schwimmerinnen und Schwimmer sind schon ein Wort. Auch bei mir meldete sich die Sehnsucht. Frei nach Reinhard Mey: „Ich wär‘ gern mitgeschwommen“.

Aber es hat nicht sollen sein. Denn auch das gehört zur Normalität des Seeschwimmens: Mit irgendwas kollidiert es immer. In diesem Fall mit mündlichen Abschlussprüfungen, die zeitgleich stattfanden. Deshalb stieß der Termin des Seeschwimmens auch nicht überall auf restlose Begeisterung. Prüfungen sind „vorrangiges Dienstgeschäft“. Das stimmt. Und es wäre sicher besser, wenn das Seeschwimmen sich in Zukunft nicht gerade mit Prüfungen überschneiden würde.

Aber das Andere stimmt auch: In der Schule darf es nicht nur Dienstgeschäft geben. Die Schule ist für uns alle ein Lebensort. Und Ereignisse, die der Schulseele wohltun, dürfen nicht zu kurz kommen. Wir brauchen die Unterbrechungen des Alltags. Nicht nur jenseits der Schule an Wochenenden und in Ferien, sondern auch innerhalb unserer Schulgemeinschaft.

Corona hat diese Notwendigkeit noch einmal verstärkt. Lange Zeit war die vordringliche Frage, wie das Dienstgeschäft unter Pandemiebedingungen aufrechterhalten werden konnte. Es gab zwar Abstriche, aber es ist doch ganz ordentlich gelungen. Auch in diesem Jahr sind die Realschul- und die Abiturprüfungen insgesamt sehr erfolgreich gemeistert worden.

Aber die Coronazeit hat Kraft gekostet. Auch deshalb ist das Bedürfnis nach Ereignissen wie dem Seeschwimmen so groß. Und Corona wird uns noch geraume Zeit beschäftigen. Wir werden einen Weg finden müssen zwischen der Skylla einer fahrlässigen Sorglosigkeit und der Charybdis einer das Leben abschnürenden Übervorsicht. Dabei werden wir daran erinnert, dass wir nur eine sehr begrenzte Kontrolle über das Leben haben. „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt“ heißt es im Buch der Sprüche. Das ist kein Fatalismus, sondern ein Stück Lebensklugheit. Ich höre daraus die Kombination von Vorsorge und Gelassenheit.

Eine Hilfe zur Gelassenheit ist der See vor unserer Haustür. Ich sage manchmal: „Der See ist ein Stück Pädagogik, für das wir gar nichts tun müssen.“ Er hat einen wesentlichen Einfluss auf die Atmosphäre dieser Schule, auf diesen Lebensort Schule.

Und damit bin ich wieder beim Seeschwimmen. Es gehört – wie der See selbst – ein Stück zur Identität der Schule. Es ist Herausforderung und Freude, Individualsport und zugleich Gemeinschaftserlebnis. Darin hat es etwas mit dem Glauben gemeinsam.

Da ist zunächst einmal die Gemeinschaft der Schwimmenden. Gemeinsam ging es diesmal mit dem Schiff über den See nach Steckborn. Eigentlich hätte es dort eine Begegnung mit Schweizer Schülerinnen und Schülern geben sollen, die mit den Unseren über den See geschwommen wären. Aber die Terminverschiebung wegen des Wetters hat das leider zunichte gemacht. Auch das hat schon Tradition. Aber trotzdem ging eine große Gemeinschaft von Schwimmerinnen und Schwimmern an den Start.

Im Wasser sind die anderen zwar in der Nähe. Trotzdem ist hier jede und jeder ein Stück weit mit sich allein. Die 1200 Meter Strecke muss jede und jeder selbst überwinden. Das ist eine Herausforderung, aber gut machbar. Die Strömung kann einen schon mal aus der Ideallinie treiben – was dann vielleicht den ersten Platz kostet – aber gefährlich ist sie nicht. Ohnehin haben hier alle ihr eigenes Tempo. Die einen schwimmen mit viel Ehrgeiz um die ersten Plätze. Den anderen reicht es, dass sie nicht zu dicht an den Zielschluss geraten, und sie genießen die Abkühlung bei dem heißen Wetter.

Und sollte doch mal jemand Probleme bekommen – einen Krampf oder so – dann ist da der zweite Teil der Gemeinschaft: Die zahlreichen Begleiterinnen und Begleiter in den Booten, die die Strecke absichern. Ergänzt wird diese Gemeinschaft um die vielen Helferinnen und Helfer, die sich um die Logistik kümmern, die Zeiten nehmen und so weiter. Schließlich haben sich am Ziel viele Schaulustige eingefunden, um die Schwimmerinnen und Schwimmer anzufeuern. Dass deswegen in vielen Klassen der Unterricht der 5ten Stunde erst mit gehöriger Verspätung beginnen konnte – geschenkt. Manchmal ist die gemeinschaftliche Unterbrechung des Alltags eben wichtiger als das alltägliche Dienstgeschäft.

Wie gesagt: Ein bisschen ist das mit dem Glauben ähnlich. Glaube im Alltag und Glaube als Unterbrechung des Alltags. Beides hat seine Zeit und seine Berechtigung. Auch der Glaube ist einerseits ein individuelles Geschehen – die individuelle Beziehung zu Gott. Sinnbildlich geschlossen wird sie mit Wasser – bei der Taufe. Glaube ist zugleich eine Sache der Gemeinschaft.

Sich gemeinsam auf den Weg machen, gemeinsam Fragen stellen und Antworten suchen. Wenn der Glaube mal zum Problem oder zum Krampf wird, dann kann es hilfreich sein, wenn da andere sind, die einen tragen. Und gemeinsam den Glauben zu feiern, ist allemal schöner als nur allein im stillen Kämmerlein. Vielleicht ist es ja nicht nur dem griechischen Geheimzeichen geschuldet, dass der Fisch zum Symbol für den christlichen Glauben geworden ist. Darin drückt sich auch die erfrischende und lebensspendende Kraft des Glaubens aus. Die wünsche ich uns allen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld