Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.

Mittwochsandacht_online

Zum Jahresbeginn stehe ich traditionsgemäß hier vor der Schulgemeinde, um die diesjährige Jahreslosung auszulegen, wozu ich aus verschiedenen Quellen geschöpft habe.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Die diesjährige Jahreslosung wird von Stefanie Bahlinger in eine Grafik gesetzt:

Stefanie Bahlinger, Verlag am Birnbach

Eine geöffnete Tür: wer hat sie geöffnet und für wen? Ich sehe nur einen kleinen Ausschnitt des Raums dahinter. Wer und was erwarten mich, wenn ich mich nähere? Darf ich eintreten? Der Lichtkegel zeichnet einen Weg vor. Kein „Türsteher“, nur der Satz: „wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Dieser Satz ist der Weg, über den ich zum Licht, in den hell erleuchteten Raum kommen kann.

Auf einem Tisch liegt ein Brot, dicht daneben steht ein Glas Wein – Symbole des Abendmahls. Der Tisch ist nur angedeutet. Sonst sind keine Möbel zu sehen, kein Schrank, keine Stühle, auch keine Rückwand. Nur warmes, einladendes Licht, das von hinten den Raum füllt und sich nach außen hin ausbreitet. Ein überdimensionaler goldener Schlüssel in Form eines Kreuzes baumelt an einer Kette von oben herab. Das Kreuz als Schlüssel zum Leben, dessen Farbe und Struktur sich auf dem Brot wiederholt. Auch das Rot des Weines im Kelch findet sich wieder im Rot am linken Türrahmen. Der symbolhafte Inhalt des Glases wird so zugleich zum formalen Rahmen für den ganzen Raum, für die helle Verheißung darin.

Ansonsten bestimmen pastellige Blautöne die obere Bildhälfte, die sich mit den Braun- und Grautönen der unteren Bildhälfte vermischen. Himmelsfarben treffen auf erdige Töne. Der Ort schwebt zwischen Himmel und Erde.

Mir scheint, als habe uns die Künstlerin in ihrer symbolreichen Grafik nicht nur einen Ort, sondern zugleich den Gastgeber selbst vor Augen gemalt, der uns zu sich einlädt und verspricht:

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Das gilt auch für Jesu Einladung zum Abendmahl. Brot und Wein bilden die Mitte der Grafik. In ihnen ist Jesus selbst gegenwärtig. Nichts und niemand kann uns von ihm und seiner Liebe trennen. Auch nicht der Tod.

In seinen „Ich-Bin-Worten“ im Johannesevangelium stellt er sich als der von Gott Gesandte vor. Sie stecken voller Bilder und Vergleiche, die Stefanie Bahlinger in ihrer Grafik aufnimmt und zitiert:

„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern. Und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ (Johannes 6, 35)

„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, irrt nicht mehr in der Finsternis umher. Vielmehr wird er das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12)

„Ich bin die Tür. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet. Er wird hinein- und hinausgehen und eine gute Weide finden. Ich bin gekommen, um ihnen das wahre Leben zu bringen – das Leben in seiner ganzen Fülle.“ (Johannes 10,9 u. 10b)

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Es gibt keinen anderen Weg zum Vater als mich.“ (Johannes 14,6)

Was für ein Angebot, was für eine Einladung ist diese Jahreslosung! Wenn ich dieser Einladung Jesu folge, lerne ich seine Gastgeberqualitäten kennen.

Und – wir selbst? Welche Gastgeberqualitäten haben wir selbst als Menschen untereinander, in diesem neuen Jahr 2022? Ich habe auch diese bildliche Darstellung zur Jahreslosung gefunden:

Eva Jung, Verlag am Birnbach

Da wird es jetzt konkreter, mit diesem Abbild der Realität auf dem Mittelmeer, da geht es jetzt nicht mehr nur um mein persönliches Verhältnis zu Gott, sondern darum, ob ich selbst das Jesuswort der Jahreslosung umsetzen kann. Sicher nicht im bildlichen Sinn, als der Mann mit Helm links im Vordergrund. Aber ist diese Text-Bild-Collage nicht ein direkter Appell an uns Europäer? Uns als Gastgeber zu geben und nicht als Verteidiger einer Festung?

Mich katapultiert diese Darstellung der Jahreslosung 2022 in ein Gespräch am 1. Januar, unter Freunden, mit denen wir Silvester gefeiert hatten. Die Gastgeber berichteten von ihrer ehrenamtlichen Arbeit für Flüchtlinge aus Gambia: seit Jahren unterstützen die Beiden junge Menschen aus Afrika, hierher geflohen auch aus wirtschaftlicher Not. Einer lernt Bäcker und braucht wg. seines Arbeitsbeginns weit vor Tagesanbruch zum Schlafen ein Einzelzimmer, andere brauchen Unterstützung bei Behördengängen und Anträgen, beim Deutschlernen – solche Sachen.

Da gibt es mittlerweile gewachsene Verbindungen, auch von hier nach Gambia. Gisela war schon dort, Siggi sammelt hier alte Fahrräder, die nicht mehr gebraucht werden, und repariert sie „für den nächsten Container nach Gambia“, wie er sagt. Jetzt erzählte er von einem kleinen Mädchen aus der Familie eines ihrer Schützlinge, das brauchte eine lebensrettende Operation. – Diese und den wochenlangen Krankenhausaufenthalt und den Transport in die weit entfernt liegende Klinik wurde von meinem Freund bezahlt, einfach so, „weil das Geld gerade frei wurde und wir es nicht brauchten.“ – Respekt und Dank, Siggi, an dieser Stelle öffentlich, für dein selbstloses Handeln, für deine tätige Nächstenliebe, für deine so weit reichende Gastfreundschaft. So kann das neue Jahr gut anfangen!

Nun können nicht alle so großzügig handeln, müssen sie auch nicht. Aber es steht uns gut an, wenn auch wir im Alltag diesen Satz Jesu konkret als Handlungsleitlinie beherzigen: Das gilt auch für Ratsuchende, Fragende allgemein. So wie in dem biblischen Kontext bei Johannes, aus dem die Jahreslosung stammt. Hier reisen die Menschen Jesus nach, über den See Genezareth, und bestürmen ihn mit Fragen, und er antwortet geduldig. Viele solcher Gespräche schildert der Evangelist Johannes und leitet sein Evangelium mit den Worten ein: „Er kam in die Welt, die ihm gehört. Aber die Menschen dort nahmen ihn nicht auf. Aber denen, die ihn aufnahmen, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden.– Das sind alle, die an ihn glauben.“ (Johannes 1, 11 u. 12)

Ich möchte diese Andacht schließen mit einer dritten Darstellung zur Jahreslosung, von Heidi Reubelt, einer Künstlerin von hier aus Gaienhofen, deren bildliche Interpretation zur letztjährigen Jahreslosung in der „Brücke“ für 2021 ganz vorne zu finden ist. Ich finde, diese Umsetzung führt die beiden ersten Darstellungen zusammen, aber das soll jetzt jede und jeder selbst für sich einsortieren:

Heidi Reubelt, Gaienhofen

Heidi Reubelt schreibt selbst dazu:

„Wir sehen Kinder am Stacheldrahtzaun; es könnte eine Situation an der polnischen Grenze, im Flüchtlings-Camp oder an irgendeiner anderen Grenze sein. Kinder sind am wehrlosesten und deshalb besonders auf Geborgenheit und Schutz angewiesen.  Sie stehen hier bildlich für alle Menschen, die ihre Heimat verlassen (müssen), auf der Suche nach einer sicheren Existenz; in der Hoffnung, nicht abgewiesen zu werden! … Den Stacheldraht habe ich über die Bildfläche hinausgezeichnet, in den weißen Rand hinein. Das soll verdeutlichen: Verletzung durch Ablehnung, Abgewiesen-Sein, Ausgrenzung … setzt sich prägend fort, es sei denn, ich erfahre Annahme und Liebe, die heilend wirkt. So ist es bei Jesus Christus, der seine Arme und Hände (oben im Bild) öffnet und uns willkommen heißt: ‚Komm her zu mir, ich weise dich nicht ab. Bei mir bist Du willkommen, so wie Du bist!‘  Die offene Türe im unteren Bereich verstärkt diese Aussage.“

Lassen Sie uns, lasst uns das neue Jahr mit diesen Hoffnungszeichen und mit dieser Zusage Jesu beginnen. – Allen ein gutes neues Jahr!

D. Toder, Andacht zur Jahreslosung am 13. Januar 2022 (in teils wörtlicher Anlehnung an Renate Karnstein; Bibelstellen zitiert nach: BasisBibel Altes und Neues Testament, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart)