„Die Weihnachtsbotschaft in Einfalt empfangen“
Mittwochsandacht online
Antonio Zecca, Weihnachten (Monotypie; Dezember 2021)
Die Weihnachtskarte, die in diesem Jahr von unserer Schulleitung verschickt wird, ist eine Anregung und Herausforderung zum Nachdenken.
Das Bild auf der Karte ist einmal mehr von Antonio Zecca gestaltet. Es ist sehr reduziert. Ein einsamer Weihnachtsbaum auf weiter Flur. Ein Stern ein paar Kerzen. Etwas Wachs auf dem Boden – oder ist hier ein rotes Tuch angedeutet? Kein Lametta, kein weiterer Schmuck, keine Berge von Geschenken. Ein Hinweis auf Lieferengpässe, die bei so manchem Geschenk verhindern, dass es pünktlich unter dem Weihnachtsbaum landet? Oder hat Antonio Zecca einfach auf jede Ablenkung vom Symbol des Baumes verzichten wollen? So oder so: Ich sehe in dem Bild die Schönheit des Schlichten
Schlichtheit und Einfalt liegen sprachlich dicht beieinander. Über einfältige Menschen heißt es oft: „Er oder sie hat ein schlichtes Gemüt“. Im christlichen Glauben erfährt die Einfalt eine unerwartete Wertschätzung. So auch in dem Gedicht von Rainer Maria Rilke, aus dem ein Ausschnitt auf der Weihnachtskarte abgedruckt ist:
Geburt Christi
Hättest du der Einfalt nicht, wie sollte
dir geschehn, was jetzt die Nacht erhellt?
Sieh, der Gott, der über Völkern grollte,
macht sich mild und kommt in dir zur Welt.
„Gott kommt in dir zur Welt.“ Mit dem „Du“ in diesen Worten ist zunächst einmal Maria angesprochen, die Mutter, die Jesus austrägt und zur Welt bringt. Das Gedicht ist Teil eines Zyklus, den Rilke „Marien-Leben“ genannt hat. In diesen Gedichten ist Maria beides: Eine ganz normale Mutter eines Jungen und zugleich hat sie eine Ahnung davon, dass ihr Kind mehr ist als ein einfacher Erdenbürger. Diese Ahnung wird geweckt und genährt durch die Verkündigung des Engels vor ihrer Empfängnis, durch die Anbetung der Hirten und durch den Besuch der Weisen aus dem Morgenland.
Auf diesen Besuch nehmen die weiteren Strophen des Gedichts Bezug:
Hast du dir ihn größer vorgestellt?
Was ist Größe? Quer durch alle Maße,
die er durchstreicht, geht sein grades Los.
Selbst ein Stern hat keine solche Straße.
Siehst du, diese Könige sind groß,
und sie schleppen dir vor deinen Schoß
Schätze, die sie für die größten halten,
und du staunst vielleicht bei dieser Gift -:
aber schau in deines Tuches Falten,
wie er jetzt schon alles übertrifft.
Aller Amber, den man weit verschifft,
jeder Goldschmuck und das Luftgewürze,
das sich trübend in die Sinne streut:
alles dieses war von rascher Kürze,
und am Ende hat man es bereut.
Aber (du wirst sehen): Er erfreut.
Das unscheinbare Kind überstrahlt den Glanz der Geschenke und selbst den des Sterns. Größe liegt nicht in äußerer Pracht „Hast Du ihn dir größer vorgestellt?“ Wer einmal ein neugeborenes Kind in den Armen gehalten hat, weiß um den ungeheuren Eindruck, den so ein kleines hilfloses Wesen vermittelt. Dieser Eindruck ist nicht in Worte und schon gar nicht in intellektuelle Gedanken zu fassen. Er erschließt sich in aller Einfalt. „Wenn ich dies Wunder fassen will, so steht mein Geist vor Ehrfurcht still“ heißt es in einem Weihnachtslied.
„Gott, der über Völkern grollte.“ Ein weiterer Stolperstein in dem Gedicht. Die Schrecknisse der Welt wurden in biblischer Zeit als Folgen des Zornes Gottes verstanden. Rilke macht sich diese Bildsprache zu eigen. Bildlich gesprochen ist es ja durchaus vorstellbar, dass das Verhalten der Menschen Gott die Zornesröte ins Gesicht treibt. Heute greifen solche Erklärungen eher nicht mehr. Katastrophen oder auch Epidemien haben naturwissenschaftlich erklärbare Ursachen
Die Kernbotschaft des Evangeliums bleibt aber aktuell: Naturkatastrophen und die Folgen menschlichen Fehlverhaltens sind nicht das letzte Wort – ob man sie nun auf den Zorn Gottes zurückführt oder nicht. Gott macht sich klein und wirkt behutsam, von innen heraus, dagegen an. Diese Botschaft ist tatsächlich mit dem Verstand nicht zu fassen, so wertvoll dieser auch ist und so sehr wir auch gefragt sind, ihn einzusetzen. Die Weihnachtsbotschaft ruft in mir gläubiges Staunen hervor.
„Gott kommt in dir zur Welt.“ In einem weiteren Sinn ist mit diesen Worten nicht nur Maria angesprochen. Ich höre darin auch die Botschaft: Gott kommt in dir, du Menschheit, zur Welt. In dir, die du so oft Plage des Planeten und der Schöpfung bist. In dir, Menschheit, die du oft so hilflos und heillos zerstritten bist. In dir will Gott Wirklichkeit werden – aller Unwahrscheinlichkeit dieses Geschehens zum Trotz. Darin zum Beispiel wird Gott Mensch, dass ihr Menschen euren Verstand und Euer Herz einsetzt – füreinander und für die Welt.
Und noch mehr schwingt für mich in diesem Satz mit: In dir – du einzelner Mensch – kommt Gott zur Welt. Du kannst deinen Mitmenschen und deiner Mitkreatur zum Christus werden. Wo du dich anrühren lässt von dieser Botschaft, vom gläubigen Staunen, das sie auslöst, von der Liebe, die das Wesen dieses göttlichen Kindes ist. Wo du Menschen in dieser Liebe begegnest, die Gott in dich gelegt hat. Da wird Gott Mensch.
Arnold Glitsch-Hünnefeld