Veränderungen

Mittwochsandacht_online

Hellmut Klocke, Hemmenhofen

Die aktuelle Ausstellung im evangelischen Gemeindehaus, die seit gut einer Woche zu sehen ist, zeigt diesmal Bilder eines ehemaligen Kollegen unserer Schule: Hellmut Klocke. Ihr Schüler*innen habt ihn nicht mehr in seiner aktiven Zeit erlebt. Im Kollegium gibt es einige, die in ihm einen hoch geschätzten Kollegen hatten. Aber Hellmut Klocke war nicht nur Lehrer, sondern ist auch Künstler. Die Ausstellung im Gemeindehaus trägt den Titel „Veränderungen“. Dieser funktioniert auf mehreren Ebenen zugleich. Zum einen handelt es sich um eine Werkschau mit Bildern aus den verschiedenen Schaffensperioden von Hellmut Klocke. Er hat im Lauf der Zeit verschiedene Techniken verwendet und zum Teil auch selbst erfunden. Zum zweiten handelt es sich bei seinen Bildern meistens um Fotografien, die er nachträglich bearbeitet – also verändert – hat. Schön nachzuvollziehen an zwei Bildern, die offensichtlich aus derselben Fotografie entstanden sind. Darüber hinaus scheinen mir einige Bilder sich auch in ihren Motiven auf das Thema Veränderung zu beziehen.

Ich habe mir für diese Andacht die zwei Bilder ausgesucht, die im Gemeindehaus über dem Altar hängen. Das erste zeigt Fragmente von aus Stein gefertigten Zeugnissen menschlicher Kultur. Sie stehen in einer braunen, hügeligen Landschaft vor einem blauen Himmel. Von der Fassade des Hauses sind nur noch Bruchstücke da, als habe der Zahn der Zeit an ihnen genagt. Dieses Fassadenbruchstück steht auf einer gepflasterten Oberfläche. Diese wiederum ist selbst nicht mehr vollständig, sondern weist Lücken auf, durch die das Braun der Landschaft schimmert. So als ob sie demnächst vom Sand überweht und überlagert sein würde. Veränderung erweckt für mich auf diesem Bild den Eindruck von Vergänglichkeit.

Veränderung bedeutet immer auch, dass etwas, das war, nicht mehr so sein wird, wie es war, also dass etwas vergeht. Vielleicht lösen deshalb Veränderungen oft Verunsicherung bei Menschen aus. Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Angesichts der Veränderungen und Umbrüche sehnen sich Menschen nach der scheinbaren Sicherheit vergangener Zeiten zurück. In meiner Generation verklären nicht wenige die 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Angesichts der Krisen der Gegenwart und der bedrohlich wirkenden Zukunft sehen sie in ihnen ein bonbonbuntes Zeitalter der Unschuld und des ungetrübten Fortschrittsglaubens. Vergessen sind die Zukunftsängste, die es auch damals gab und die viele junge Menschen in dem Spruch „No Future!“ zum Ausdruck brachten. Diese fürchteten einen 3. Weltkrieg oder den nuklearen Winter.

„Früher war alles besser!“ Manche treibt ihre Sehnsucht nach klaren Verhältnissen noch weiter in die Vergangenheit. Sie sehnen sich nach Nationalstolz und starken Autoritäten zurück. Sie identifizieren die Veränderung, die sie fürchten, mit dem oder den Fremden. Deshalb lehnen sie Fremdes und Fremde aggressiv ab. Sie vergessen, dass diese Haltung schon einmal dazu geführt hat, dass die Zivilisation unter zwei mörderischen Weltkriegen und dem Menschheitsverbrechen der Schoah begraben wurde.

Veränderung ist unausweichlich. „Wer will, dass die Welt bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ Ein Festhalten an den scheinbar alternativlosen Wirtschaftsmustern ist nicht mehr möglich. Die Illusion des grenzenlosen Wachstums zerbricht an den begrenzten Ressourcen unserer Erde. Das Klima verändert sich schon und wir Menschen müssen mit einem sich ändernden Lebenswandel darauf reagieren. Es gilt Veränderung anzunehmen und menschheitsdienlich zu gestalten.

Veränderung ist unausweichlich. Auch in der Bibel ist das ein wiederkehrendes Motiv. Auf der langen Wanderung durch die Wüste sind nicht wenige im Volk Israel verunsichert. Hunger und Durst setzen ihnen zu. Sie fürchten, dass sie in der Wüste zu Grunde gehen und vom Sand überweht werden. Nicht wenige sehnen sich zurück nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“. Vergessen sind die Unterdrückung und die Sklaverei, denen sie dort ausgesetzt waren. Aber es gibt für sie kein Zurück. Und am Ende der entbehrungsreichen Veränderungen steht für sie eine Zukunft in ihrem eigenen Land.

Das zweite Bild, das ich ausgesucht habe, scheint mir mit einer ähnlichen Technik gearbeitet zu sein wie das erste. Wieder Fragmente vor einem – diesmal durchgängig blauen – Hintergrund. Auf mich wirkt dieses Bild trotzdem optimistischer als das erste. Obwohl es – ähnlich meiner Deutung des ersten – auch so angesehen werden könnte, dass die Zivilisation vom Nichts verschlungen wird. Aber mir scheint es eher, als wandle sich die alte Architektur inmitten des Blau zur zukünftigen Stadt. Entfaltet diese sich gerade aus dem Nebel heraus? Anders als das erste Bild ist diesmal menschliches Leben abgebildet. Tritt der Mensch, der gerade die Treppe herunterkommt, durch das Stadttor in die Zukunft ein? Spenden die Lampen vor dem Tor Licht und Orientierung für die anstehenden Veränderungen? Steht das Blau für den Himmel, das anbrechende Reich Gottes?

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ heißt es im Hebräerbrief (Hebr 13,14). Das ist Aufforderung und Verheißung zugleich. Wir sind aufgefordert, Veränderung zu wagen. Und uns ist zugleich verheißen, dass es eine zukünftige Stadt für uns gibt, dass Gott für uns eine Zukunft bereithält. Wenn wir uns auf sein Wort einlassen, wird Gott uns den Weg dahin weisen und ihn mit uns gehen. Vielleicht brauchen wir „Boomer“, die sich insgeheim nach den 80ern zurücksehnen, manchmal einen Tritt in den Hintern, um Veränderung zu wagen. Wahrscheinlich brauchen wir dazu Euch Jüngere. Vielleicht können wir uns auch gegenseitig – quer durch die Generationen hindurch – Mut machen, Zukunft zu wagen. Ganz sicher aber können uns die Veränderungsbereitschaft unserer Vorfahren im Glauben und das Vertrauen in Gottes Gegenwart den Mut geben, uns auf den Weg in die zukünftige Stadt zu machen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld