„Selig sind, die Frieden stiften.“

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Stefan Klaffehn / pixelio.de

„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mt 5,9) Dieser Wochenspruch wurde uns im Gottesdienst am vergangenen Sonntag vor dem Segen mit auf den Weg gegeben. Ich gehe gerne in den Gottesdienst und lasse mich von den Texten, Gebeten und der Predigt anregen. Meistens schließt sich die eine oder andere eigene Überlegung an das Gehörte an. Pfarrer Klaus hat am Sonntag über einen Abschnitt aus dem Römerbrief gepredigt und Hoffnung gegen die Hoffnungslosigkeit zum Thema gemacht. Ich bin neben seiner Predigt bei der Schriftlesung hängen geblieben. Sie kam aus der Hebräischen Bibel, aus dem Buch des Propheten Micha:

Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht felsenfest. Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel. Dann werden die Völker zu ihm strömen. Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen: »Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns seine Wege weisen. Dann können wir seinen Pfaden folgen.« Denn vom Berg Zion kommt Weisung. Das Wort des Herrn geht von Jerusalem aus. Er schlichtet Streit zwischen vielen Völkern. Er sorgt für das Recht unter mächtigen Staaten, bis hin in die fernsten Länder. Dann werden sie Pflugscharen schmieden aus den Klingen ihrer Schwerter. Und sie werden Winzermesser herstellen aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen. Dann wird es kein einziges Volk mehr geben, das sein Schwert gegen ein anderes richtet. Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet. Jeder wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum. Niemand wird ihren Frieden stören. Denn der Herr Zebaot hat es so bestimmt. Noch rufen viele Völker, jedes zu seinem eigenen Gott. Wir aber leben schon heute im Namen des Herrn, unseres Gottes, für immer und alle Zeit. (Mi 4,1-5 [BasisBibel])

Vom Berg Zion, also dem Berg, auf dem Jerusalem gebaut ist, wird Weisung für den Frieden kommen. Ausgerechnet aus Jerusalem, der Hauptstadt Israels, das gerade in einem mörderischen Krieg liegt? Einem Krieg, dem der Nahostkonflikt zu Grunde liegt, der seit über 75 Jahren nicht gelöst werden kann? Einem Krieg, der mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober wieder aufgeflammt ist, als Hunderte israelischer Männer, Frauen und Kinder ermordet oder verschleppt wurden? Einem Krieg, der zahllose Zivilisten im Gazastreifen das Leben kostet, weil die Versorgung zusammenbricht und Krankenhäuser zu Kriegszielen werden? Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet dort der Friede Gottes seinen Ausgang nehmen soll.

In seiner langen und wechselvollen Geschichte war Israel selten ein Ort des Friedens. Oft war es bedroht oder von benachbarten Großmächten besetzt. Über Jahrhunderte hinweg durfte Israel kein eigener Staat sein. Das war alles schon so, als die Verheißung aus dem Michabuch aufgeschrieben wurde. Und doch wurde diese Verheißung ihrer wenig friedlichen Gegenwart entgegengesetzt.

Gott verheißt, dass die Völker zusammenkommen und ihre Konflikte beigelegt werden. Dass sein Wort das Recht durchsetzen wird – überall auf der Welt. Dass die Völker ihre Waffen umschmieden werden, weil sie sie nicht mehr brauchen. Aus Waffen werden Werkzeuge, die der Ernährung dienen: Pflüge und Winzermesser. Der kommende Friede wird ein gerechter sein, bei dem niemand zu kurz kommt. Ein ungerechter Friede, ein Friede, der durch Waffen abgesichert werden muss, ist kein Friede. Doch in Gottes Frieden werden die Menschen nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Der Krieg wird zu einer fernen Vergangenheit werden und die Menschen werden miteinander in Gerechtigkeit und Frieden leben – unter ihren Feigenbäumen und Weinstöcken.

Die Gegenwart sieht anders aus – damals wie heute. Doch ich merke, dass ich solche Bilder der Verheißung brauche. Dass es mir hilft, sie plastisch vor mein inneres Auge gemalt zu bekommen, damit ich die Hoffnung nicht verliere. Dass diese Bilder mir helfen, meinen – wenn auch sehr kleinen – Beitrag zum Frieden zu leisten.

Und Menschen machen mir Hoffnung. Menschen, die aus ihrer Hoffnung heraus, Frieden stiften. Menschen wie Jouanna Hassoun und Schai Hoffmann. Sie ist Palästinenserin und als sechsjähriges Mädchen aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. Er ist Jude und in Berlin aufgewachsen. Beide gehen gemeinsam in Schulklassen, um über den Nahostkonflikt aufzuklären und dem Hass entgegenzutreten. Dabei geben sie den Schüler*innen Raum, frei über ihre Emotionen zu sprechen und sie zu reflektieren. Und sie bringen beide Perspektiven ein – die jüdische und die Palästinas. Und so kann es geschehen, dass muslimische Jugendliche bei einer Stadtführung durch das jüdische Köln den urdeutschen Stadtführer darauf hinweisen, wo er antisemitische Klischees bedient.

Oder die Initiative „parents circle“ im Nahen Osten. In ihr organisieren sich Palästinenserinnen und Palästinenser und jüdische Israelis, die alle Familienangehörige im Nahostkonflikt verloren haben. Sie setzen sich für ein Ende des Blutvergießens und eine Aussöhnung ein. Am 8. Oktober, dem Tag nach dem Überfall der Hamas auf Israel schrieben sie: „Es ist eine unbestreitbare Wahrheit, dass die Zeit gekommen ist, die Situation zu ändern. Diese Region hat schon zu viel Schmerz, zu viel Blutvergießen und zu viele Tränen ertragen müssen. Dies ist ein Moment für alle Beteiligten, über die Sinnlosigkeit dieses anhaltenden Konflikts nachzudenken und die gemeinsame Menschlichkeit zu erkennen, die uns alle verbindet.“

Ausgerechnet Israel und Palästina? Ja ausgerechnet. Denn sogar dort leben Menschen die Utopie des gerechten Friedens. „Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Mögen diese Kinder Gottes uns dazu befähigen, als Kinder Gottes zu leben und Menschlichkeit weiterzugeben.

Arnold Glitsch-Hünnefeld