Präsenz – auf Distanz

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Jetzt hat er also – endlich! – wieder begonnen, der Präsenzunterricht. Allerdings ist die Präsenz bisher noch reichlich eingeschränkt. Flatterbänder auf dem Campus weisen die Wege und grenzen die Laufrichtungen voneinander ab. Auf Schritt und Tritt Schilder wie „Stop! Kein Eingang“ oder „Kein Aufenthaltsbereich“. Draußen sind die Gesichter hinter Masken verborgen.

Auf dem ganzen Gelände herrscht Vermummungsgebot. Überhaupt ist manches genau umgekehrt wie sonst: Gegessen und getrunken werden darf nicht während der Pausen, sondern nur während der Unterrichtszeiten. Denn mit Maske zu essen ist ein eher schwieriges Unterfangen. Während der Unterrichtszeiten dürfen die Masken jedoch – je nachdem – abgelegt werden. Dann reicht die Distanz, die zwischen den Plätzen in den Unterrichtsräumen geschaffen wurde. Vorausgesetzt alle sind vernünftig und halten sich daran. Präsenz auf Distanz also.

Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler allerdings erlebt noch auf unbestimmte Zeit nicht einmal diese Form der Präsenz. Für sie steht weiterhin Fernunterricht auf dem Programm. Präsenz in Form von Teamskonferenzen. Ab und zu mal ein – in der Regel verpixeltes – Bild in einer Ecke des Bildschirms. Meist findet die Präsenz nur über ein Namenskürzel oder ein Symbolbild und gelegentliche Wortbeiträge statt.

Wenn – brav! – die Mikros ausgeschaltet sind, könnten die Menschen auf der anderen Seite auch das iPad liegen lassen und in einem anderen Zimmer sein, der Lehrkraft würde das kaum auffallen. Immerhin – bisher haben alle reagiert, wenn ich sie mal direkt angesprochen habe. Und für die Unterstufe gibt es auch diese Form der – sehr distanzierten – Präsenz nicht. Der Austausch geht über die DS-Cloud und – für die 5er sogar nur – über E-Mail, zum Teil vermittelt über die Eltern.

Was bleibt da an Präsenz? Überraschenderweise nicht nichts. Wenn sich hinter einer Gesichtsmaske ein freundliches Lächeln verbirgt, kann man das meistens in den Augen erkennen. Ein freundlicher Gruß dringt auch durch den Stoff hindurch. Und oft erlebe ich zur Zeit, dass die Menschen einander besonders aufmerksam und rücksichtsvoll begegnen. Meine 8te Klasse hat sich heute ein Lied zum Stundenbeginn gewünscht und es sich sogar nicht nehmen lassen, es als Kanon zu singen. Über Teams ist das schon eine Leistung.

Und vereinzelt gibt es auch bei Teams die kleinen Kabbeleien am Rand, die das Unterrichtsgeschehen gelegentlich stören, oft aber auch auflockern. Und selbst da, wo nur ein schriftlicher Austausch möglich ist, gibt es mehr Kontakt als nur das trockene Hin und Her von Aufgaben und Ergebnissen. Die E-Mails sind meistens mit persönlichen Grüßen und guten Wünschen versehen. In manch einer kreativen Aufgabe (einer Collage, einem Bild oder ähnlichem) wird die Persönlichkeit dahinter erkennbar. Und auch der ein oder andere schriftlich Beitrag hat eine persönliche Note.

Auf die Frage „Wie stellt Ihr Euch das Reich Gottes vor?“ antwortet eine Schülerin: „Das Reich Gottes ist wo Gott wohnt, lebt und seinen Kaffee trinkt“. Ich sehe vor meinem inneren Auge das spitzbübische Lächeln, als sie das aufschreibt.

Eine spezielle Form von Präsenz ist offenbar auch da möglich, wo man sich nicht sieht. Das setzt allerdings die Erfahrung von Kontakt und Begegnung voraus. Wenn ich eine Vorstellung von dem Menschen auf der anderen Seite habe, erkenne ich ein Gesicht – auch hinter der Maske oder in den Formulierungen.

Auch die Melanchthonkirche hat durch Corona ihr Gesicht verändert. Unter der Woche steht sie als Unterrichtsraum zur Verfügung. Noch harrt sie allerdings der Schülerinnen und Schüler, die da kommen sollen. Sonntags werden die Gemeindegottesdienste in ihr stattfinden. Schule und Kirchengemeinde kommen an diesem Ort indirekt in Kontakt. Einige Schülerinnen und Schüler werden voraussichtlich in der Kirche einen Teil ihres Abiturs schreiben. Ob sie etwas von der Atmosphäre dieses Raumes spüren werden? Von seiner besonderen Präsenz?

Ich erlebe in der Kirche die Präsenz Gottes. Nicht in einem übernatürlichen Sinn, sondern aus dem Wissen und der Erfahrung heraus, dass hier regelmäßig Gottesdienste und Andachten gefeiert werden. Im 1. Johannesbrief heißt es: „Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.“ (1.Joh 4,12)

So wird für mich die Präsenz Gottes erfahrbar. Nicht nur, aber auch an diesem besonderen Ort. Es ist eine Präsenz auf Distanz und zugleich in großer Nähe. Vielleicht erlebe ich deshalb im liebevollen Umgang miteinander auch auf die Distanz die Präsenz der Schulgemeinde. Das ist schön. Und trotzdem freue ich mich darauf, wenn wir uns wieder von Angesicht zu Angesicht begegnen werden – im Unterricht, auf den Wegen über den Schulcampus und irgendwann auch wieder in Andachten und Gottesdiensten.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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