Sein Leben erhalten

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Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.“ (Lk 9,24) Selten hat mir dieses paradoxe Wort Jesu so unmittelbar eingeleuchtet wie gerade jetzt in der Corona-Krise: Wer sein Leben erhalten will, wer sich um keinen Preis mit Sars-CoV-2 anstecken will, der wird es (das Leben, das mehr ist als Überleben, ein Leben in Gemeinschaft, Freiheit etc.) verlieren. Oder auch umgekehrt: Wer sein Leben (in der gewohnten Form ohne jede Einschränkung) erhalten will, der wird’s verlieren (sich anstecken, schwer erkranken, sterben).

Zugegeben: Das ist etwas überspitzt formuliert. Nicht jeder Mensch, der in Kontakt mit einer infizierten Person kommt, steckt sich an; nicht jeder infizierte Mensch erkrankt (schwer); nicht jeder erkrankte Mensch stirbt daran. Trotzdem: Das Ansteckungsrisiko ist hoch und die Krankheit gefährlicher als ein Schnupfen. Wie gefährlich, ist immer noch nicht ganz klar. Ist Covid 19 nur eine Lungenkrankheit oder werden auch andere Organe befallen? Sind nur Alte und andere „Risikopatienten“ oder doch auch Kinder gefährdet?

Die umgekehrte Formulierung ist ebenfalls zugespitzt. Auch bei den Maßnahmen gilt nicht „alles oder nichts“. Freiheit und Gemeinschaft sind und waren bei uns nicht komplett unterbunden. Wir hatten z.B. keine Ausgangssperren so wie in anderen Ländern.

Aber wir hatten eben auch nicht den „schwedischen Weg“. Mein Eindruck ist: Auch wenn mir nicht jede Entscheidung eingeleuchtet hat und auch wenn im Detail sicher Fehler gemacht wurden, haben unsere Regierenden insgesamt doch Augenmaß bewiesen und wir sind bisher vergleichsweise glimpflich durch Krise gekommen.

Und egal wie man persönlich dazu steht, bei uns gelten die Spielregeln der Demokratie. Die gewählten Vertretenden des Volkes haben eine Grundsatzentscheidung getroffen, die übrigens von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird: Gesundheit steht an erster Stelle. Deshalb ist es geboten, die Maßnahmen umzusetzen, selbst wenn man persönlich das anders sieht. Für die aktuelle Krise ist die Entscheidung gefallen, und solange sich nicht gravierende neue Umstände ergeben, wäre es falsch, den Erfolg der Maßnahmen auf’s Spiel zu setzen – gerade wegen des hohen Preises, den sie schon gefordert haben.

Richtig ist aber auch: In einer Demokratie darf und muss über den richtigen Weg gestritten werden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat zu Recht eine Debatte über den Umgang mit der Krise angeregt. In einem Interview im Tagesspiegel hat er Ende April gesagt: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig.

Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“

Was also können wir aus der Krise lernen? Wie können wir mit künftigen, ähnlich gelagerten Krisen umgehen, die angesichts einer globalisierten Welt nicht ausbleiben werden? Einiges deutet sich bereits an: Weniger Abhängigkeit von globalen Handelsketten wird zumindest in Bezug auf medizinische Produkte angestrebt.

Die krisenbedingte Verbesserung der Luftqualität beweist, dass unser Verhalten die Ökosysteme beeinflusst. Wir können also etwas verändern. Unser Lebensstil ist nicht „alternativlos“. Es lohnt sich über Alternativen nachzudenken.

Auch darüber, was uns wirklich wichtig ist. Martin Luther hat gesagt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Ist der unbedingte Schutz des Lebens als einziges, höchstes Prinzip unser Gott? Oder ist es Freiheit? Oder Wohlstand?

Die Evangelien setzen einen anderen Schwerpunkt: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten.“ Was ist damit gemeint? Verschiedene Deutungen fallen mir ein:

  • Wer bereit ist, sein Leben im Geist der Nächstenliebe für andere einzusetzen, der wird darin Sinn und Erfüllung finden.
  • Wer bereit ist, im Sinne der Nächstenliebe auf Freiheit zu verzichten, wird Freiheit zur Mitmenschlichkeit gewinnen.
  • Wer bereit ist, Kontrolle abzugeben und sich auf Gott und seine Nächsten einzulassen, wer sich und sein Leben ganz Gott anvertraut, der wird ein Stück Leichtigkeit des Lebens, der wird Lebensfreude und Freiheit gewinnen.

In all diesen Fällen wird das Leben sich verändern. Das alte Leben bleibt nicht. Aber Jesus Christus verheißt: Das veränderte Leben ist unbedingt lebenswert.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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