Mittwoch, 20.4. 2021

Genießbar sein

 Mittwochsandacht_online

Egal von welcher Seite man Britzingen, den Ort, wo ich früher Gemeindepfarrer war, ansteuert, man bewegt sich immer durch ausgedehnte Rebflächen. Kommt man aus Richtung Laufen, so liegt auf der linken Seite der Muggardter Berg. Seinen Namen verdankt er dem hinter diesem Berg versteckten Weiler Muggardt. Dort sagen sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“, wie der Wegweiser mit erfrischender Selbstironie zu erkennen gibt. Seiner versteckten Lage verdankt es dieser kleine Teilort, dass er im 30jährigen Krieg übersehen und von Plünderungen verschont geblieben ist.

Der Weinberg wurde im Zuge der Flurbereinigung Anfang der 2000er-Jahre neu angelegt. Mit einem Platz zum Feiern – auch von Gottesdiensten. Vor allem aber mit weniger dicht gepflanzten Weinstöcken als zuvor. Hier reift ein Flaggschiff der Winzergenossenschaft heran, eben der „Muggardter Berg“. Das ist ein erstklassiger Spätburgunder. Ein Qualitätswein, nicht etwa eine Spätlese, aber eben von außergewöhnlicher Qualität.

Als der erste Jahrgang auf den Markt kam, hat mir der Geschäftsführer der Winzergenossenschaft, der nebenamtlich auch Organist unserer Gemeinde war, eine Flasche davon zukommen lassen. Diese sollte ich am Karfreitag als Abendmahlswein verwenden, aber niemanden etwas davon sagen. Dank der feinen Zungen der Britzinger Gottesdienstgemeinde ließ sich das Geschenk aber nicht lange geheim halten.

Ein bisschen erinnert mich diese Begebenheit an die Geschichte von der Hochzeit zu Kana. Dort wird erzählt, dass bei einer Hochzeitsfeier der Wein ausgeht und Jesus daraufhin Wasser in Wein verwandelt. Dem Speisemeister sagen die Diener nicht, woher der Wein kommt. Er ist lediglich verwundert über dessen außergewöhnliche Qualität. Und das Johannesevangelium hält fest: „Dies ist das erste Zeichen, das Jesus tat.“

Für einen guten Wein muss man sich Zeit nehmen. Beim Anbau, beim Ausbau und beim Genuss. Prädikatsweine erhalten ihre besondere Restsüße daher, dass sie besonders lange am Weinstock reifen, bevor sie geerntet werden, was bei der Spätlese ja schon aus dem Namen ersichtlich ist. Der Muggardter Berg erhält seine besondere Qualität nicht zuletzt dadurch, dass er zwei Jahre lang ausgebaut wird, bevor er abgefüllt wird. Und einen guten Wein in Hektik wegzutrinken hat etwas von Sünde. Nein – guter Wein will genossen sein.

Christen eilt ja manchmal der Ruf voraus, sie seien genussfeindliche Moralisten. Dem widerspricht, dass der Wein in der Bibel eine prominente Rolle spielt. Beim Abendmahl, in der erwähnten Geschichte und an zahlreichen anderen Stellen. Jesus selbst wurde von spaßbefreiten Zeitgenossen nachgesagt, er sei ein „Fresser und Weinsäufer“.

In der letzten Zeit bin ich wiederholt auf die „Ich-bin-Worte“ Jesu im Johannesevangelium gestoßen. Bei der Beschäftigung mit Jesus in der 7c und beim Thema „Kirche“ in der Oberstufe zum Beispiel. Eines dieser Worte ist Joh 15,5: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Der Weinstock bringt die Reben hervor und die Reben ihrerseits die Trauben. Die Reben können nur die Nährstoffe an die Trauben weitergeben, die sie durch den Weinstock erhalten. Die Verbindung zu Christus befähigt Christen dazu, Frucht zu bringen.

„Viel Frucht“ – das könnte den Eindruck erwecken, hier ginge es um Masse statt Klasse. Dagegen spricht die Erzählung von der Hochzeit zu Kana, wo Jesus zwar viel, aber keine Massenware, sondern einen exquisiten Tropfen kredenzt. Mir gefällt, dass in dem Bild vom Weinstock und den Reben Zeit und Genuss mitschwingen. Christen müssen nicht immer auf Teufel komm raus produktiv sein. Gefragt ist vielmehr, dass sie sich Zeit lassen, um gute Qualität hervorzubringen, und dass sie sich Zeit nehmen – für die Menschen, für sich und für Gott. Dann wird die Frucht ihrer Werke nicht moralinsauer, sondern genießbar sein wie ein guter Wein. Dann werden sie selbst genießbar sein. Lassen wir uns dazu in dieser nachösterlichen Zeit inspirieren – auch und gerade im oft hektischen Alltag – und uns immer wieder Zeiten der Muße gönnen!

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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