Von „Nichtsnutzen“ und „Narren“

Mittwochsandacht_online

Quelle: Linda Dahrmann / pixelio.de

Heute wird in den Vereinigten Staaten der 46. Präsident vereidigt. Während ich diese Zeilen schreibe, ist noch nicht klar, ob dieses Ereignis friedlich über die Bühne gehen wird. Die Bilder vom „Sturm auf das Capitol“ am 6. Januar sind noch deutlich vor Augen.

Dass in der ältesten Demokratie der Welt ein wütender Mob gewählte Abgeordnete mit Gewalt dazu bringen wollte, dass Ergebnis einer freien Wahl nachträglich umzudrehen, kam zwar nicht völlig überraschend, hat mich aber dennoch erschreckt. „Verräter“ wurden Abgeordnete – z.T. aus der eigenen Partei – beschimpft. Und einzelne hatten Waffen und Rohrbomben dabei, die dann – Gott sei Dank! – doch nicht zum Einsatz kamen.

Vorausgegangen war eine monatelange Hetzkampagne. Schon lange vor der Wahl wurde der Verdacht der Wahlfälschung gestreut – für den Fall, dass der Amtsinhaber nicht wiedergewählt werden würde. Eigentlich hätte schon das jedem die Augen dafür öffnen müssen, was von diesen Vorwürfen zu halten ist. Vorausgegangen waren aber auch vier Jahre, in denen der politische Gegner mit allen Mitteln verächtlich gemacht wurde.

Die Sprache hat Einfluss auf die Wahrnehmung. Und wo mit Worten aus Menschen „Feinde“ gemacht werden, wird der Boden für physische Gewalt bereitet.

Es wäre allerdings zu billig, sich zurückzulehnen und mit dem Finger auf Amerika zu zeigen. Der Mord an Walter Lübcke, die Anschläge von Halle und Hanau und eine ganze Reihe weniger spektakulärer Gewaltakte zeigen, dass die Dynamik von Gewalt in der Sprache und physischer Gewalt auch in unserer Gesellschaft wirksam ist.

Auf diesem Hintergrund klingen Worte aus der Bergpredigt überraschend – ja fast erschreckend – aktuell: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: »Du sollst nicht töten«; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig. Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe. (Mt 5,21-24)

Jesus verschärft hier das fünfte Gebot. Auf den ersten Blick mag man den Eindruck gewinnen, er übertreibt. „Nichtsnutz“ und „Narr“ – das sind für Ohren des 21. Jahrhunderts doch eher harmlose Schimpfworte. Allerdings schwingt bei „Narr“ in biblischer Zeit oft „gottlos“ mit und bedeutet „Nichtsnutz“ wörtlich, dass ein Mensch nichts wert ist.

Deutlich wird, dass es darum geht, Menschen mit Worten ihre Würde abzusprechen. Befremdlich wirkt beim ersten Hören allerdings auch, dass Jesus selbst ganz schön schwere verbale Geschütze auffährt – bis hin zum höllischen Feuer, mit dem er droht. Vielleicht ist aber genau diese Befremden beabsichtigt. Jesus hält damit den verbalen Gewalttätern einen Spiegel vor: So fühlt es sich an, wenn man solche Worte um die Ohren geschlagen bekommt.

Jesus zieht eine Verbindung von Zorn über verbale Gewalt bis hin zum Mord. Und er fordert, der Gewalt schon in der Sprache keinen Raum zu geben und auf diese Weise physischer Gewalt bis hin zu Mord und Totschlag vorzubeugen. Dabei schließt es Konflikte zwischen Menschen keineswegs aus. Ziel muss es aber sein, diese nicht eskalieren zu lassen, sondern sich mit den Konfliktgegnern zu versöhnen. Dann kann man mit reinem Herzen vor Gott treten. Am besten sogar gemeinsam mit dem „Bruder“, der eben kein Narr oder Nichtsnutz und nun auch kein Gegner mehr ist.

Jesus geht es darum, im Kleinen anzufangen. Kassel, Halle, Hanau und die verbale Gewalt im Vorfeld dieser Taten zeigen den Prozess, vor dem er warnt, schon weit fortgeschritten. Im Kleinen anzufangen, heißt zuallererst bei mir selbst. Zorn ist mir keineswegs fremd. Und ich ertappe mich auch immer wieder dabei, dass ich Menschen auf das reduziere, was mich an ihnen abstößt.

Zumindest bestimmte Personen des öffentlichen Lebens, deren Wirken mich zutiefst beunruhigt. Ich frage mich, wie es kommt, dass Nichtsnutze und Narren regieren dürfen. Wo aber die Dynamik der Gewalt überwunden werden und Versöhnung möglich sein soll, ist es unverzichtbar im Anderen – gerade auch im Andersdenkenden – den Menschen zu sehen. Nur so gibt es eine Chance, dass die Spaltungen – auch in unserer Gesellschaft – überwunden werden können. Gott gebe, dass das gelingt – in Amerika, bei uns und überall auf der Welt.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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