Warten

Mittwochsandacht_online

wilhei / pixelio.de

Das Warten zieht sich. „Mit dem Impfstoff ist der Anfang vom Ende der Pandemie eingeläutet“, so war zu hören. Aber wann dieses Ende tatsächlich da sein wird, ist nach wie vor unklar. Es ist eine Spannung von „schon“ und „noch nicht“. Impfstoffe sind schon freigegeben und werden verabreicht, aber die Pandemie ist noch nicht überwunden.

Gerade gibt es mal wieder ein paar Lockerungen des Lockdowns. Die Jahrgangsstufe 1 ist seit dieser Woche wieder im Präsenzunterricht und die Unterstufe wird nächste Woche folgen. Aber nur vormittags, mit Masken und Abstandsregeln. Und die Mittelstufe wird bis zu den Osterferien im Fernunterricht bleiben müssen.

Wie es dann weitergeht, muss sich erweisen. Gerade steigen die Inzidenzzahlen wieder oder gehen zumindest nicht weiter zurück und die Mutanten schaffen neue Probleme. Schnelltests eröffnen möglicherweise neue Spielräume, aber noch gibt es keine übergreifende, funktionierende Teststrategie. Das Ende der Krise lässt also länger auf sich warten, als zwischenzeitlich erhofft.

Eigentlich war immer klar, dass auch nach der Freigabe eines Impfstoffs noch eine ganze Weile ins Land gehen wird, bis die Pandemie überwunden sein wird. Selbst optimistische Schätzungen gingen schon vor dem Jahreswechsel aus, dass es mindestens ein halbes Jahr dauern würde, bis genügend Menschen geimpft sein würden, um die sogenannte „Herdenimmunität“ zu erreichen.

Aber das wollte man nicht so gerne hören oder in der Euphorie der Freigabe der ersten Impfstoffe geriet es in Vergessenheit. Das ist nicht verwunderlich. Die Krise zehrt an den Kräften, und wenn ein Ende in den Blick kommt, steigt die Ungeduld. Und mit der Ungeduld wächst die Gefahr der Enttäuschung bis hin zur Resignation, wenn es dann doch länger dauert.

Christen sind eigentlich Experten für diesen Schwebezustand zwischen „schon“ und „noch nicht“. Jesus hatte angekündigt, dass einige seiner Zeitgenossen seine Wiederkunft noch erleben würden: „Wahrlich ich sage euch: Es sind etliche unter denen, die hier stehen, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn kommen sehen in seinem Reich.“

So überliefert zumindest das Matthäusevangelium (Mt 16,28). Bei Markus und Lukas klingt das etwas vorsichtiger: „… bis sie das Reich Gottes sehen“ (Lk 9,27). Das könnte sich darauf beziehen, dass das Reich Gottes „mitten unter euch“ ist (Lk 17,20). Jesus war überzeugt davon, dass mit seinem Kommen das Reich Gottes schon angebrochen ist.

Es ereignet sich punktuell in der Welt. Da wo Menschen gegen alle Wahrscheinlichkeit Frieden und Versöhnung leben. Da wo in der Pandemie und durch die Krise kreative Kräfte freigesetzt werden und Solidarität gelebt wird. Aber das Reich Gottes ist noch nicht vollendet. Etwas anderes zu behaupten, hieße die Realität zu verleugnen, die oft so gar nicht göttlich ist. Der christliche Glaube blendet Leid und Missstände gerade nicht aus.

Die Vollendung des Reiches Gottes lässt also auf sich warten. Die ersten Christen hatten sie ungeduldig erwartet. Viele hatten die Ankündigung Jesu wohl so im Ohr, wie das Matthäusevangelium sie überliefert. Als nun mehr und mehr Menschen dieser Generation starben, ohne dass Christus wiedergekehrt wäre, wuchs die Ungeduld und drohte in Enttäuschung und Resignation umzuschlagen.

Manche Bibelforscher nehmen an, dass die Verzögerung der Wiederkunft Christi der Anlass für die Entstehung der Evangelien war. Die Geschichte Jesu sollte aufgeschrieben werden, weil sich abzeichnete, dass der christliche Glaube einen längeren Atem als eine Generation brauchen würde. So sollten der Glaube an und die Hoffnung auf das Reich Gottes wach gehalten werden. Durch alle Enttäuschungen hindurch hält sich dieser Glaube nun schon 2000 Jahre. Das alleine ist schon ein Stück Reich Gottes.

Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, die Erfahrungen aus der Coronazeit aufzuschreiben. Das, was wir in dieser Zeit gelernt haben. Die Erfahrungen von Kreativität und Solidarität. Die Erfahrungen des Wirkens Gottes trotz und in der Krise. Auf dass wir nach der Krise nicht einfach weitermachen wie vorher, sondern mit Gottes Hilfe mitbauen an seinem Reich. Wie lange seine Vollendung auch immer auf sich warten lassen mag.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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