Der teuflische Flüsterfuchs

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Dass Verständigung gelingt, ist eigentlich höchst unwahrscheinlich. Nicht nur dann, wenn Menschen undeutlich sprechen oder sich unklar ausdrücken. Kommunikation geschieht durch Zeichen – Schriftzeichen, Worte etc. Zeichen aber – oder Symbole – sind oft mehrdeutig. Manchmal liegen die verschiedenen Bedeutungen relativ dicht beieinander. Wie bei der Taube, die für Frieden oder den Heiligen Geist stehen kann. Manchmal aber auch gar nicht.

Die Jüngeren erinnern sich vielleicht noch an ihre Grundschulzeit, manche Erwachsene kennen das Symbol inzwischen möglicherweise aus Seminaren: Eine erhobene Hand, die mit ausgestrecktem Zeige- und kleinem Finger an einen Fuchskopf erinnert – der Leise- oder auch Flüsterfuchs. Der Fuchs ist ein scheues Tier, das durch Lärm verjagt wird. Die Botschaft des Symbols lautet: „Mund zu und Ohren gespitzt!“

Wem es in einer Unterrichtsstunde zu unruhig ist (Lehrperson oder auch Schüler/Schülerin), kann den Flüsterfuchs zeigen. Wer von den anderen das Zeichen sieht, verstummt und zeigt es ebenfalls. So breitet sich – im Idealfall – Ruhe aus, ohne dass jemand den Lärm überbrüllen muss.

Der Kabarettist Michael Krebs betrachtet diese Verwendung des Symbols mit Grausen und hat 2012 eine Initiative gestartet: „Flüsterfuchs – Nein Danke!“ In seinen Augen ist der Flüsterfuchs die feindliche Übernahme eines Symbols aus einem ganz anderen Kontext mit einer ganz anderen Bedeutung: Die „Devils Horns“ oder auch „Pommesgabel“ aus dem Metal. „Wer hat’s erfunden?“ stritten sich Gene Simmons (KISS) und Ronnie James Dio seinerzeit nicht ganz bierernst.

In jedem Fall steht das Symbol für Metalheads auf der ganzen Welt für die lauteste Form von Musik. In den Ohren von Nicht-Fans infernalischer Krach, der nicht nur Füchse in die Flucht schlägt. Die Horrorvision von Michael Krebs ist allerdings, dass ein Metalfrontmann in Wacken die Hand zur Pommesgabel erhebt und die 80.000 vor der Bühne aus der „Generation Flüsterfuchs“ in Schweigen verfallen. Und schlimmer noch – er sieht eine Generation der angepassten Schweigenden heraufziehen, wenn der Flüsterfuchs nicht gestoppt wird.

Seine Initiative ist nicht ganz bierernst gemeint – aber auch nicht ganz unernst. Sie verkennt allerdings, dass Symbole eben selten eindeutig sind und Zeichensysteme ein Eigenleben haben und sich ständig verändern. Vor allem aber unterschätzt sie die „Generation Flüsterfuchs“. Ich habe nicht den Eindruck, dass mir in den Klassen lauter gehirngewaschene Ja-Sager begegnen.

Das fängt übrigens schon damit an, dass der Flüsterfuchs in der Grundschule im Idealfall funktioniert – oft genug aber auch nicht. Er wird dann schlicht übersehen oder ignoriert. Mein Eindruck ist, dass die meisten Schülerinnen und Schüler genau wissen, dass es Situationen gibt, wo Lautsein angebracht ist, und andere, die konzentrierte Stille erfordern. Auch wenn dieses Wissen nicht immer die gewünschten Folgen hat. Unsere Abiturienten hätten sich jedenfalls schön bedankt, wenn während ihrer Prüfungen Halli Galli geherrscht hätte. Umgekehrt wäre Stille auf den Festivaläckern dieser Welt wirklich eine traurige Vorstellung.

Auch in der Kommunikation selbst ist manchmal Reden, manchmal aber auch Schweigen angebracht. Das Buch Hiob erzählt, wie dem rechtschaffenen Hiob schlimmstes Leid widerfährt. Unter anderem sterben alle seine Kinder und er selbst wird schwer krank. Drei Freunde besuchen ihn „und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war“ (Hiob 2,13).

Dann aber fangen sie an zu reden und versuchen Hiob, sein Leid zu erklären. Ihre Erklärungen laufen darauf hinaus, dass Gott es schon richtig macht und Hiob selbst schuld sein muss. Diese Erklärungen helfen Hiob gar nichts. Sie hätten besser weiter geschwiegen. Es gibt aber auch Situationen, wo Menschen in Not nicht nur jemanden brauchen, der ihnen zuhört, sondern jemanden, der mit ihnen redet. Der mit ihnen nachdenkt, wie es weitergehen kann, welche Perspektiven es gibt.

Gott selbst kann im Lauten wie im Leisen begegnen. Zu Hiob spricht er aus einem Wettersturm und reißt ihn so aus der Fixierung auf sein Leid. Elia dagegen, der mit Gewalt für Gott geeifert hat, zeigt er sich weder im Sturm noch im Erdbeben noch im Feuer, sondern in einem leisen Säuseln (1.Kön 19).

Es braucht ein Gespür dafür, was in welcher Situation dran ist. Es braucht Sensibilität und offene Augen und Ohren für die Menschen um uns herum, damit Verständigung gelingen kann. Und sehr oft gelingt sie – aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotz. Gott sei Dank!

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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