Mittwoch, 4.5. 2021

Fehlertoleranz

 Mittwochsandacht_online

Koutoukidou / pixelio.de

Am Anfang dieser Andacht stand ein fehlerhaft erinnertes Zitat. Ich meinte mich zu erinnern, dass Dietrich Bonhoeffer einmal geschrieben hat: „Gott gibt uns die Kraft, die wir brauchen. Doch er gibt sie uns nicht im Voraus, damit wir uns auf ihn und nicht auf uns selbst verlassen.“ Das schien mir für eine Andacht in der ersten Woche der Abiturprüfungen ganz passend.

Beim Nachschlagen des Textes musste ich feststellen, dass sich der genaue Wortlaut etwas anders liest: „Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“ Mit der Notlage, von der Bonhoeffer ein Vierteljahr vor seiner Verhaftung schreibt, ist das Abitur natürlich nicht vergleichbar: Die Nazi-Diktatur (Bonhoeffer wusste um die Judenvernichtung) und der Weltkrieg. Er hatte sich dazu entschieden, dem Rad in die Speichen zu fallen und aktiven Widerstand zu leisten. Obwohl er wusste, dass er mittelbar an einem Attentat auf Hitler beteiligt sein würde und dass das Ganze für ihn höchst gefährlich war. Am Ende hat er für diesen Mut mit dem Leben bezahlt.

Nein, eine Abiturprüfung ist keine Frage von Leben und Tod. Ich persönlich war überhaupt noch nie in einer vergleichbaren Situation zu der, in der Bonhoeffer die Texte zu „Widerstand und Ergebung“ aufgeschrieben hat. Trotzdem: Ich kenne die Erfahrung, dass uns in besonderen Herausforderungen Kräfte zuwachsen können, von denen wir manchmal gar nicht wissen, dass wir sie haben.

Eine herausfordernde Situation ist eine Abiturprüfung allemal. Zuallererst natürlich für die Abiturientinnen und Abiturienten. Aber auch für die ganze Schule, besonders für die Verantwortlichen für die Organisation. Die Lehrerinnen und Lehrer fiebern mit ihren Schülerinnen und Schülern mit und hoffen, dass das, was sie mit ihnen erarbeitet haben, das abdeckt, was sie in der Prüfung brauchen.

In diesem Jahr – zum zweiten Mal unter Pandemiebedingungen – ist das Abitur erst recht eine Herausforderung. Angesichts dieser Umstände kann (wenn nicht von einer Notlage, so doch zumindest) von einer Ausnahmesituation gesprochen werden, die es für die Schule zu bestehen gilt. Reichen die Test-Kits? Wie können die Aufsichten so organisiert werden, dass sie leistbar sind und trotzdem den Unterricht nicht zu sehr beeinträchtigen? Überhaupt: Schon wieder Fernunterricht. Pläne für Klassenarbeiten – mit viel Aufwand erstellt – sind schon wieder hinfällig.

An dieser Stelle möchte ich einmal ein großes Dankeschön und tiefen Respekt an alle richten, die daran beteiligt sind, dass wir als Schule durch diese Krise mit ihren sich ständig verändernden Bedingungen – „Die Lage ist dynamisch“ – ohne größere Blessuren durchkommen: Der Schulleitung – im engen Sinn als auch der gesamten Abteilungsleitendenrunde, den Stunden- und Vertretungsplanenden, den Oberstufenberatenden, den Sekretärinnen, den Mitarbeitenden in der Verwaltung und anderen, die ich gerade vergessen habe.

Und auch vor dem, was meine Kolleginnen und Kollegen in diesen Wochen leisten, ziehe ich meinen Hut. Sie alle leisten großartige Arbeit. Und sie können die eingangs (fehlerhaft) zitierte Erfahrung hoffentlich bestätigen.

Jetzt haben die Prüfungen also begonnen. Die Kandidatinnen und Kandidaten haben sich alle vorbereitet. Auf die eine oder andere Weise. Der Glaube, dass Gott die Kraft für Herausforderungen gibt, wäre missverstanden, wenn man deshalb auf jede Vorbereitung verzichten würde. Aber das Vertrauen in Gottes Kraft und Gottes Geist kann Gelassenheit schenken.

Ich erinnere mich an meine Examensklausur im Fach Altes Testament. Der Prüfer galt als besonders fair und wurde deshalb immer mit besonders vielen Kandidatinnen und Kandidaten „belohnt“. Vielleicht lag es daran, dass die Klausur diesmal hammerschwer war. Von dem, was ich in der Examensvorbereitung aus Kompendien gelernt hatte, konnte ich praktisch nichts anwenden.

Gegen die aufkommende Panik habe ich mich daran erinnert, dass ich einige Veranstaltungen im Alten Testament besucht und gelernt hatte, wissenschaftlich zu arbeiten. So konnte ich ruhig und konzentriert die Aufgaben abarbeiten. Fehlerfrei war das Ergebnis sicher nicht. Aber hinreichend für eine Note, mit der ich sehr gut leben konnte.

Fehler passieren. Auch und gerade in Drucksituationen. Auch in Prüfungen. Das darf sein. Fehler um jeden Preis vermeiden zu wollen, kann lähmend wirken. Mit dem einen oder anderen Fehler steht und fällt nicht gleich eine ganze Prüfung.

Fehler passieren auch im Krisenmanagement. Der hohe Druck und die Notwendigkeit von schnellen Entscheidungen begünstigen Fehler zusätzlich. Das heißt nicht, dass in Krisensituationen kopfloser Aktionismus gefragt wäre. Vielmehr gilt es, aus dem Wissen darum, dass Fehler passieren, Gelassenheit zu gewinnen und aus dieser Gelassenheit heraus gut abgewogene Entscheidungen zu treffen und zu diesen zu stehen.

Und es gilt, einander Fehler nachzusehen, im Bewusstsein, dass man selbst vielleicht nicht dieselben, dafür aber vermutlich andere Fehler gemacht hätte. Einer der klügsten Sätze, den ich von Gesundheitsminister Spahn gehört habe, war: „Am Ende dieser Krise werden wir einander viel zu vergeben haben“. (Ich hoffe, ich habe wenigstens dieses Zitat richtig erinnert.)

Unfehlbarkeit ist keine menschliche Eigenschaft und der Anspruch von Perfektion wäre ganz unevangelisch. Der Kern der Rechtfertigungslehre bei Luther und bei Paulus ist, dass Gott uns auch mit unseren Fehlern liebt und annimmt. Die Freiheit, Fehler machen zu dürfen befreit. Sie befreit zum Handeln im Krisenmanagement. Und sie setzt Kreativität frei, die in Prüfungen zu guten Ergebnissen führt.

Diese Freiheit, die Liebe Gottes und die Kraft des Heiligen Geistes sei mit Euch und Ihnen allen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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