Hier stehe ich
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„Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Vielleicht denkt der eine oder die andere von Euch, die Ihr jetzt hier in der Kirche anwesend sein, etwas Ähnliches. Manche würden sicher lieber sitzen, als jetzt hier dicht gedrängt in der Kirche zu stehen. Aber dazu fehlen derzeit halt die Stühle. Dass die aus der Kirche geräumt wurden, hat schlicht organisatorische Gründe. Bei der Berufswahlmesse am vergangenen Wochenende wurde Platz für die Stände gebraucht. Und für die kommende Woche steht eine Grundreinigung des Fußbodens an. Aber auch wenn es manche vielleicht lästig finden, dass sie jetzt stehen müssen, stellt das Fehlen der Stühle auch eine besondere Gelegenheit dar. Weil ein stehender Mensch weniger Platz braucht als ein auf einem Stuhl sitzender, können wir heute einen großen Teil der Schulgemeinde in der Kirche versammeln. Das ist sonst in dieser Zahl nicht möglich.
„Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“ Diese Worte gelten als Zitat Martin Luthers. Er soll sie auf dem Reichstag zu Worms gesprochen haben, nachdem er begründet hatte, warum er seine Schriften nicht zurücknehmen werde. Dabei wusste er sehr wohl, dass er sich damit in Lebensgefahr brachte. Luther fehlte also kein Stuhl, sondern mit seinen Worten bekräftigte er, dass er für das einstand, was er geschrieben hatte und wovon er überzeugt war. Mit dieser Haltung füllte er mit Leben, was der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer so ausgedrückt hat: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht.“ Das ist zugleich ein Ausschnitt aus dem Predigttext für diese Woche.
Für den Glauben, für die eigenen Überzeugungen einzustehen, geht besser gemeinsam als allein. Auch insofern ist das Dicht-an-dicht-Stehen in der Kirche heute sinnbildlich. In einer großen Gemeinschaft in einer Andacht oder einem Gottesdienst zu stehen, das hat ein bisschen etwas von Kirchentag. Im Frühjahr wird wieder der Deutsche Evangelische Kirchentag gefeiert – in diesem Jahr in Nürnberg. Dazu kommen viele tausend Christinnen und Christen zusammen, feiern ihren Glauben, diskutieren über brennende Fragen unserer Zeit und setzen in der Öffentlichkeit ein sichtbares Zeichen für ihren Glauben. Und zugleich versichern sie sich in der Gemeinschaft ihres Glaubens. Die Atmosphäre auf den Kirchentagen ist etwas ganz Besonderes. Wer es noch nie erlebt hat – es lohnt sich.
Zusammen für den Glauben einzustehen gilt es aber nicht nur bei solchen besonderen Gelegenheiten, sondern auch im Alltag. Einzustehen zum Beispiel dafür, dass wir eine evangelische Schule sind. Dafür, dass bei uns manches anders läuft als an anderen Schulen. Zum Beispiel, dass wir an der wöchentlichen Andacht festhalten und dafür auch Unterrichtszeit investieren.
Oder daran, dass der Religionsunterricht bei uns Pflichtfach ist. Weil wir davon überzeugt sind, dass es sinnvoll ist, sich mit den grundlegenden Fragen des Menschseins auseinanderzusetzen. Nicht um Euch Schülerinnen und Schüler zu missionieren und zu einem Glauben zu drängen, von dem Ihr nicht überzeugt seid. Zum christlichen Profil unserer Schule gehört auch der Respekt vor Eurer eigenständigen Persönlichkeit. Aber wir wollen Euch mit einem vernünftig verantworteten Christentum bekannt machen und im kritischen Nachdenken über Gott und die Welt schulen. Und das in der Begegnung mit Lehrerinnen und Lehrern, die sich in ihrem Glauben für Euch erkennbar machen. Die ihren persönlichen Glauben Euren Fragen aussetzen, so dass Ihr Euch in der Auseinandersetzung mit uns über Eure eigenen Überzeugungen klarer werden könnt.
Einstehen für den Glauben bedeutet auch, bereit dazu zu sein, über den eigenen Glauben zu sprechen. Das ist in unserer Gesellschaft oft schambehaftet. Es gilt als nicht besonders cool, Christ zu sein. Das muss ja auch nicht bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit vor sich hergetragen werden. Und es soll sich auch niemand gezwungen fühlen, sich zu einem Glauben zu bekennen, von dem er nicht überzeugt ist. Umgekehrt sollte an unserer Schule aber auch niemand schräg angeschaut werden, der offen dazu steht, dass er an den Gott der Bibel, an Jesus Christus, an die Gemeinschaft des Geistes glaubt. Aus Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern habe ich den Eindruck, dass das gar nicht so wenige sind. Es sollte – zumindest im geschützten Rahmen unserer Schule – kein Problem sein, offen dazu zu stehen. Z.B. in den Andachten das Vater Unser mitzubeten oder in den Gottesdiensten die Lieder mitzusingen. Auf diese Weise wird dann spürbar: Da sind noch mehr um mich herum, die glauben.
Dann kann auch etwas spürbar werden von der Kraft Gottes, von der Paulus schreibt: Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« (Röm 1,16f)
Paulus schreibt von einer Kraft, die selig macht. Die Angst nimmt und Zuversicht schenkt. Die Menschen frohen Mutes den Herausforderungen und Bedrängnissen des Lebens ins Auge sehen lässt. Die Menschen den Mut gibt, etwas zu tun – auch auf die Gefahr hin Fehler zu machen.
Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit offenbart, die vor Gott gilt. Eine Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt und zum Glauben führt. Glauben meint hier in erster Linie das Vertrauen auf Gott. Vertrauen darauf. dass Gott es gut machen wird – allem Augenschein zum Trotz. Dass Gott mich gut macht, auch da, wo ich Fehler mache. Dass Gott noch etwas vorhat mit der Welt und mit mir. Deshalb lasse ich mich von Herausforderungen nicht lähmen wie das Kaninchen vor der Schlange, sondern fasse den Mut etwas zu tun. Auch den Mut, für den Glauben einzustehen, der mir geschenkt ist. Ich könnte vielleicht schon anders, aber hier stehe ich.
Arnold Glitsch-Hünnefeld