Entgrenzte Fastenzeit?

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Quelle: Maren Beßler / pixelio.de

Mit dem vergangenen Mittwoch, dem „Aschermittwoch“, oder – je nach Lesart – mit dem vergangenen Sonntag „Invokavit“ hat die Passionszeit begonnen. Traditionell ist das eine Fastenzeit und Christen überlegen sich, worauf sie diesmal in den 6 ½ Wochen bis Ostern verzichten wollen.

„Moment mal!“ werden sich in diesem Jahr allerdings manche denken. „Soll ich zusätzlich zu all den Einschränkungen des Lockdowns auf noch mehr verzichten? Ernsthaft? Ist der Lockdown nicht sowieso so etwas wie eine entgrenzte Fastenzeit?“ Zweimal lautet die Antwort „Nein“. Nein, von „Sollen“ oder gar „Müssen“ kann keine Rede sein.

Die Zeiten, in denen solche Traditionen praktisch verordnet waren und ihre Nichtbefolgung mit sozialer Ächtung geahndet wurde, sind – Gott sei Dank! – lange vorbei. Fasten ist heute ein bewusster und freiwilliger Verzicht auf bestimmte gewohnte Dinge, die das Leben angenehm machen und die uns deshalb lieb sind.

Und genau deshalb noch einmal: Nein. Der Lockdown keine Fastenzeit. Der Verzicht, den er uns abnötigt, ist zwar bewusst – weil wir hoffen, damit das Infektionsgeschehen einzudämmen – aber keineswegs freiwillig. Und manches von dem, auf das wir während des Lockdowns verzichten müssen, macht das Leben nicht nur angenehm, sondern ist – zumindest auf Dauer gesehen – lebensnotwendig. Allem voran die sozialen Kontakte. Menschen sind nicht als Einzelwesen gedacht. Aber auch Kultur gehört für mich zum Menschsein dazu und kommt derzeit viel zu kurz. Und anderes mehr.

Weil die Einschränkungen des Lockdowns kein Fasten sind, verzichte in diesem Jahr gerade nicht auf die Fastenzeit. Ich gönne mir die Erfahrung, dass ich allem erzwungenen Verzicht zum Trotz auf anderes verzichten kann, weil ich das will.

Die Bibel erzählt in Mt 4, dass Jesus vom Geist in die Wüste geführt wird, damit er vom Teufel versucht würde. Dort fastet er 40 Tage lang, verzichtet er 40 Tage lang darauf, irgendetwas zu essen. Am Ende dieser 40 Tage hat er natürlich gewaltigen Hunger. Und da setzt der Versucher an: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Um es kurz zu machen: Jesus widersteht allen drei Versuchen des Versuchers, ihn in Versuchung zu führen.

Ist dieses Fasten freiwillig? Jesus wird vom Geist – gemeint ist der Heilige Geist – in die Wüste geführt. Aber nirgends steht, dass er zum Fasten genötigt würde. Fasten war schon im Judentum eine Tradition, um Gott nahe zu sein. In dieser Geschichte dient es darüber hinaus einem bestimmten Zweck: „Damit er versucht würde.“ Mit dem Fasten macht Jesus sich bewusst angreifbar für die Versuchung. Und trotz seines Hungers widersteht er der Versuchung, eine Abkürzung zu nehmen und aus Steinen Brot zu machen. Sein Wille ist stärker als sein Trieb. Gerade darin erweist er sich als frei.

Die Fastenzeit vor Ostern erinnert an dieses Fasten Jesu. Die Versuchungsgeschichte ist das Evangelium für den Sonntag Invokavit. In der Vergegenwärtigung der Geschichte ist die Fastenzeit, eine Gelegenheit, sich als frei zu erweisen. Liebgewordene Gewohnheiten können unfrei machen. Gerade in der Coronazeit hat sich bei mir da einiges eingeschliffen. Mangelnde Bewegung und viel Essen als Kompensation haben mich füllig und träge werden lassen.

Da tut ein bisschen klassischer Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Junk-Food ganz gut. Und die Zeit, die ich mit dem Daddeln einer Quizspielvariante am Handy vertrödele, reut mich schon seit langem. Jetzt ergreife ich die Gelegenheit, das einfach mal zu lassen.

Zum Überwinden von Unfreiheit passt das diesjährige Fastenmotto: „Spielraum! 7 Wochen ohne Blockaden“. Arnd Brummer, Geschäftsführer der Aktion, denkt in seinem Grußwort über den Umgang mit Grenzen und Blockaden gerade auch in der Coronazeit nach. Und wer mit seinem Fasten nicht nur etwas für sich, sondern gleichzeitig etwas für die Schöpfung tun will, dem sei die Aktion Klimafasten ans Herz gelegt.

Manche der Anregungen setzt Ihr/setzen Sie vielleicht schon längst um. Das ist dann ein schönes Gefühl. Andere zeigen, dass es gar nicht so weh tun muss, den ökologischen Fußabdruck ein bisschen zu verkleinern. Fasten kann also auch eine Übung darin sein, frei zu werden für ein schöpfungsverträgliches Leben.

Bei alledem soll Fasten keine mühselige Quälerei sein. Auch das wird in der Bibel deutlich (z.B. Jes 58,5 oder Mt 6,16). Darum: Wer will darf – niemand muss. Vielleicht kann Fasten so ja eine Form des fröhlichen Protests gegen die Trübsal des Lockdowns sein.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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