„Fasnet und andere Auszeiten“

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Vor uns liegen die Fastnachtsferien und einen Vorgeschmack haben wieder die von der SV veranstalteten Mottotage gegeben. Und wieder habe ich mich – wie langweilig! – nicht daran beteiligt. Nein, mein Outfit heute ist weder das eines Superpfarrers noch das eines vordergründig frommen Bösewichts. Und ich habe mich auch nicht aus Pietät angesichts der Opfer in Syrien und der Türkei nicht verkleidet. Ich kann es nicht leugnen: Fasnet ist einfach nicht meins. 

Wenn ich in der Vergangenheit allzu genervt von der Allgegenwart der „tollen Tage“ war, habe ich mir gerne ein Stück von BAP auf die Ohren gegeben, das meinen Fluchtimpuls gut in Worte und Musik fasst. „Nit für Kooche“ – „Nicht für Kuchen“ – heißt es und wir haben den ersten Teil an Stelle des Vorspiels gehört. Allerdings werden wohl die wenigsten den Text verstanden haben. Im weiteren Verlauf wird die erste Strophe noch mal wiederholt. Und für alle, die des Kölschen nicht mächtig sind, habe ich hochdeutsche Untertitel hinzugefügt. Wir hören uns einen Ausschnitt an. 

Das Stück ist mittlerweile 40 Jahre alt. Manches fängt meine Gefühlslage zu Fasnet immer noch gut ein. Wenn Menschen, die das ganze Jahr völlig humorlos sind, plötzlich eine mit der Pappnase aufgesetzte Fröhlichkeit an den Tag legen, dann kann ich damit nichts anfangen. Und wenn im Schutz der Masken und der Bierseligkeit Frauen belästigt und fremdenfeindliche Sprüche geklopft werden, finde ich das zutiefst abstoßend. Und ja, manche Fastnachtstradition erscheint mir reichlich zwanghaft und alles andere als frei. 

Auf anderes hat sich mein Blickwinkel mittlerweile verändert: Es gibt nun mal bestimmte Zeiten und Gelegenheiten, in denen ausgelassene Freude ihren Ort hat, und andere, wo das nicht der Fall ist. BAP stören sich an den strikt geordneten Gefühlen. „Schwarz, wenn jemand stirbt“ heißt es in der letzten Strophe. Ja und? Eine Pappnase und ein fröhliches „Narri, Narro!“ wären bei einer Trauerfeier ja wohl auch völlig daneben. Ein Stück weit spricht aus dem Lied – und meiner damaligen Attitüde des Darüberstehens – ein gutes Stück Arroganz. „Ich bin Narr, wann ich will – das ganze Jahr“? Bin ich nicht. Meine Jugendlichen-Uniform von Damals (Jeans, Turnschuhe, Sweatshirt, Schlabbertuch) habe ich mittlerweile gegen Hemden und Halbschuhe eingetauscht. Es gibt Dinge, die ich nicht gerne ohne Schlips und Kragen mache – wie z.B. die Andachten. Vielleicht hat das etwas mit Erwachsenwerden zu tun. 

Mittlerweile gönne ich den Narren ihre fünfte Jahreszeit. Wie die Narren brauche auch ich die kleinen Fluchten aus dem Alltag. Ich lebe sie zum Beispiel gerne auf Konzerten und Festivals wie in Wacken aus. Einen Mittfünfziger als Teil eines Pulks von brüllenden Metalfans findet bestimmt auch so mancher zum Fremdschämen. Aber ich tanke in so einer begrenzten Zeit ritualisierter Freiheit Endorphine für die nächsten Wochen und Monate. Ab und zu tut es gut auszubrechen und in Phantasiewelten einzutauchen. „Eskapismus“ wird das genannt. Den Erwartungen entkommen, die im Alltag – völlig zu Recht – an mich gestellt werden. 

Auch von Jesus erzählt das Neue Testament, dass er sich immer wieder Auszeiten genommen hat. Dass er sich von der Menge zurückgezogen hat, die seine Wunder sehen und seine Worte hören wollte. Manchmal hat er sich mit seinen Jüngern zurückgezogen und manchmal allein. Oft hat er dabei die Stille und das Gebet gesucht und auf diese Weise seine Akkus wieder aufgeladen. 

In einer Geschichte wird erzählt, wie er mit drei Jüngern auf einen hohen Berg gestiegen ist. Dort begegnete er Mose und Elia – die Jahrhunderte vor ihm gelebt hatten. Er selbst wurde „verklärt“, von göttlichem Licht durchflutet. Eine Phantasiewelt. Petrus hätte diesen Moment gerne festgehalten. „Willst Du, so will ich hier drei Hütten bauen. Dir eine, Elia eine und Mose eine.“ Aber Jesus lässt das nicht zu. Er und die drei Jünger kehren zurück in ihren Alltag. Zurück in die Realität, in der sich für Jesus bereits das Kreuz abzeichnet. Aber er und die Jünger treten diese Etappe an, gestärkt durch das Erlebnis der Nähe Gottes. 

Jenseits von Fasnet liegt die Passionszeit. Die Zeit des Gedenkens an das Leiden und Sterben Jesu. Und unsere Realität ist gerade auch reichlich bedrückend. Die Bilder aus Syrien und der Türkei sind schwer zu ertragen. Der Ukraine-Krieg wütet bald schon ein ganzes Jahr. Wir können und wir dürfen der Wirklichkeit nicht dauerhaft ausweichen. Ebenso wenig wie die drei Jünger Jesu. Aber wir brauchen auch immer wieder die Gelegenheiten zum Auftanken. Und ich persönlich brauche dabei beides: Gelegenheiten, um mich auszutoben, und Momente der Stille und des Kontakts mit Gott. 

So lasst uns die vor uns liegende Auszeit nutzen. Ob im närrischen Treiben, im Genießen der Ruhe fernab vom Erwartungsdruck des Alltags oder im Gebet und im Gottesdienst. Und lasst uns dann gestärkt wieder zusammenkommen, die Wirklichkeit annehmen und die nächste Etappe unseres gemeinsamen Weges angehen. 

Arnold Glitsch-Hünnefeld