„Farbe in Zeiten des abnehmenden Lichts“

Mittwochsandacht_online

Elisabeth Schmid, Ins Licht 1 / Ins Licht 2

Es ist Herbst geworden. Die Tage werden kürzer. Bereits seit einiger Zeit ist es wieder morgens noch dunkel, wenn ich meine Runde mit dem Hund gehe. Auch der Weg in die Schule und die erste Stunde finden wieder im Halbdunkeln statt – so auch diese Andacht.

In dieser Zeit des abnehmenden Lichts ist im Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde auf der Höri eine Ausstellung unter dem Motto „Licht und Farbe“ zu sehen. Ausgestellt sind Bilder der Künstlerin Elisabeth Schmid aus Wangen auf der Höri. Vielfältig sind die Bilder: Abstrakt oder gegenständlich, Landschaften oder Architektur, Tiermotive, Stillleben oder Menschen. Allen Bildern gemeinsam ist, dass die Künstlerin ein besonderes Augenmerk auf das Zusammenspiel der Farben legt. Und viele Bilder leben auch von dem Zusammenspiel von Farbe und Struktur. Mehrfach bilden zwei Bilder jeweils eine Einheit.

Ich habe zwei solche Bilder ausgesucht. „Ins Licht“ (1 und 2) heißen sie. Angesprochen haben mich besonders die Farben dieser Bilder und auch, dass sie in meinen Augen etwas Geheimnisvolles haben. Es ist nicht ganz klar, ob es abstrakte Bilder sind oder ob in ihnen eine Landschaft angedeutet ist. Ins Auge fällt zunächst der Kontrast zwischen den dunklen Balken im Vordergrund und den Farben dahinter. Die Balken geben den Bildern Struktur wie auch der Wechsel zwischen den dunkleren Farben im jeweils unteren Bildbereich und den helleren oben. Dabei ist dieser Wechsel kein scharfer Kontrast. Besonders im rechten Bild gehen die dunkleren Rottöne in die helleren Farben über. Es wirkt, als ob die Farben im unteren Bereich sichtbar sind, weil sie das Licht aus dem oberen Bereich empfangen. Ich assoziiere mit den Bildern einen Platz am Waldrand. Zwei Baumstämme sind jeweils mit im Blickfeld. Im Wald ist es dunkel. Jenseits der Bäume öffnet sich eine freie Ebene – vielleicht sind im linken Bild ein paar Büsche zu erahnen. Im Bild links liegt die Landschaft im Licht eines kühlen Morgens. Im Bild rechts im prächtigen Farbenspiel eines Sonnenuntergangs. Beide Bilder zeigen den Blick aus dem Dunkel ins Licht.

Farbe in Zeiten des abnehmenden Lichts. Für mich beschreibt das den Herbst dieser Tage treffend. Das bunte Laub draußen bringt jedes Jahr auf’s Neue eine einzigartige Farbenpracht. Aber auch wenn die Bäume allmählich kahl werden, gibt es Farben zu entdecken. Selbst wenn der Nebel scheinbar alle Farben verschluckt, lassen sich noch zarte Abstufungen im Weiß, Grau, Blassgrün und Blassblau entdecken. Und bei der Morgenrunde mit dem Hund scheinen im Dunkeln die Lichter von Steckborn aus über den See – darunter auch grüne und rote Signalleuchten.

Aber nicht nur die Farben, die wir um uns herum vorfinden, können Abwechslung und Licht in die dunkle Jahreszeit bringen. Auch wir selbst können uns mit Farbe beschenken. So ist zum Beispiel die Ausstellung im Gemeindehaus ein Geschenk der Künstlerin an die Kirchengemeinde und die Menschen, die die Ausstellung besuchen – gerade jetzt in der Zeit des abnehmenden Lichts. Auch mit anderen Formen der Kunst können wir uns selbst und einander Farben vor das geistige Auge malen. Mit Musik oder mit Literatur. Das Kinderbuch „Frederick“ von Leo Lionni beschreibt, wie es den Feldmäusen im Winter ganz warm ums Herz wird, als Frederick ihnen die Sonnenstrahlen und die Farben des Jahres mit Worten ausmalt.

All das – die Farben in der Natur und die Farben im Alltag, die Farben der Kunst und die Farben vor dem geistigen Auge – all das ist für mich von Gott geschenkt. Er bringt Licht und Farbe in unser Leben. Selbst da, wo uns das Dunkel übermächtig erscheint, lässt er uns sein Licht entdecken. Und er lässt uns einander zu Licht und Farbe werden.

Ein Gebet des Volkes Israel fasst diese schöpferische Kraft Gottes in bildreiche Worte. Ausschnitte aus Psalm 104:

Lobe den Herrn, meine Seele!

Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich;

du bist schön und prächtig geschmückt.

Licht ist dein Kleid, das du anhast.

Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich;

der du das Erdreich gegründet hast auf festen Boden,

dass es bleibt immer und ewiglich.

Du feuchtest die Berge von oben her,

du machst das Land voll Früchte, die du schaffest.

Du lässest Gras wachsen für das Vieh

und Saat zu Nutz den Menschen,

dass du Brot aus der Erde hervorbringst,

dass der Wein erfreue des Menschen Herz.

Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!

Du hast sie alle weise geordnet,

und die Erde ist voll deiner Güter.

Die Herrlichkeit des Herrn bleibe ewiglich,

der Herr freue sich seiner Werke!

Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja!

Amen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld, Schulpfarrer