Von „Beten ist sinnlos“ zum „agnostischen Beten“

Mittwochsandacht_online

Bildquelle: Booklet zur CD „BAP „Sonx““; Fotografin: Tina Niedecken

Dieser Tage habe ich nach längerer Zeit mal wieder eine CD der Kölschrockgruppe BAP angehört. Keines der Klassikeralben aus den frühen 80ern, sondern eines, das ich noch nicht so oft rauf- und runtergehört habe aus dem Jahr 2016. Und wieder einmal bin ich über das Stück „Dä Herrjott meint et joot met mir“ (Der Herrgott meint es gut mit mir) gestolpert. Ist das dieselbe Band, die mich mit ihrer religionskritischen Haltung früher öfter Mal in Erklärungsnöte gebracht hat?

BAP gehören zum Soundtrack meiner Jugend. Von keiner anderen Band habe ich mehr Konzerte besucht (nicht einmal von Iron Maiden). Auf BAP konnten wir uns im Freundeskreis alle einigen – auch Jahre nach der Zeit, in der sie so erfolgreich waren, dass sie Platz 1 und 2 gleichzeitig in den deutschen Albumcharts belegten. Da war es dann schon nicht mehr cool, BAP zu mögen, aber das war uns nicht wichtig. In der Musik, vor allem aber in den poetisch-politischen Texten von Frontmann und Bandkopf Wolfgang Niedecken fanden wir uns wieder.

Da die meisten von uns Jugendleiter in der evangelischen Kirchengemeinde waren, warf ein Stück mit dem Titel „Wenn et Bedde sich lohne däät“ (Wenn Beten sich lohnen würde) natürlich Fragen auf. Die Inhalte, für die der Sänger beten würde – wenn es sich denn lohnen würde, passten zu unseren Vorstellungen. Aber das Fazit „Gott, wäre Beten doch bloß nicht so sinnlos“ war für mich ein Stachel im Fleisch. Immerhin – der Satz forderte mich zum Nachdenken heraus.

Und immerhin – bei Niedecken fehlte diesen Zeilen jede Selbstgerechtigkeit. Denn zuvor heißt es „Vielleicht beneide ich auch die, die glauben können“ und weiter „oft denke ich, wir wären bald schon an dem Punkt, wenn egal wird, wer Recht hat, wenn Beziehung und Kohle nicht zählen. Wir sind alle zusammen auf dem Kreuzweg, etwa da, wo man das dritte Mal fällt.“

Seitdem (das Lied ist von 1982) ist viel Zeit vergangen und Niedecken hat sich weiterentwickelt – oder besser: Meine Wahrnehmung von ihm hat sich entwickelt – persönlich kenne ich ihn ja nicht. Sein Verhältnis zu Glauben und Kirche ist nach wie vor differenziert, aber von deutlich weniger Berührungsängsten geprägt. 2007 ist er beim Evangelischen Kirchentag in Köln aufgetreten.

Im Zentrum des Artworks zum BAP-Album von 2004 steht eine Anstecknadel mit Herz, Kreuz und Anker – Symbole für Liebe, Glaube und Hoffnung (1.Kor 13,13). Das ist kein Zufall, sondern gleich das erste Stück („Wie, wo un wann?“) setzt sich mit diesen drei Größen auseinander, arbeitet sich an ihrer tagtäglichen Banalisierung ab und ist von der Sehnsucht danach geprägt.

Und dann im Spätwerk eben die Überzeugung „Dä Herrjott meint et joot met mir“. Da hat einer trotz der Erfahrung von Gewalt und Missbrauch als Schüler in einem katholischen Internat und trotz aller christlichen Heuchelei, die ihn wahrscheinlich immer noch abstößt, zu einem entspannt-positiven Verhältnis zu Gott gefunden. Mittlerweile bezeichnet er sich gerne als „restkatholisch“.

In einem Interview mit der evangelischen Zeitschrift „chrismon“ sagt Niedecken 2019: „Ich habe eine Art agnostisches Beten für mich entwickelt, dann rede ich mit Gott wie unter Kumpels. … Ich halte ihn für sehr sympathisch.“ 2011 überstand er einen schweren Schlaganfall und ist davon wieder vollständig genesen. Dass die Operation in seinem Gehirn so gut verlaufen ist, bewertet er rückblickend: „Also, da hat schon einer die Hand über mich gehalten. Das ist, als würde er zu mir sagen: ‚Komm bleib. Bleib bei deinen 51 Prozent Glauben.“

Von der Gelassenheit, die Niedecken inzwischen ausstrahlt, bin ich oft noch weit entfernt. Sein unaufgeregter, bescheidener Glaube ist mir sympathisch. Und der Rückbezug auf Glauben, Liebe und Hoffnung ist für mich zentral. Dass diese drei bleiben, was immer auch passiert, trägt mich im Leben. Diese Erfahrung wünsche ich Euch und Ihnen allen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

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