„Auferstehung – wirklich?“

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In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Publik Forum habe ich einen Artikel des Alttestamentlers Jürgen Ebach gelesen. Sein Titel ist „Auferstehung der Toten“. In der Einleitung heißt es: „Gleichnisse und Gedichte aus der jüdischen und christlichen Tradition: Viel zu schön, um nicht auch wahr zu sein.“

Im ersten Teil verdeutlicht Ebach anhand einer persönlichen Erfahrung, dass Glauben mehr ist als ein unsicheres Fürwahr-Halten von Tatsachen. Nach einem Schlaganfall ist er halbseitig gelähmt. Beim Gewaschenwerden durch eine Pflegerin muss er aus seinem Rollstuhl aufstehen und auf beiden Füßen stehen. Da er im lahmen Fuß kein Gefühl hat, kann er nicht wissen, dass dieser ihn tragen wird. Aber er vertraut fest darauf – und behält Recht. Das hebräische Wort für „glauben“ bedeutet unter anderem „sich festmachen in etwas“. Glauben meint das, worauf ich geistig, leiblich und gefühlsmäßig sicher stehe.

Als Zugang zum Auferstehungsglauben wählt Ebach einen Text aus der Hebräischen Bibel, unserem Alten Testament. Das ist erstaunlich, denn in der Hebräischen Bibel gibt es keine Auferstehungslehre. Dennoch beschreibt der Prophet Ezechiel die Vision einer Auferstehung:

Des Herrn Hand kam über mich, und er führte mich hinaus im Geist des Herrn und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine. Und er führte mich überall hindurch. Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin, und siehe, sie waren ganz verdorrt. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, mein Gott, du weißt es. Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort! So spricht Gott der Herr zu diesen Gebeinen: Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet. Ich will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet; und ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin. Und ich weissagte, wie mir befohlen war. Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu Gebein. Und ich sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen. Und er sprach zu mir: Weissage zum Odem; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Odem: So spricht Gott der Herr: Odem, komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße, ein überaus großes Heer. (Ez 37,1-10)

Zum besseren Verständnis dessen, welche Wirklichkeit dieser Text beschreibt, referiert Ebach einen Abschnitt aus dem Talmud zu diesem Text. Er gibt eine Diskussion zwischen mehreren Rabbinen zu diesem Text wieder. Für Rabbi Jehuda ist der Text „ein wirkliches Gleichnis“. Daraufhin fragt Rabbi Nechamja zurück: „Wenn wirklich, wieso ein Gleichnis, und wenn ein Gleichnis, wieso wirklich?“ Und er kommt zu dem Schluss: „In Wirklichkeit war es (nur) ein Gleichnis.“

Ebach geht im Folgenden noch tiefer auf die rabbinische Diskussion ein. Ich kehre noch einmal zum Text und seinem Hintergrund zurück. In der Tat ist der Text ein Gleichnis. Das zeigen die nachfolgenden Verse ganz eindeutig:

Und der Herr sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns. Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels. Und ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. Und ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der Herr.

(Ez 37,11-14)

Die Totengebeine sind ein Gleichnis für das Volk Israel. Zur Zeit des Propheten Ezechiel hatte dieses kleine Volk einen verheerenden Krieg gegen das Großreich Babylonien verloren. Die Hauptstadt Jerusalem und der Tempel waren zerstört. Wesentliche Bevölkerungsschichten waren nach Babylonien verschleppt worden und mussten dort im Exil leben. Der Staat Juda existierte faktisch nicht mehr. „Unsere Hoffnung ist verloren und es ist aus mit uns.“

In diese Situation hinein spricht das Gleichnis des Propheten. Er benutzt dieses für die Ohren seiner Zeitgenossen unerhörte Bild von der Auferstehung der Toten und malt es sehr anschaulich aus. Wir haben es gerade gehört. Gerade weil es so ungewöhnlich und zugleich so anschaulich ist, erschließt und schafft das Gleichnis Wirklichkeit. Die Menschen werden mit hineingenommen in das Gleichnis. Gegen den Augenschein der völligen Katastrophe erschließt das Gleichnis einen Funken Vertrauen in Gottes Wirklichkeit. Vertrauen darauf, dass Gott sein Volk – trotz allem – nicht verlassen und nicht vergessen hat. Und dieses Vertrauen schafft Wirklichkeit: Die Menschen geben sich nicht völlig auf. Sie bewahren sich ihre Identität auch in der Fremde des Großreiches.

Und wirklich: Nach 70 Jahren des Exils tritt die Wende ein, mit der aufgrund von nüchternen Fakten nicht zu rechnen gewesen wäre. Das Großreich Babylonien zerbricht und wird von den Persern erobert. Der persische Großkönig gestattet den Juden die Rückkehr nach Jerusalem, den Wiederaufbau des Tempels und eine Selbstverwaltung mit eigenen Gesetzen – der Thora.

Auch das Großreich der Perser ist längst vergangen und nach ihm noch viele andere Großreiche. Das kleine Volk der Juden besteht bis heute. Die wirklichkeitsstiftende Kraft des Gleichnisses von der Auferstehung der Totengebeine ist ein Mosaikstein, der mit dazu beigetragen hat. Es hat dazu beigetragen, den Menschen den Glauben zu geben, dass Gottes Wirklichkeit stärker ist, als die tödliche Logik weltlicher Macht.

Und so erschließt und schafft auch die Osterbotschaft Wirklichkeit. Das „wirkliche Gleichnis“ der Auferstehung Jesu, die Geschichten vom leeren Grab oder von der Begegnung mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus nehmen uns mit hinein in das Geschehen. In die Wirklichkeit Gottes, die größer ist als die Welt der reinen Fakten. In eine Hoffnung, die uns Mut machen kann, aufzustehen und an der Wirklichkeit Gottes mitzuwirken. Der oft tödlichen Logik der Welt zum Trotz. „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“

Arnold Glitsch-Hünnefeld