Mittwoch, 18.5. 2021

Die Arche war keine Schnapsidee

 Mittwochsandacht_online

Eigentlich ist zu Corona alles gesagt worden – und doch schauen wir auf etwas zurück, was uns noch eine Weile beschäftigen wird. Niemand mag mehr Diskussionen um Abstand, Masken, Hygiene, Kontaktverbot und Lockdown führen – vielleicht täte uns aber ein Perspektivwechsel gut? Zu einem solchen lädt ein Kinderbuch ein, auf das ich kürzlich stieß. „An der Arche um acht“ ist der Titel von Ulrich Hubs kleinem Werk, das auf Noahs Arche ziemlich genau am Tag 38 von 40 spielt. Zum Ende einer Krise also…

Den Anlass kennt jeder: Gott plant eine Sintflut und erteilt Noah den Auftrag, eine Arche zu bauen. Er ernennt die Taube zum Krisenmanager, die Tickets an Auserwählte verteilt. Die Pinguine schaffen es in letzter Minute an Bord zu gehen – doch sie schmuggeln ihren Freund auf die Arche. Nach knapp 40 Tagen bricht der „Hüttenkoller“ aus, die Taube ist am Rand eines Nervenzusammenbruchs ob der individuellen Bedürfnisse eines jeden Passagiers und heult sich bei den Pinguinen aus. Der dritte im Bunde meldet sich als „Gott aus dem Koffer“ zu Wort und findet ermutigende Worte. Der Betrug fliegt auf. Bevor Noah eine Strafe vollziehen kann, läuft die Arche auf Grund, die Sintflut ist vorbei. Doch: die Taube hat vor lauter Bürokratie vergessen einen Täuberich mitzunehmen und ist am Boden zerstört. Um den Fehler vor Noah zu vertuschen, gehen der dritte Pinguin (verkleidet als Täuberich) und die Taube als Brautpaar (!) von Bord. Noah findet salbungsvolle Worte des Dankes für das Krisenmanagement und der Rest ist bekannt: Gott verspricht per Regenbogen, nie wieder eine Sintflut über das Land kommen zu lassen.

Mit dem Erhalt der beiden Tickets wird den Pinguinen plötzlich bewusst, was Verantwortung bedeutet: sich an Vorgaben zu halten und (nur) zu zweit an Bord zu gehen, um den Erhalt der Gattung zu sichern – und dafür Gemeinschaft mit anderen (Pinguinen) zu opfern. Übersetzt: Auch wir mussten uns selbst zum Wohl der Gemeinschaft zurücknehmen. Ich denke bei den Tickets für die Arche auch an die Triage – die Verantwortlichen sind ganz knapp der Entscheidung entgangen, wer es im Falle eines Falles wert ist, ein solches Überlebensticket zu erhalten.

Wann das Abendbuffet öffnet? Wo man Liegestühle mieten kann? – wollen die Tiere wissen. Auf der Arche ist von Kreuzfahrt keine Spur: die Realität heißt Lockdown in einer muffigen Innenkabine. Die Frage, wieviel Komfort wir bereit sind zu Gunsten der Allgemeinheit zu opfern, wurde im letzten halben Jahr überstrapaziert. Viele Bereiche des öffentlichen Lebens wurden so sehr zum Verzicht gezwungen, dass sie jetzt vor dem Aus stehen. Ob das alles der einzig richtige Weg war?

Und dann war da noch ein Mord: Denn aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit heraus hatte der Pinguin einen Schmetterling getötet, dem er das Fliegen neidete. Für seine Kameraden war die Sintflut damit eine Strafe Gottes. Es wäre aber zu einfach – und auch falsch – zu glauben, dass Gott uns die Pandemie als Denkzettel geschickt hat, weil wir (Menschen) das Maß der Dinge verloren haben. Doch es ist sicher kein Fehler unseren indirekten Beitrag an den Katastrophen der Welt zu reflektieren. Menschen meinen durch Technik und Fortschritt alles beherrschen, berechnen, voraussehen, künstlich erzeugen zu können. Um der Abholzung der Regenwälder, der Ausrottung von Tierarten, der Zerstörung von Lebensräumen, Meeren und des Klimas Einhalt zu gebieten, uns zum Umdenken zu bewegen, war die Krise zu kurz. Auch wir Menschen überspannen bisweilen den Bogen, fühlen uns in unserem Denken zu sehr als „Gott“ (wie der Pinguin im Koffer!) und verkennen dabei, dass Gott ein Schöpfer ist, wir Menschen dagegen zerstörerisch wirken – wenngleich indirekt durch unsere Ansprüche und unseren Lebensstil. Gott kann zugeben, dass die Sintflut „eine Schnapsidee“ war und sendet einen Regenbogen als Eingeständnis, dass die Schöpfung inclusive der Menschen nicht perfekt ist. Der Regenbogen ist zugleich auch eine Einladung an uns, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten – vielleicht sogar in gewissen Bereichen tatsächlich umzudenken.

Es wäre ja schon ein Gewinn, wenn wir wenigstens aus Corona die Erkenntnis gewinnen würden, dass nicht alle Errungenschaften unserer Zivilisation selbstverständlich sind und wir unser Leben nach Monaten des Entzugs neu entdecken können. Die Sintflut mag Gott als Schnapsidee betrachten; die Arche war es ganz sicher nicht.

M. Bischofberger

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