Advent im Weckglas

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Weckgläser sind für mich in erster Linie eine Kindheitserinnerung. Obst oder Gemüse wurde eingeweckt, weil das günstiger war, als im Winter frisches zu kaufen. Die Gläser standen dann unten im Keller und ab und zu wurde ich geschickt, eines zu holen. Ich habe sie immer gerne selbst aufgemacht. Das Zischen, wenn ich das Gummi herausgezogen habe, war jedesmal ein Erlebnis.

Später sind die Weckgläser für viele Jahre von meiner Bildfläche verschwunden. Doch seit einiger Zeit sind sie wieder schwer in Mode gekommen. Unsere Nachbarin weckt alles Mögliche ein: Vom Tomatensugo über Kochwurst bis zum scharfen Thai-Gemüse. Und immer wieder kommen wir in den Genuss ihrer Kreationen. Sehr lecker ist das alles. Die etwas höheren Jahrgänge an unserer Schule werden sich vielleicht daran erinnern, dass einer der beliebtesten Snacks bei der Kabarettkiste die Currywurst aus dem Weckglas war.

Doch was hat das alles in einer Andacht im Advent verloren? Neulich war ich auf einer Tagung in meinem Lieblingstagungshaus. Und im Speisesaal fand ich die abgebildete, etwas eigenwillige Adventsdekoration. „Advent im Weckglas“ – was wäre das für eine Botschaft?

Geht es darum, den Advent zu konservieren? „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ von Heinrich Böll fällt mir ein. Als Tante Milla mit ununterbrochenem Schreien reagiert, als nach der Weihnachtszeit der Tannenbaum abgeschmückt wird und aus der Wohnung entfernt werden soll, gibt die Familie nach und feiert zwei Jahre lang jeden Abend Weihnachten. Mit dabei immer der Engel, der leise „Frieden, Frieden, Frieden“ flüsterte. Nach und nach dreht – mit Ausnahme von Tante Milla – die ganze Familie durch. Wenn ich mir vorstelle, „Jingle Bells“ oder gar „Last Christmas“ in Dauerschleife zu hören – ich hätte keine zwei Wochen durchgehalten.

Trotzdem könnte man sich fragen, ob der Advent nicht tatsächlich seit 2000 Jahren konserviert wird. „Ja, aber“ möchte ich antworten. „Ja“: Eingeweckte Lebensmittel halten lange, aber nicht ewig. Irgendwann gammeln sie doch. Seit einiger Zeit zeigt auch der Advent gewisse Degenerationserscheinungen. Er scheint zu einer reinen Konsumsaison zu verkommen. „Aber“: Wenn etwas konserviert wird, soll die Zeit gewissermaßen angehalten, der Zustand aus der Vergangenheit erhalten werden. Im Advent richtet sich der Blick nach vorn auf das Kommen Christi. Eine Veränderung wird erwartet – also gerade kein Konservieren der Vergangenheit. Christen warten darauf, dass sich das Reich Gottes ganz durchsetzen wird. Ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens. Also kein leises – etwas kitschiges – Flüstern „Frieden, Frieden“, sondern Frieden als heilvolle Wirklichkeit. Und Christen warten nicht nur passiv darauf, sondern arbeiten aktiv daran mit.

Eine zweite Assoziation bei der Tischdekoration im Weckglas. Da hat jemand praktisch gedacht. Man muss sich nicht Jahr für Jahr die Mühe machen, den Adventsschmuck sorgfältig zu arrangieren. Nach der Adventszeit kommen die Gläser in den Keller und im nächsten Jahr genauso frisch wieder auf die Tische. Nicht einmal groß abstauben muss man sie. Das Ganze hat etwas von Advent im Taschenformat.

Aber wird es dem Advent gerecht, wenn er so praktisch und bequem gemacht wird? Ist das nicht zu klein vom Advent gedacht? Die Texte der Bibel, die mit dem Advent verbunden sind, scheuen keine großen Bilder. „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“ (Ps 24,7) „Bereitet dem Herrn den Weg. Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden.“ (Jes 40,3f) Eine große Umwälzung kündigt sich an. Davon singt auch Maria, nachdem ihr die Geburt Jesu angekündigt wurde: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ (aus Lk 1) Die ungerechten Verhältnisse und der Unfrieden sind nicht auf ewig zementiert. Das Reich Gottes ist im Kommen und es wird groß sein.

Vielleicht müssen wir neu lernen, das Große im Kleinen zu sehen. Die Samen, die einst zu großen Bäumen heranwachsen werden. Das Reich Gottes, das mit dem Kommen Jesu angebrochen ist, mitten unter uns wächst und irgendwann alles überstrahlen wird. Lassen wir uns die Augen dafür öffnen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld