„Lass dich nicht vom Bösen überwinden!“

Mittwochsandacht_online

Matthias Ecke, Europaabgeordneter der SPD, war in Dresden gerade dabei Wahlplakate aufzuhängen, als er von vier jungen Männern angegriffen und zusammengeschlagen wurde. Er erlitt Knochenbrüche im Gesicht und musste operiert werden. Die Nachricht hat mich und viele andere aufgeschreckt. Dieser Angriff war besonders brutal, aber er ist kein Einzelfall. Im Gegenteil: Derzeit vergeht gefühlt kaum ein Tag, an dem nicht von gewalttätigen Übergriffen gegen Politiker*innen berichtet wird. Die Vizepräsidentin des Bundestags, die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, wird eine Dreiviertelstunde lang von wütenden Demonstranten in ihrem Auto bedrängt und an der Fahrt gehindert; Monika Giffey, Wirtschaftssenatorin in Berlin, wird mit einem Beutel geschlagen; Steine fliegen gegen das Haus eines AfD-Stadtrats in Halle.

Neben den tätlichen Angriffen gibt es eine Flut von verbalen Attacken gegen Mandatsträger*innen und andere Menschen, die sich öffentlich engagieren. Die Bürgermeister der drei Höri-Gemeinden berichteten von zahlreichen Hass-Mails, die ihnen geschickt wurden, weil sie sich an einer Kundgebung des Bündnisses „Höri, gemeinsam für Demokratie!“ beteiligt haben. Und auch das sind nur einige Beispiele von unzählig vielen. Was die Absender solcher Mails von sich geben, ist oft unterste Schublade und schwer erträglich.

Gewalt, egal ob physisch oder psychisch, ob tätlich oder verbal, ist niemals akzeptabel. Gewalt gegen Menschen, die sich öffentlich engagieren, hat darüber hinaus den Effekt, dass diese Menschen die Lust daran verlieren, sich öffentlich einzubringen. Man kann es ihnen nicht verdenken. Eine Demokratie ist aber darauf angewiesen, dass Menschen sich engagieren. Ohne gesellschaftliches Engagement ist sie handlungsunfähig.

Wie kommt es zu dieser Zunahme der Gewalt? Eine Ursache ist sicher, dass sich der Ton in den politischen Debatten seit einiger Zeit mehr und mehr verschärft hat. Politisch Andersdenkende sind nicht mehr Gegner, mit denen man um die richtigen Lösungen ringt, sondern werden zu Feinden erklärt, die es zu bekämpfen gilt. So wird das politische Klima vergiftet.

Vielleicht haben sich einige von Euch gewundert, dass ich in der Aufzählung am Anfang auch einen Übergriff auf einen AfD-Abgeordneten erwähnt habe. Und vielleicht denken sich manche: „Die sind doch selbst schuld. Sie sind doch verantwortlich für den Niedergang der politischen Kultur.“ Richtig ist, dass sich viele AfD-Politiker*innen in besonders herabwürdigender Weise über politisch Andersdenkende äußern. Aber das heißt noch lange nicht, dass man sie deshalb beliebig angreifen und beleidigen darf. Wer Unrecht mit Unrecht beantwortet, setzt sich selbst ins Unrecht. Auf diesem Hintergrund frage ich mich schon auch selbstkritisch, ob es richtig war, zunächst ungefiltert alle Statements an den Stellwänden im Foyer aufzuhängen, auch die, die beleidigend waren.

Neben den verrohten politischen Debatten gibt es noch weitere Ursachen für die Gewalt gegen Menschen, die sich engagieren. Übrigens auch – und das finde ich erst recht unerträglich – gegen Polizei- und Rettungskräfte. Unsere Gegenwart ist von zahlreichen Krisen geprägt. Das verunsichert Menschen und schürt Ängste, die in Wut umschlagen.

Dazu kommt eine Haltung, die Herr Asal in der Andacht am letzten Mittwoch dem älteren Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn attestiert hat: „Den Anderen geht es immer besser als mir.“ Manche Menschen fühlen sich ständig benachteiligt. Und schuld daran sind vermeintlich die, die „die Anderen“ in den Augen der Unzufriedenen besser behandeln. Also auch Rettungskräfte und Mandatsträger*innen. An denen wird der Frust ausgelassen. Weil Menschen meinen, dass sie nicht zu ihrem Recht kommen, nehmen sie sich das Recht, „die Anderen“ ihrerseits schlecht zu behandeln. Aber erstens ist gefühltes Unrecht nicht unbedingt tatsächliches Unrecht. Und zweitens wird Unrecht durch neues Unrecht nicht ausgeglichen und aus der Welt geschafft, sondern verstärkt. Die beschriebene Haltung ist deshalb keine Rechtfertigung für Gewalt, sondern eine Ausrede.

Paulus empfiehlt im Römerbrief eine gegenteilige Haltung: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm 12,21) Nimm in denen, die dich schlecht behandeln, immer die Menschen wahr. Verhalte dich ihnen gegenüber so, wie du es dir von ihnen wünschen würdest. Das ist anspruchsvoll. Aber es ist der Weg, um Unrecht nachhaltig aus der Welt zu schaffen, eben das Böse zu überwinden.

Eben weil diese Haltung anspruchsvoll ist, muss sie eingeübt werden. Zum Beispiel durch die Veranstaltungen zur Gewaltprävention, die in den letzten zwei Wochen in den 7ten Klassen durchgeführt wurden. Gewalt beginnt ja nicht erst im öffentlichen Raum. Ich weiß nicht, ob jemand von Euch schon Hassposts an Politiker*innen geschickt hat oder anderweitig gegen Personen des öffentlichen Lebens übergriffig geworden ist. Ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen. Aber Beleidigungen und Übergriffe in der Klasse bis hin zum Mobbing kommen auch an unserer Schule vor.

Und die vorhin beschriebene Ausrede gilt bei uns sowieso nicht: Wir sind nicht der Club der Zu-Kurz-Gekommenen. Wir haben hier in vielerlei Hinsicht beste Voraussetzungen, einen menschlichen Umgang miteinander zu pflegen. Ich begreife das als eine Verpflichtung. Wir müssen an unserem christlichen Profil immer wieder arbeiten. Und es steht uns auch gut an, dass wir uns auf den Weg machen, eine Schule ohne Rassismus und eine Schule mit Courage zu werden. Vielleicht gelingt es uns ja, einen gewaltfreien Umgang miteinander auch in die Gesellschaft zu tragen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld