„Kein Mensch tut etwas nur für andere.“ – Na und?

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S. Hofschlaeger / pixelio.de

Neulich meinte eine Bekannte zu mir: „Kein Mensch tut etwas nur für andere“. Und darin schwang so ein desillusionierter Unterton mit. So als wollte sie sagen, dass der Egoismus allgegenwärtig sei und es so etwas wie selbstloses Verhalten nicht gebe.

Um diesen Befund einzuordnen, habe ich mich gefragt, was „selbstloses Verhalten“ denn meint. Zunächst einmal geht es darum, dass ich etwas für andere Menschen tue, wovon ich mir selbst keinen Vorteil verspreche. Ich verschaffe mir dadurch keinen persönlichen Profit und sichere mir auch nicht auf unbestimmte Zeit eine Gegenleistung nach dem Motto: „Du bist mir was schuldig“. Gibt es ein solches Verhalten? Ja, ich glaube schon. Ich erlebe es immer wieder. Im Kollegium an unserer Schule zum Beispiel herrscht ein Geist der Hilfsbereitschaft. Gut – davon haben indirekt auch alle etwas. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass darauf spekuliert wird. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland trotz Corona so viel für Bedürftige gespendet wie nie.

Das stellt die Zweifelnden am „selbstlosen Verhalten“ aber noch nicht zufrieden. „Ja, aber die Menschen tun doch nur Gutes, um vor den Anderen gut dazustehen“, lautet ihr Einwand. Dass die Anerkennung durch Andere oft eine wichtige Motivation dafür darstellt, Gutes zu tun, trifft zu. Menschen sehnen sich nach Anerkennung. Ich für meinen Teil jedenfalls.

Wenn der Beifall von Dritten das einzige Motiv und das Interesse an den hilfsbedürftigen Mitmenschen nur vorgeschoben ist, dann ist das in der Tat schade. Dann werden gute Taten leicht schal – nicht zuletzt für die, die sie tun. Jesus kritisiert in der Bergpredigt solche beifallheischenden guten Werke. Stattdessen empfiehlt er, so Gutes zu tun, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut.

Andererseits gibt es aber auch den Spruch: „Tu Gutes und rede darüber“. Da geht es darum, andere dazu zu motivieren, ihrerseits Gutes zu tun. Eben auch dadurch, dass sie merken, dass gute Taten Anerkennung finden. Ich finde, Anerkennung darf ruhig ein Motiv sein, solange die Menschen, für die ich etwas tue, im Zentrum meines Interesses stehen. Oder um mit Immanuel Kant zu sprechen: Solange sie der Zweck meines Handelns bleiben und nicht zum Mittel meines Geltungsbedürfnisses werden.

Außerdem kommt es auch sehr oft vor, dass Menschen Gutes tun und das gerade nicht an die große Glocke hängen. Anonyme Spenden zum Beispiel. Oder ein erfahrener Kollege, der mich gefragt hat, ob wir nicht zusammen Aufgaben für das mündliche Abitur im vergangenen Sommer erarbeiten wollten. Er habe schon seit einiger Zeit kein Abitur mehr am allgemeinbildenden Gymnasium mehr geprüft und könne meine Hilfe gebrauchen. In Wahrheit war es natürlich umgekehrt: Ich hatte noch nie Abituraufgaben erstellt und war auf seine Hilfe angewiesen. Aber er ließ es so aussehen, als würde ich ihm einen Gefallen tun.

Doch selbst dazu fällt den Skeptikern am reinen guten Handeln noch ein Einwand ein. „Ja ok, dann machen die das halt, weil sie sich dadurch gut fühlen.“ Ja, das stimmt. Das lässt sich sogar messen. In einem bestimmten Areal des Gehirns, im limbischen System, werden Botenstoffe ausgeschüttet, wenn wir etwas tun, was unser Gehirn als gut bewertet. Dopamin und hirneigene Opioide, die dafür sorgen, dass wir uns gut fühlen. Unser Gehirn belohnt uns für gutes Verhalten.

Vor einer Reihe von Jahren gab es mal einen Hit, der hieß „Es ist geil, ein Arschloch zu sein.“ Ich halte das für einen Irrtum. Das eben Gesagte spricht für das Gegenteil: Es macht Freude, Gutes zu tun. Mir geht es jedenfalls besser damit, wenn ich in den Spiegel schauen kann und nicht denken muss „Was für ein mieser Charakter!“ Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder schon im Kleinkindalter Empathie zeigen.

Ist eine gute Tat nun dadurch weniger wertvoll, dass sie biologisch bedingt ist und das eigene Wohlbefinden fördert? Ich habe den Eindruck, dass eine solche Wertung auf einem Missverständnis beruht. Eine sauertöpfische, „protestantische“ Ethik, nach der nur das wirklich rein und gut ist, was keinen Spaß macht, entspricht nicht der biblischen Ethik. Das Nächstenliebegebot lautet nicht zufällig: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Jesus hat eine lebensfrohe Ethik verkündet. Selbstliebe und Solidarität schließen sich nicht aus, sondern sind in ein gesundes Verhältnis zu setzen. Insofern trifft die Einschätzung meiner Bekannten zu: Vollkommen selbstloses Handeln gibt es wohl nicht. Na und? Das ist auch gar nicht nötig. Gott erwartet von uns einen liebevollen Umgang – mit unseren Mitmenschen und mit uns selbst.

Arnold Glitsch-Hünnefeld