Kains Erbe – Update!

Mittwochsandacht_online und Filmbeitrag

Mit welcher Musik würdet Ihr den ersten Mord in der Menschheitsgeschichte vertonen? Vielleicht mit dem Eingangsstück, das Siegfried Schmidgall gerade gespielt hat, dem „Dies Irae“ von Mozart?

Es ist ein Teil seines Reqiems, also einer Totenmesse. „Dies irae – Tag des Zorns. Jener Tag löst die Welt in Glutasche auf. Welch ein Zittern wird sein, wenn der Richter gekommen sein wird, der alles streng prüfen wird.“ Gedacht ist in diesem Text an das Jüngste Gericht, wenn Christus alle Menschen mit ihren Taten konfrontieren wird. Furcht und Zittern, werden musikalisch ausgedrückt. Es ist eine dramatische – für die Ohren ihrer Zeit, der Wiener Klassik, geradezu gewalttätige – Musik.

Heute haben wir andere Hörgewohnheiten. Man muss wohl ein paar Schippen drauflegen, damit von gewalttätiger Musik die Rede sein kann. Die findet man bei der Band Arch Enemy zum Beispiel…

Mit welcher Musik würdet Ihr den ersten Mord in der Menschheitsgeschichte vertonen? Vielleicht mit dem Eingangsstück, das Siegfried Schmidgall gerade gespielt hat, dem „Dies Irae“ von Mozart?

„Dies Irae“ (W.A. Mozart)

Es ist ein Teil seines Reqiems, also einer Totenmesse. „Dies irae – Tag des Zorns. Jener Tag löst die Welt in Glutasche auf. Welch ein Zittern wird sein, wenn der Richter gekommen sein wird, der alles streng prüfen wird.“ Gedacht ist in diesem Text an das Jüngste Gericht, wenn Christus alle Menschen mit ihren Taten konfrontieren wird. Furcht und Zittern, werden musikalisch ausgedrückt. Es ist eine dramatische – für die Ohren ihrer Zeit, der Wiener Klassik, geradezu gewalttätige – Musik.

Heute haben wir andere Hörgewohnheiten. Man muss wohl ein paar Schippen drauflegen, damit von gewalttätiger Musik die Rede sein kann. Die findet man bei der Band Arch Enemy zum Beispiel. Ein Stück von ihnen nimmt im Text den Brudermord von Kain an Abel auf. „Blood on your hands“ heißt es. Die Eingangszeilen lauten: „You were born your brother’s keeper. Why can I see blood on your hands? You became your brothers slayer. Embrace again in death.“ Gott nimmt Kain ins Gebet. Hören wir mal rein, wie Arch Enemy das Thema umsetzen. „Blood On Your Hands“ (Arch Enemy)

„Ein Requiem für die zahllosen Toten“, etwas anders vertont als seinerzeit von Mozart. Die Musik drückt die ganze Brutalität der Weltgeschichte aus. Am Anfang steht der Bruder, der seinen Bruder nicht behütet, sondern ermordet. „The wages of sin.“ In der Geschichte von Kain und Abel wird zum ersten Mal in der Bibel der Begriff „Sünde“ gebraucht. Nicht etwa in der Geschichte vom sogenannten „Sündenfall“, ein Kapitel davor. Dort kommt es zwar zum ersten Vertrauensbruch zwischen den Menschen und Gott und damit zum Ursprung der Sünde. Aber erst hier zeigt die Sünde, die Trennung von Gott, ihre Wirkung. Gott warnt Kain noch vor dessen Tat: Kains voller Zorn gesenkter Blick, zeigt, dass die Sünde auf ihn lauert. „Du aber herrsche über sie.“ Doch Kain lässt sich von der Macht der Finsternis überwinden.

Erstaunlich, dass eine Band, die so gar nichts mit Glauben und Kirche am Hut hat, so treffsicher biblische Motive aufgreift. Das ist etwas weniger erstaunlich, wenn man weiß, dass Angela Gossow, Sängerin und Texterin dieses Stückes, aus dem ultrafrommen Wermelskirchen stammt. Dort hatte man in ihrer Jugend schlichtweg keine Chance, der Kirche und der Bibel zu entkommen.

Mit dem Einbrechen der Gewalt in die Geschichte, diesem mythischen ersten Mord nimmt das Unheil der Menschheitsgeschichte seinen Lauf. Hass gebiert Hass. Diese Erfahrung ließ sich schon in biblischer Zeit beobachten. In den zahllosen Kriegen und Schlächtereien, denen Israel und die anderen Völker des Nahen Ostens ausgesetzt waren.

Und dieser ewige Kreislauf des Hasses geht noch heute weiter. Vor wenigen Wochen hat die Hamas tausende von Raketen auf Israel abgefeuert. Und die israelische Armee hat im Gegenzug Ziele im Gazastreifen und im Westjordanland bombardiert und neben Raketenbasen viele Wohnhäuser zerstört und Menschen getötet. Hass gebiert Hass und die, die davon profitieren, reiben sich die Hände.

Die Spirale des Hasses dreht sich weiter. Der Hass aus dem Nahen Osten schwappt bis zu uns und verbindet sich mit dem Hass, der bei uns aus anderen Motiven gepflegt wird. Radikale Palästinenser skandieren auf deutschen Straßen „Scheiß-Juden!“ und Biodeutsche aus dem rechten Spektrum applaudieren ihnen – mehr oder weniger heimlich. Hass findet Hass. Und wer meint, ein judenfeindlicher Witz sei harmlos oder gar cool, macht sich zum Handlanger dieses Hasses und hat – um im Bild des Liedes zu bleiben – Blut an den Händen.

Der antisemitische Hass ist nur eines von vielen Beispielen. Man denke an die Kriegsgebiete in Syrien oder im Osten der Ukraine. Oder an den Hass, der in deutschen sozialen Medien Politikern jeder Couleur und auf deutschen Straßen Polizei und Rettungskräften entgegenschlägt. Die Liste ließe sich noch lang fortsetzen.

„Future’s eyes closing now; soul eclipse taking place. – Die Augen der Zukunft schließen sich; eine Seelenfinsternis bricht an.“ So geht das Stück von Arch Enemy weiter. Eine treffende Beschreibung dessen, was im Netz, auf den Straßen und in den Kriegs- und Krisengebieten der Welt passiert, so scheint es. Die Dunkelheit überwältigt die Menschheit. Kein Schimmer der Hoffnung kommt in dem Stück vor. Ok, das ist bei einer Death-Metal-Band nicht so überraschend.

Für ein klassisches Requiem gilt das nicht. Es endet mit dem „Lux aeterna“. „Das ewige Licht leuchte ihnen, o Herr. Bei deinen Heiligen in Ewigkeit, denn du bist liebevoll. Herr gib ihnen die ewige Ruhe. – Reqiuem aeternam.“

„Agnus Dei / Lux Aeterna“ (G. Fauré)

Am Ende steht nicht der strenge Richter, sondern die liebevolle Aufnahme bei Gott. Hoffnung wider allen Augenschein.

Das ist schon in der Geschichte von Kain und Abel so. Zunächst verkündet Gott dem Kain seine Strafe: Er muss fortan heimatlos über die Erde streifen. Kain fürchtet daraufhin, von den Menschen totgeschlagen zu werden. Gewalt gebiert Gewalt. Gott aber lässt nicht zu, dass das so zwangsläufig und uneingeschränkt geschieht. Nach seiner Strafpredigt, nach dem dies irae gewissermaßen, macht er Kain ein Zeichen auf die Stirn, das Kainsmal. Was im Volksmund heute nur noch ein Schandmal ist, ist ursprünglich ein Schutzmal. Dieses Mal ist ein Zeichen für die Menschen, denen Kain begegnen wird. Kein Mensch darf Kain etwas antun, will er es nicht mit Gott zu tun bekommen. Trotz seiner Schuld lässt Gott Kain nicht fallen. Kain muss mit seiner Schuld leben und zugleich darf er trotz seiner Schuld leben.

Der Kreislauf aus Hass, Gewalt und Schuld ist nicht unausweichlich. Gott schenkt in jedem Moment die Möglichkeit dazu, den Pfad des Hasses zu verlassen. Vergebung und Versöhnung zu wagen, so aussichtslos das scheinen mag. Und er schenkt Menschen, die nicht oder nicht so sehr in die Kreisläufe der Gewalt verstrickt sind, die Chance, Frieden einzuüben und liebevoll miteinander umzugehen. Menschen wie ich und wohl die meisten von Euch haben diese Chance und diese Aufgabe. Es liegt an uns, diesen Weg zu gehen. Gott begleitet uns dabei.

Amen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

(gehalten am 19.6.21 in der Melanchthonkirche Gaienhofen)

Ein Filmteam aus Karlsruhe war zu Gast bei uns und portraitierte Arnold Glitsch-Hünnefeld – in der Andacht,  im Unterricht und in seinem Umfeld – und führte Interviews mit Schülern und Mitarbeitern der Schule. Einige Eindrücke:

Ein Filmteam aus Karlsruhe war zu Gast bei uns und portraitierte Arnold Glitsch-Hünnefeld – in der Andacht, im Unterricht und in seinem Umfeld – und führte Interviews mit Schülern und Mitarbeitern der Schule.

Hier der link zum Filmbeitrag:

Eindrücke vom Drehtag: