„Jesus died for somebody’s sins …“

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Quelle: Jacques-Savoye / pixabay

„Jesus died for somebody’s sins but not mine …” Das ist die erste Zeile des ersten Albums von Patti Smith. Ein Statement. Und damals, 1975, noch eine echte Provokation. Mit diesem Album, „Horses“, wurde Patti Smith zu einer Vorläuferin und zugleich Ikone des Punkrock. Anti-Establishment. Und in den Augen vieler natürlich Anti-Kirche. Vielleicht war das aber gar nicht so sehr ihre Baustelle. In erster Linie wollte sie frei und Künstlerin sein. Davon zeugen ihre autobiografischen Bücher, die zugleich Zeitdokument und Poesie sind.

Die Frage, wie es sich mit Patti Smiths Glauben verhält, lässt sich nicht so eindeutig beantworten. Klassisch kirchenfromm ist sie sicher nicht. Aus der Enge der religiösen Gemeinschaft ihres Elternhauses brach sie als Jugendliche aus. Eine Atheistin ist sie allerdings auch nicht. An mehreren Stellen in ihrer Rückschau auf ihr Leben lässt sie anklingen, welche Bedeutung das Gebet für sie hat. Als junges Mädchen empfindet sie eine Liebe zum Gebet, schreibt sie.

Jahre später, als Robert Mapplethorpe, ihr bester Freund, im Endstadium seiner AIDS-Erkrankung ist, betet sie unablässig für ihn. „Nicht um sein Leben betete ich, das Schicksal konnte ihm niemand abnehmen, aber um die Kraft, das Unerträgliche zu ertragen.“ (Just Kids S.318)

Einige Tage nach Roberts Tod geht sie hinaus ans Meer. Sie schreibt: „Dort am Meer, in der Allgegenwart Gottes, beruhigte ich mich endlich. Ich stand da und schaute in den Himmel. Die Wolken hatten die Farben eines Gemäldes von Raphael. Einer blutenden Rose. Ich hatte das Gefühl, er selbst hätte sie gemalt. Du wist ihn sehen. Du wirst ihn erkennen. Du wirst seine Handschrift erkennen. Diese Sätze kamen mir in den Sinn und ich wusste, ich würde eines Tages den Himmel sehen, von Roberts Händen gemalt. (Just Kids S.321)

Zurück zu dem Eingangsstatement von „Horses“ und dessen Eingangsstück „Gloria“: „Jesus died for somebody’s sins but not mine.“ Rebellisch. Jugendliches Aufbegehren gegen die Vorschriften und Reglementierung der Leute. „People said beware, but I don’t care. Their words are just rules and regulations to me” heißt es wenige Zeilen weiter in dem Stück. Und Aufbegehren auch gegen eine Vereinnahmung durch eine bestimmte kirchliche Lehre „My sins, my own. They belong to me.“ Patti Smith steht zu ihren Fehlern. Kein Herausstehlen aus der Verantwortung. Keine vorschnelle Vergebung. Eine aufrechte Haltung.

Es geht Patti Smith nicht um eine einfache Ablehnung des Glaubens, sondern um die Ablehnung einer bestimmten Deutung des Todes Jesu. Am Rande eines Auftritts im Vatikan 2014 sagt sie über das Stück: „Ich bin nicht gegen Jesus, aber ich war 20 und wollte meine eigenen Fehler machen und nicht, dass irgendjemand für mich stirbt.“ Die Verantwortung für den Tod Jesu lehnt sie ab.

Verantwortlich für den Tod Jesu sind zunächst einmal die, die ihn ans Kreuz gebracht haben. Weil er unbequem war. Weil sie seine Gedanken fürchteten. Oder weil sie – wie Pilatus – zu bequem waren, zu ihrem persönlichen Urteil zu stehen und lieber dem Willen der Menge nachgaben.

Die Deutung von Jesu Sterben als Sühnetod für die Sünden der Menschheit kam erst später. Sie ist in der Bibel ausgedrückt. Aber auch innerhalb der Kirche teilen sie heute längst nicht mehr alle. Die Gründe für die Skepsis sind vielfältig. Teilweise ähneln sie der von Patti Smith in „Gloria“ ausgedrückten Haltung. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Zurückweisung eines biblischen Grundgedankens etwas nicht schnell geschieht und ob es sich nicht lohnen würde, differenzierter zu fragen, wie dieser Gedanke zu verstehen sein könnte. Aber das würde heute zu weit führen.

Es gibt jedenfalls noch weitere Deutungen des Todes Jesu. Und vielleicht finden sich darunter auch welche, die Patti Smith etwas zu sagen hätten. Im selben Interview 2014 im Vatikan sagt sie: „Ich stehe hinter diesem 20-jährigen Mädchen, aber ich habe mich weiterentwickelt.“ Das Ender der 80er Jahre und die frühen 90er waren eine Phase in ihrem Leben, in der sie sehr stark mit dem Tod konfrontiert war. Innerhalb weniger Jahre ist nicht nur Robert Mapplethorpe gestorben, sondern auch ihr Mann, Fred „Sonic“ Smith, ihr Bruder  Todd, Richard Sohl, der Keyboarder ihrer Band, und Kurt Cobain. Reflektiert ist ihre Auseinandersetzung mit Tod und Verlust in ihrem Album „Gone Again“.

Die Gegenwart Gottes im Sterben und im Tod. Das ist eine andere – für mich vielleicht die zentrale – Bedeutung des Todes Jesu. In Jesus Christus hat Gott den Tod am eigenen Leib erfahren. Wo immer Menschen leiden und sterben, teilt Gott in Jesus Christus ihr Schicksal. Kein Mensch ist bei ihm verloren oder vergessen. So ist es möglich, auch im Angesicht des Todes in seiner Allgegenwart Ruhe zu finden, so wie Smith es beschreibt.

Am Ende ihres Buches über ihre Freundschaft mit Robert Mapplethorpe steht ein Brief von ihr an Robert. Darin schreibt sie: “Lieber Robert! (…) Du hast mich aus der dunkelsten Zeit meines Lebens gerettet, als du mich in das heilige Mysterium des Künstlerseins eingeweiht hast. Durch dich habe ich sehen gelernt, und keine Zeile, die ich schreibe, und keine Linie, die ich zeichne, ist ohne das Wissen denkbar, das ich während unserer kostbaren gemeinsamen Zeit erworben habe. Dein Werk, das einer sprudelnden Quelle zu entspringen scheint, führt zurück bis zum nackten Lied deiner Jugend. Du hast damals davon gesprochen, Gott hielte deine Hand. Vergiss nie, Robert, egal, was geschieht, du hast diese Hand immer in deiner gehalten, halte sie fest und lass sie niemals los. (…) Patti“ (Just Kids, S.319)

Das Aufgehobensein in der Allgegenwart Gottes, der uns nahe ist im Leben und im Sterben, wünsche ich uns allen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

Zitate aus: Patti Smith, Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft, Frankfurt am Main, 2012

Patti Smith „Gloria“