„Ist es cool, Christ zu sein?“

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Ist es cool, Christ zu sein? 

 

„Vielleicht müssen wir unser Christsein ein bisschen mehr raushängen lassen und zeigen, dass es cool ist.“ Das hat Anna-Nicole Heinrich in einem Interview mit der Zeitschrift „Publik-Forum“ gesagt. 

Anna-Nicole Heinrich ist Präses der Synode der EKD. Die EKD-Synode ist gewissermaßen das Parlament der Evangelischen Kirche in Deutschland. Und als Präses leitet Anna-Nicole Heinrich dieses Gremium. Im Mai letzten Jahres wurde sie in dieses Amt gewählt. Mit 25 Jahren als jüngste Präses aller Zeiten. 

Sie stammt nicht aus einer christlichen Familie. Ihre Eltern zogen nach der Wende 1989 aus der DDR nach Bayern. Bei ihrer Einschulung musste Anna-Nicole sich entscheiden, welchen Religionsunterricht sie besuchen wollte, und wählte den evangelischen. Als sie in die 5te Klasse kam, fasste sie den Beschluss, sich taufen zu lassen. Sie wurde Teil der Gemeinde und der Kirche, wuchs in die kirchliche Jugendarbeit hinein, arbeitete in verschiedenen Jugendgremien der Kirche mit und wurde 2020 Mitglied der bayrischen Landessynode. Sie studiert Philosophie auf Master in Regensburg und arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft bei einer Theologieprofessorin. 

Hätte ich Anna-Nicole Heinrich als Jugendlicher cool gefunden? Vom Äußerlichen her eher nicht: Der Strickpullover, die Brille und vor allem dieses Täschchen, das sie auf nicht wenigen Pressefotos trägt. Mit einem Wort, dass es in meiner Jugend noch gar nicht gab: Ich hätte sie eher ein bisschen „nerdig“ gefunden, wenn ich Bilder von ihr gesehen hätte.  

Andererseits bin und war ich selbst nie ein Inbegriff der Coolness. Gegenwärtig stehen dem mindestens ein Rotkäppchenkorb und eine Klangschale entgegen. Und wahrscheinlich noch eine Menge mehr. Das wisst Ihr Schülerinnen und Schüler besser als ich. Dabei wäre ich – zumindest früher – so gerne cool gewesen. Aber gerade dieses Coolseinwollen ist eigentlich das Gegenteil von cool. Jedenfalls dann, wenn es dazu führt, sich von der Meinung der Anderen abhängig zu machen. Und erst recht, wenn Menschen sich deshalb den Moden und Gepflogenheiten der anderen anpassen.  

Der eigentliche Sinn von cool ist nicht, so zu sein wie alle anderen, sondern darauf zu pfeifen, was die anderen sagen. „Lass sie reden!“ ist eine coole Haltung. Das kann eine problematische Einstellung sein, wenn es zur Folge hat, sich nicht um andere Menschen und deren Bedürfnisse zu scheren. Wo Coolness den Verzicht auf Empathie bedeutet und zur Rücksichtslosigkeit wird, lehne ich sie ab. Im guten Sinne aber bedeutet Coolness die innere Freiheit, zu dem zu stehen, was mir wichtig, was mir gefällt, was mein ganz eigener Stil ist. 

Insofern finde ich Anna-Nicole Heinrich tatsächlich cool. Und das nicht in erster Linie wegen ihres eigenwilligen Kleidungsstils. Sondern, weil sie ihren ganz eigenen Weg geht. Obwohl es für sie gerade nicht selbstverständlich war, hat sie sich für’s Christsein entschieden. Als Grundschülerin in einem erzkatholischen Dorf für die evangelische Konfession. Als Studentin übernimmt sie mal so eben eines der höchsten Leitungsämter in der Evangelischen Kirche. Und auch inhaltlich lässt sie sich nicht von lauten Gegenmeinungen irritieren. 

Dass die EKD ein eigenes Schiff zur Seenotrettung von Flüchtlingen betreibt und das Bündnis „United for Rescue“ initiiert hat, hat bei manchen Menschen innerhalb der Kirche heftigen Protest ausgelöst. Heinrichs Kommentar dazu ist: „Man lässt keinen Menschen ertrinken, punkt.“ Hier verbinden sich innere Freiheit und Empathie zu Coolness im besten Sinne. Anna -Nicole Heinrich ist für mich ein Beispiel dafür, dass Christinnen und Christen tatsächlich cool sein können.  

Woher nehmen sie diese innere Freiheit? Ich bin überzeugt davon, dass das viel mit dem Glauben zu tun hat. Mit der Orientierung an Jesus Christus, der selbst ein schier unglaubliches Maß an innerer Freiheit hatte. Und mit dem tiefen Vertrauen, als Menschen angenommen zu sein: Von Gott und in der Folge auch von den Menschen, die ihre Mitmenschen mit dem liebevollen Blick Gottes ansehen. Christinnen und Christen sind angenommen – ob als EKD-Präses mit komischem Täschchen oder als Schulpfarrer mit Rotkäppchenkorb, ob als Schüler mit Designerklamotten oder Schülerin mit eigenwilligem Haarschnitt. Wer sich im tiefsten Inneren angenommen weiß, der braucht keine Bewunderung, sondern ist wahrhaft frei. 

Amen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld 

Bild: Anna-Nicole Heinrich (epd)