„Heimat, die ich meine …“

Mittwochsandacht_online

Das Thema „Rechtsextremismus“ schlägt nach wie vor Wellen an unserer Schule. Unter den Statements, die am vergangenen Mittwoch im Nachgang der Andacht verfasst wurden, ist ein nicht unerheblicher Anteil, der die AfD auf’s Korn nimmt. Damit – und auch damit, dass ich sie zunächst aufgehängt habe – waren nicht alle einverstanden. Tatsächlich kann man über diese Form der Auseinandersetzung streiten und dazu soll in den kommenden Tagen auch Gelegenheit sein. Mittlerweile hängen diese speziellen Plakate nicht mehr. Zu den Gründen dafür gab es eine Rundmail von Herrn Franke und mir.

Offenbar war der Unmut bei einigen aber so groß, dass sie sich bemüßigt fühlten, über einige der verbliebenen Plakate eine Art eigenes Statement zu pinnen. Auch über diese Form der Auseinandersetzung lässt sich streiten. Das kann in den geplanten Gesprächen im Klassenverband dann gleich mit thematisiert werden. Ich will speziell zu einer Botschaft Stellung nehmen, die sich auf zwei der angepinnten Zettel fand.

„Heimatliebe ist kein Verbrechen!“ Das stimmt. Warum diese Zettel allerdings auf Plakaten gelandet sind, die sich gegen Rassismus und gegen Hass wenden, frage ich mich schon. Darauf werde ich noch eingehen.

Zunächst einmal aber ein Bekenntnis: Ich bin ein heimatverbundener Mensch. Als ich 16 war, mussten meine Mutter und ich aus dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, ausziehen. Ich wollte unbedingt, dass wir wenigstens im selben Dorf bleiben. Auch das war nicht möglich. Aber immerhin sind wir nur innerhalb des Umlands von Freiburg umgezogen, so dass ich meinen Freundeskreis in Merzhausen behalten konnte. Und Stegen, der Ort, in den wir gezogen sind, war längst auch ein Stück Heimat für mich, denn dort bin ich seit der 5ten Klasse zur Schule gegangen.

Nach dem Abitur bin ich dann das erste Mal in eine ganz andere Stadt gezogen. Und dort habe ich eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht. Da ich als Zivildienstleistender umsonst mit der Bahn fahren konnte, bin ich an den Wochenenden recht häufig die 500km von Bielefeld nach Freiburg gefahren. Nach ein paar Monaten hatte ich bei der Rückfahrt nach Bethel das Gefühl: „Ich fahre nach Hause“. Heimat, das war nicht mehr nur Merzhausen oder Stegen, sondern inzwischen auch Bethel.

Inzwischen habe ich an einer ganzen Reihe von Orten gelebt. Und mit den meisten verbinde ich heimatliche Gefühle. Das gilt auch immer noch für Merzhausen. Als ich, nachdem ich jahrelang nicht dort gewesen war, das erste Mal mit meinen Töchtern dorthin gefahren bin und ihnen die eine oder andere vertraute Ecke gezeigt habe, ist mir das Herz aufgegangen.

Vertrautheit – damit hat Heimat für mich sehr viel zu tun. Ich bin da zu Hause, wo mir die Gegend vertraut ist. Die Wege. Wo ich mich, ohne nachzudenken, zurechtfinde. Wichtiger noch ist für mich, dass mir die Menschen vertraut sind. Dass ich weiß, wie sie ticken und wie sie mich nehmen. Dass ich bei ihnen angenommen und geborgen bin. Heute ist für mich auch unsere Schule ein Stück Heimat.

Heimat ist nicht etwas Statisches. Das habe ich gelernt, als Bethel für mich Heimat wurde. Heimat verändert sich. Das ist manchmal schmerzhaft. Wenn zum Beispiel in Merzhausen meine alte Grundschule nicht mehr steht, die für mich doch zum Ortsbild gehört hat. Aber Heimat kann ja nicht heißen, dass mein Herkunftsort zu einem Museum erstarrt. Auch bei den Menschen, die für mich Heimat sind, gibt es immer wieder Veränderungen. Einige gehen weg, andere kommen neu dazu. Mit manchen fremdele ich zu Beginn, und später verbindet mich vielleicht gerade mit ihnen eine ganz besondere Freundschaft.

Wie ist das nun mit dem Land, in dem ich lebe? Ich lebe gern in Deutschland. Ich bin hier zu Hause. Die Kultur, das Klima, die Sprache und vieles andere ist mir vertraut. Und ja, bei Welt- oder Europameisterschaften fiebere ich mit der deutschen Nationalmannschaft mit. Unter’m Jahr liegt mir allerdings der SC Freiburg mehr am Herzen.

Bin ich „stolz, ein Deutscher zu sein“? Eher nicht. Wie sollte ich stolz auf etwas sein, wofür ich gar nichts kann? Aber ich bin froh in einem Land zu leben, in dem Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herrschen. Ich würde mich als Verfassungspatrioten bezeichnen. Und wenn Deutschland sich in der Welt für Freiheit und Demokratie einsetzt, wenn Deutschland eine Willkommenskultur für geflüchtete Menschen an den Tag legt, dann bin ich sogar doch ein bisschen stolz auf die Deutschen.

Und damit komme ich auf die gepinnten Zettel auf den Plakatwänden zurück. Wenn mit dem Slogan „Heimatliebe ist kein Verbrechen!“ Botschaften gegen Hass und Rassismus überdeckt werden, dann liegt hier ein gründliches Missverständnis vor. Wahre Heimatliebe hat mit Hass und Rassismus nichts zu tun. Und Patriotismus ist nicht zu verwechseln mit Nationalismus. Nationalismus grenzt sich von anderen Nationen ab und hält die eigene für etwas Besseres. Patriotismus braucht keine Abgrenzung. Patrioten liegt das Wohl der Heimat am Herzen, aber nicht gegen Andere.

Der Prophet Jeremia schreibt in einem Brief an Menschen seines Volkes: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.“ (Jer 29,7). Das Provokante an dieser Aufforderung ist, dass die Adressaten in Babel im Exil lebten und mit der Stadt fremdelten. Jeremia forderte die Menschen nicht dazu auf, Jerusalem, ihre alte Heimat zu vergessen. Aber dort, wo sie für die nächsten Jahrzehnte sein würden, sollten sie Häuser bauen, Gärten pflanzen und Wurzeln schlagen. Auch Babel sollte ihnen eine – vorübergehende – Heimat werden. Und mit der Stadt ihre Einwohner.

Da, wo mich Gott hingestellt hat, will ich das Beste für Land und Menschen suchen. Und das heißt auch: Wenn ich das Beste für meine Heimat will, dann will ich bestimmt nicht, dass sich die Verbrechen der Nazizeit und der zweite Weltkrieg wiederholen, an deren Ende Deutschland in Trümmern lag. Sondern ich will, dass Deutschland im Verbund mit den anderen Völkern und mit den Menschen, die hier leben – woher immer sie auch stammen – an einer menschenwürdigen Zukunft arbeitet. Und ich vertraue darauf, dass da, wo wir in dieser Haltung miteinander umgehen, Gott seinen Teil dazu beiträgt, dass wir unsere Heimat finden und lieben können.

Arnold Glitsch-Hünnefeld