Ein Gloria für die Religionen der Welt
Musikalische Kooperation von Vokalensemble Gaienhofen, Kantorei der Evangelischen Schule Schloss Gaienhofen und Männerchor Singen
Musik überwindet Grenzen und vermag scheinbar Unvereinbares zu verbinden. Das gilt für den unvergesslichen Konzertabend am 10. November in der Singener Liebfrauenkirche in mehrfacher Hinsicht. Zur Aufführung gelangten das Requiem von Gabriel Fauré und das Gloria von Karl Jenkins sowie „Nimrod“ aus den Enigma-Variationen von Edward Elgar.
Der Singener Männerchor sowie die Kantorei waren der Initiative des Vokalensembles Gaienhofen und ihres gemeinsamen Dirigenten, Siegfried Schmidgall, gefolgt und hatten sich in einem Chor-Projekt zusammengefunden. Gemeinsam mit der groß besetzten Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz sowie den Solisten Julia Küsswetter (Sopran) und Armin Kolarczyk (Bariton) verliehen die rund 140 Sänger den vielfältigen Emotionen unserer deutschen Geschichte um den 9. November musikalischen Ausdruck. Wie sonst können Erinnerungen an eine Reichskristallnacht mit dem Jubel über den Mauerfall vereint werden?
Mit dem Requiem von Gabriel Fauré spürten die Konzertbesucher Anklänge an eine Welt, die uns zwischen Allerheiligen und Ewigkeitssonntag näher ist als sonst im Jahr. Fauré hat eine sanftmütige, friedvolle Vision geschaffen, die den Tod als Brücke zur Ewigkeit betrachtet und das Jüngste Gericht in den Hintergrund rückt. Das Vokalensemble verstand diese Bilder in beeindruckender Weise musikalisch umzusetzen.
So zeigte der Chor in stimmtechnisch anspruchsvollen pianissimo-Passagen eine nahezu reine Intonation. Zarte Klänge, von Licht und Hoffnung durchflutet, erfüllten die Kirche grade dann, wenn die Singstimmen nicht von Instrumenten gestützt waren, sondern über typisch romantischen Harmonieverläufen in weiten Bögen schwerelos zu schweben schienen. Nahtlos gelangen dynamische Übergänge, ebenso mühelos bewältigten Chor und Orchester rhythmisch anspruchsvolle und polyphone Passagen – eine überzeugende Interpretation unter der bewundernswerten Leistung des Dirigenten Siegfried Schmidgall.
Beide Solisten bereicherten mit ihren Partien den Konzertabend. Es gelang ihnen, den Zuhörer mit klangvoller Stimme in eine andere, harmonische Welt zu entführen und im tiefsten Inneren zu erreichen. Gefühlvoll berührte die Hörer die ausdrucksstarke Stimme von Armin Kolarczyk mit den Fürbitten und der Bitte um Erlösung in den Sätzen „Hostias“ und „Libera me“. Julia Küsswetter gestaltete mit himmlischer Leichtigkeit die Bitte um ewige Ruhe im „Pie Jesu“.
Wie geschaffen für den „Brückenschlag“ zwischen Trauergesang und himmlischem Jubel war das Orchesterwerk „Nimrod“, eine der Enigma-Variationen, die Edward Elgar einem Freund widmete und an den in Tanach, Bibel und Koran erwähnten König und Helden Nimrod erinnert. Die Südwestdeutsche Philharmonie brillierte auch hier in allen Registern und bewirkte bei so manchem Zuhörer Gänsehaut.
Für das Gloria von Karl Jenkins erweiterten sich die Reihen des Vokalensembles um die Sänger der Kantorei und des Männerchores Singen; und nicht nur optisch fügten sich die beiden Kooperationschöre nahtlos in das Vokalensemble ein. „Es wirkt wie aus einem Guss – für die kurze Zeit, die zusammen geprobt wurde, ist es bemerkenswert, wie auch die Schüler in dem Gesamtgefüge ihren Platz gefunden haben. Die jüngsten Sänger haben erst im September mit den intensiven Proben begonnen und das wirklich nicht einfache Werk toll gemeistert,“ berichtet ein Chorsänger. Und auch die Besetzung im Orchester wurde für Jenkins‘ Musik dichter.
Das Werk, das schon allein wegen der Vielzahl an Instrumenten selten aufgeführt wird, verlangt einen Chor, der Bläsern und großem Schlagwerk entgegentreten kann. Und das tat er! Mit kraftvollen Klängen und einer beachtlichen rhythmischen Sicherheit bewältigten die Sänger die grenzüberschreitende Musik, die mit ihren sanften Stellen als Reminiszenz an Fauré anmutete, aber auch bis an die akustischen Grenzen des Kirchenraumes anschwellen konnte.
Verbunden mit Klängen heutiger Filmmusik, klassischem Chorgesang und großen sinfonisch-romantischen Elementen entstanden aus urzeitlichen Harmonien, pochenden Trommelrhythmen und deklamatorischem 4-8stimmigem Chorgesang mitreißende Melodien. Die kompositorische Konzeption von Jenkins verbindet den jüdischen Psalm „Tehellim“, mit dem lateinischen Gloria-Text. Kurze Abschnitte aus dem Koran, aus heiligen Schriften des Hinduismus, Buddhismus sowie des Taoismus setzen Zäsuren, die, vorgetragen in den Landessprachen von Studenten der ETH Zürich und Menschen syrischer Abstammung aus Radolfzell, die Zuhörer auf ihre Art in den Bann zogen.
Kurzzeitig schienen religiöse Differenzen und existentielle Grenzen aufgehoben.
Der Gedanke, dass sich das Göttliche nicht in Worte fassen lässt, zieht sich durch alle Religionen. Jenkins beweist, dass es mit Musik möglich ist, die von Menschen gezogenen Grenzen zu überwinden – und sei es nur für diesen einen Abend. Damit erhielt die Botschaft des Abends mit der interreligiösen Bitte um Frieden – „ET IN TERRA PAX“ – eine neue Dimension.
M. Bischofberger / D. Fischer