„Gaienhofen goes global“

Die Indienfahrer berichten 

Hitze, Hupen, Menschenmengen – neue Gerüche, unbekannte Stimmen… Die ersten Eindrücke von Indien sind etwas überwältigend für manche, doch der Empfang, den uns unsere Austauschpartner nach einer langen und anstrengenden Anreise bereiten, ist sehr herzlich und signalisiert uns sofort, „hier sind wir willkommen, hier können wir uns wohlfühlen“. 

Wir, das sind neun Schüler*innen der Jahrgangsstufe 1, zwei Lehrer und der Schulleiter aus Schloss Gaienhofen, die am 16. Oktober 2018 das Mayo College in Ajmer erreichten, eine mittelgroße Stadt von einer halben Million Einwohner im nordwestlich gelegenen Bundesstaat Rajasthan. Das Mayo College ist eine Internatsschule mit einer langen und besonderen Tradition.

Den Grundstein legten 1875 die damaligen britischen Kolonialherren Indiens. Ihr Ziel war nichts Geringeres, als ein „Eton of the East“ zu schaffen; eine Eliteschule, die junge indische Prinzen nach dem Vorbild der angesehensten englischen Privatschulen erziehen und den Briten anglophone Kollaborateure zur Verwaltung ihres Reiches auf dem Subkontinent geben sollte. Was als koloniales Projekt begann, ist heute eine der führenden Privatschulen Indiens mit einzigartiger britischer Tradition sowie einer stark ausgeprägten eigenen indischen Identität.

Unterteilt in eine Jungen- und eine Mädchenschule umfasst sie rund 1600 Schüler*innen, die später oft Führungspositionen im boomenden Wirtschaftssektor Indiens anstreben. Obwohl die Schüler*innen aus allen Teilen des Landes stammen und oft mit sehr unterschiedlichen Muttersprachen aufgewachsen sind, vereint sie an dieser Schule das Englische als offizielle Unterrichts- und Verkehrssprache.  

Bereits zum zweiten Mal machten sich Schüler von Schloss Gaienhofen auf den Weg nach Indien, um dort mehr über das Land, den Unterrichts- und Lebensalltag ihrer Austauschpartner zu lernen. Am Mayo College und der zugehörigen Mayo College Girls’ School (MCGS) besuchten die Gaienhofener Schüler Unterricht in den Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie im Fach Kunst, wo sie schnell lernten, mit neuen Unterrichtspraktiken umzugehen und ihren fachspezifischen Wortschatz auf die Probe zu stellen und zu erweitern.

Während der täglichen School Assemblies, wo auch unsere Gaienhofener Delegation mit allen Ehren empfangen wurde, zeigte sich, wie bestimmte britische Internatsformalitäten noch heute am Mayo College lebendig sind, dem Schulalltag Struktur und einen Gemeinschaftssinn verleihen. 

Dass aber nicht nur die akademische Ausbildung oder gewisse Formalitäten einen hohen Stellenwert am Mayo College einnehmen, wurde unseren Schüler spätestens bei der Teilnahme an den zahlreichen extra-curricularen Aktivitäten klar: Golfen mit einem professionellen Trainer, Reiten unter Anleitung eines Kavallerie-Hauptmanns, Klettern mit den lokalen Juniorenmeistern und vielem mehr (Bogenschießen, Yoga, etc.) zeigten die Wichtigkeit auf, die dem Sport am College zukommt.  

Auch der Sprachenerwerb wird großgeschrieben. Während unseres Aufenthaltes am Mayo College konnten wir an einem ganz besonderen kulturellen Festival teilnehmen, das die Muttersprache unseres Nachbarlandes Frankreich (und vieler anderer frankophoner Länder) feierte. Anlässlich des Concours de la Francophonie fand sich sogar der französische Botschafter Indiens als Ehrengast am Mayo College ein, der nicht nur die Gaienhofener Schüler*innen persönlich in fließendem Deutsch begrüßte, sondern den jungen Menschen am College eine wichtige Botschaft aus Europa überbrachte:

„Wir [Europa] sind ein offener und liberaler Kontinent, der Menschen aus aller Welt willkommen heißt und zur Gestaltung einer gemeinsamen, friedlichen Zukunft einlädt.“ „Der Fremdsprachenerwerb – des Französischen, aber auch des Deutschen“, so der Botschafter, „sei hierbei ein wichtiger Schritt in Richtung gegenseitigen Verstehens und gegenseitiger Wertschätzung.“ 

Ganz im Sinne einer solchen Botschaft hatten die Gaienhofener Schüler viel Gelegenheit in den Wohnheimen des College gemeinsam mit ihren Austauschpartner Erfahrungen auszutauschen und Dinge zu entdecken, die Teenager sowohl in Deutschland als auch in Indien beschäftigen. Ein Wochenendausflug ins nahegelegene Pushkar, einer historisch bedeutsamen Karawanenstadt im wüstenähnlichen Rajasthan, bot dann eine ganz besondere Gelegenheit, Indien außerhalb der behüteten College-Mauern zu erkunden.

Mit ihren indischen Austauschpartner besuchten die Gaienhofener Indiens einzigen Brahma-Tempel und durchstöberten gemeinsam den nahe des Pushkar-Sees gelegenen Markt der Stadt, wo viel Zeit zum Handeln, Einkaufen und Fotografieren sowie zum Probieren lokaler Köstlichkeiten blieb. Eine „Kamelsafari“ in die Ausläufer der Wüste Thar sowie der Besuch eines „Adventure Parks“ außerhalb Pushkars ließ das Wochenende wie im Flug vergehen, bevor es wieder zurück zum College für eine neue Unterrichtswoche ging. 

Dass aber auch in Indien nicht nur im regulären Unterricht gelernt wird, konnten die Gaienhofener bei einem Besuch der Meenu Mano Vikas School in Ajmer lernen. Diese Sonderschule, die vom Mayo College adoptiert wurde, bietet den Mayo-Schüler die Möglichkeit, sich auch sozial zu engagieren. Der Besuch des „Barefoot College“ im Tilonia-Dorf außerhalb von Ajmer zeigte den Gaienhofenern wiederrum eine ganz andere Facette des Landes – Indien nicht als Empfängerland von „Entwicklungshilfe“, sondern als „Facilitator“ in der Entwicklungszusammenarbeit. So führte uns diese gemeinnützige NGO in die vielseitigen Methoden ein, mit denen Formen nachhaltiger Landwirtschaft, die nachhaltige Herstellung erschwinglicher Hygieneprodukte oder solartechnisches Know-how an Frauen aus  Dörfern ohne Elektrizität aus aller Welt vermitteltet werden. 

Es durfte jedoch auch ein weiterer wichtiger Aspekt des indischen Alltags nicht fehlen: die Religion(en). Dies konnten die Gaienhofener in besonderer Weise am hinduistischen Dussehra-Fest erfahren, an dem im Norden Indiens der Sieg der Gottheit Rama über den Dämonen Ravana mit der Verbrennung riesiger Bildnisse des 10-köpfigen Ravana, die zudem mit Feuerwerkskörpern gespickt sind, begangen wird. Auch auf dem Campus des Mayo College wurden, mit großer Freude und lauten Explosionen, mehrere solcher Bildnisse verbrannt. Dass es in den Religionen Indiens auch ganz leise und besonnen zugehen kann, lernten wir beim Besuch zweier Jain Tempel in Ajmer, die uns von einem Lehrer des Mayo College, der selbst Anhänger des Jainismus ist, näher gebracht wurden. 

Mit einem großen Unterhaltungsabend, an dem die Gaienhofener Delegation ein kleines Theaterstück zu ihren ersten Eindrücken und Erfahrungen in Indien aufführten, gefolgt von einem offiziellen Abendessen im Garten der Residenz des Direktors des Mayo College, ging schließlich unsere Zeit an der Schule zu Ende. Mit vielen Geschenken der Austauschpartner und Lehrer im Gepäck machten wir uns schließlich nach 10 Tagen am College auf den Weg, noch andere Teile Nord-Indiens zu erkunden.  

Mit dem Express-Zug fuhren wir von Ajmer nach Agra im benachbarten Bundesstaat Uttar Pradesh. Diese heute fast 2 Millionen Einwohner zählende Stadt war früher eine wichtige Etappe auf der antiken Seidenstraße und war während ihrer Blütezeit im 16. und 17. Jahrhundert sogar Hauptstadt des mächtigen Mogulreiches. Bei Touristen ist sie v.a. wegen ihrer Sehenswürdigkeiten bekannt, darunter des Taj Mahal, ein riesiges aus weißem Marmor gefertigtes Mausoleum, und das aus rotem Sandstein bestehende Agra Fort.

Wie auf unzählige Indientouristen machten diese beiden Orte auch besonderen Eindruck auf unsere Gruppe, sowohl aufgrund ihrer architektonischen Schönheit als auch aufgrund der Besuchermassen. Ein weiterer Höhepunkt auf unserer Tour nach Uttar Pradesh war der Besuch einer weiteren alten Hauptstadt, Fatehpur Sikri, wo noch einmal das multi-ethnische Zusammenleben im islamisch regierten Mogulreich besonders ins Auge fiel. 

Die letzte Etappe auf unserer Indienreise war Jaipur, die „rosarote Stadt“ Indiens und Hauptstadt Rajasthans mit über 3 Millionen Einwohnern. Das Amer Fort mit seinen enormen Festungsanlagen, das Jantar Mantar mit seinen mehrstöckigen astronomischen Instrumenten oder der Stadtpalast mit seiner opulenten Einrichtung ließen keinen Zweifel an der historischen Bedeutung Jaipurs als Dreh- und Angelpunkt im „Land der Könige“ aufkommen. Welchen Stellenwert noch heute die Mitglieder ehemaliger königlicher Familien einnehmen, wurde wohl spätestens an der überschwänglichen Freude einer der indischen Austauschpartnerinnen deutlich, als deren Freundschaftsanfrage auf Facebook vom Maharaja von Jaipur angenommen wurde. 

Bereits gewöhnt an allerlei frühmorgendliche Aktivitäten, bestiegen wir an unserem letzten Tag in Indien gemeinsam mit zwei indischen Eltern, deren Sohn bereits letztes Jahr am Austausch mit Gaienhofen teilgenommen hatte, Galta Ji, einen Tempelberg am Rande Jaipurs. Von alten Festungsruinen aus konnten wir sowohl einen hervorragenden Ausblick auf die Stadt genießen als auch einer besinnlichen Morgenzeremonie beiwohnen, die von einem auf dem Berg wohnenden Ehepaar zu Ehren Shivas begangen wurde. 

Mit einer Vielzahl an Eindrücken und dem Wunsch baldmöglichst wieder zurückzukehren, stiegen wir am 28. Oktober ins Flugzeug nach Hause. Was bleibt sind viele schöne Erinnerungen an zwei unvergessliche Wochen sowie die Vorfreude darauf, die indischen Austauschpartner*innen im Frühjahr 2019 bei ihrem Gegenbesuch in Gaienhofen begrüßen zu dürfen. Was uns zu Anfang noch fremd und unbekannt erschien, ist uns nun viel näher gerückt, verständlicher geworden und sogar ans Herz gewachsen. Ein Wiedersehen mit den indischen Schüler und Lehrer wird nach diesem Austausch kein Zusammentreffen von flüchtigen Bekanntschaften mehr sein, sondern ein Wiedersehen mit wahren Freunden. (D. Schumacher) 

Die Schüleraustauschbegegnung wurde (u.a.) aus Mitteln der Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) des Auswärtigen Amts gefördert und durch den Pädagogischen Austauschdienst (PAD) des Sekretariats der Kultusministerkonferenz unterstützt. 

Wir danken zudem der Werner und Erika Messmer-Stiftung aus Radolfzell sowie dem Freundes- und Förderkreis Schloss Gaienhofen für deren großzügige Unterstützung unseres Austauschprogramms mit Indien.