Freiheit und Selbstverantwortung

Auftaktgottesdienst zur Präventionswoche

Freiheit und Selbstverantwortung oder „Ihr seid Gottes Tempel“

„Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Das ist kein merkwürdiges Kompliment von mir, sondern das schreibt der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth. In dem zugehörigen Abschnitt geht es um die Verantwortung der Apostel für die Mitglieder der noch jungen Gemeinde. Sie sind für diese im Glauben noch heranwachsenden Menschen vor Gott verantwortlich. In ähnlicher Weise tragen wir Lehrerinnen und Lehrer Verantwortung für unsere Schüler*innen.

Drei Kapitel weiter im 1. Korintherbrief greift Paulus das Bild noch einmal auf. Diesmal in etwas abgewandelter Form. „Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes, der in Euch wohnt.“ Hier geht es um den Körper. Eine frühe Form von Körperkult, Selbstoptimierung oder wie die Schlagworte alle heißen? Mitnichten. Es geht weder um äußere Schönheit. Jeder Körper ist Gottes Tempel – unabhängig davon. ob er aktuellen Schönheitsnormen entspricht oder nicht. Wer entscheidet eigentlich, was „schön“ ist? Und es geht auch nicht um Selbstoptimierung und Leistungsdruck. Diesem Gedanken stellt sich Paulus immer wieder entgegen. Nein, es geht um einen verantwortlichen Umgang mit dem eigenen Körper. Speziell um Fragen der Ernährung und der Sexualität. Beides auch Themen der Präventionswoche.

„Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich“ schreibt Paulus zu Beginn des Abschnitts. „Freiheit und Selbstverantwortung“ könnte man den Abschnitt überschreiben. Beim Thema Essen geht es Paulus konkret um die jüdischen Speisegesetze. Diese gelten nach seiner Überzeugung für Christen nicht. Trotzdem sollen sich die Korinther überlegen, ob es in jeder Hinsicht angebracht ist, nicht-koscheres Fleisch zu essen, auch wenn man damit zum Beispiel seine Gäste in Gewissensnöte bringt. Auch wenn die Speisegesetze nicht mehr gelten, soll Fleisch mit Sinn und Verstand genossen werden.

„Nichts soll Macht haben über mich.“ Eine Sucht hat Macht über Menschen. Die Sucht zu viel zu essen, wie die Sucht zu hungern oder die Sucht nach diversen Rauschmitteln. Freiheit heißt, sich keiner solchen Macht zu unterwerfen.

„Alles ist mir erlaubt.“ Freiheit vom Gesetz ist ein großes Thema bei Paulus. Der Mensch wird nicht durch Werke des Gesetzes gerechtfertigt. Das war für Martin Luther die zentrale Erkenntnis aus den Schriften des Paulus. Aber Paulus verwirft das Gesetz keineswegs. Das „Gesetz Christi“, im Kern das Gebot, Gott und seinen Nächsten zu lieben, bleibt für ihn in Kraft.

Bei den anderen Gesetzen geht es ihm um die Unterscheidung von Buchstabe und Geist. Halte ich das Gesetz strikt ein, weil es da so steht – ohne Sinn und Verstand? Wenn da zum Beispiel steht: „Homosexualität ist Gott ein Gräuel“ ist diese damit auf Zeit und Ewigkeit ausgeschlossen? Oder kann es sein, dass die biblischen Autoren meinten, Homosexualität sei ein widernatürliches Verhalten, weil sie es nicht besser wussten? Eine ganze Reihe von Geboten aus der Hebräischen Bibel befolgen wir längst nicht mehr wörtlich – weder Christen noch Juden. Die Opfergesetze zum Beispiel. Und Sklaverei, die in der Bibel noch selbstverständlich vorausgesetzt wird, ist in unserer Zivilisation längst nicht mehr akzeptabel. Paulus geht es in unserem Abschnitt des ersten Korintherbriefes um eine verantwortlich gelebte Sexualität. Und die gibt es in unserer Gesellschaft auch zwischen gleichgeschlechtlichen Partner*innen.

Paulus wendet sich mit seinem Brief an erwachsene Gemeindemitglieder. Die Unterscheidung von Buchstabe und Geist setzt ein ausgeprägtes moralisches Bewusstsein voraus. Ihr seid keine Kinder mehr. Ihr habt durchaus einen Begriff davon, was gut und richtig ist, und was nicht. Aber trotzdem ist dieses Euer Bewusstsein noch im Wachsen. Deshalb gelten für Jugendliche besondere Gesetze. Ist der Jugendschutz eine willkürliche Beschneidung Eurer Freiheit? „Das sei ferne!“ um mit Paulus‘ Worten zu antworten. Der Jugendschutz nimmt letztlich den Gedanken des Paulus auf, dass Ihr Gottes Tempel seid und deshalb geschützt werden müsst – notfalls vor Euch selbst.

Da Ihr aber andererseits keine kleinen Kinder mehr seid, sondern durchaus schon in der Lage ein Stück Verantwortung für Euch selbst zu übernehmen, seid auch Ihr gefragt, Euch zu überlegen, was Euch zum Guten dient und Euch entsprechend zu verhalten. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Nicht selten scheitern auch Erwachsene daran und tun Dinge, die ihnen massiv schaden. Eben weil das nicht leicht ist, deshalb bekommt ihr in dieser Woche Tipps, wie Ihr gut auf Euch achten könnt. Und Ihr bekommt Gelegenheiten, das einzuüben. Nochmal: Es geht nicht um eine willkürliche Einschränkung Eurer Freiheit, sondern um die Wertschätzung Eurer Persönlichkeiten.

Ihr seid nach Gottes Ebenbild geschaffen. Ihr seid wenig niedriger als Gott. Das haben wir im Psalm gebetet. Oder eben: Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes. Das heißt doch: Ihr seid unendlich wertvoll. In Euch will Gottes Geist sichtbar werden und unter den Menschen wirken. Achtet auf Euch. Jede und jeder für sich. Und achtet auch aufeinander. Auch das ist ein Gedanke, den Paulus immer wieder aufgreift. Die Verantwortung der Gemeinschaft für ihre einzelnen Mitglieder. So erfüllt Ihr das Gebot der Nächstenliebe, also das Gesetz Christi. Deshalb: Nehmt die Angebote der Präventionswoche mit Freude an. Habt Spaß bei der Sache. Und schätzt Euch selbst so wert, wie Gott es tut. Ihr seid Gottes Tempel und der Heilige Geist wohnt in Euch.

(Ansprache zum Auftakt der Präventionswoche, 25.09.2023)

Arnold Glitsch-Hünnefeld