Es lebe der Zentralfriedhof

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Die erste Mittwochsandacht im November. Mit dem Oktober ist in den Herbstferien auch der Spätsommer endgültig zu Ende gegangen. Auch wenn die Sonne sich immer mal wieder durchsetzt, ist es gefühlt doch überwiegend kühl, windig und nass. Der November ist vielleicht der am meisten graue Monat im Jahr. Nicht von ungefähr hat in dieser Zeit auch das Totengedenken seinen besonderen Ort. Für die Katholiken mit Allerheiligen am 1. November; für die Protestanten mit dem Totensonntag am Ende des Monats.

Dabei ist die Beschäftigung mit dem Tod nicht zwangsläufig grau und trübe. Anfang Oktober war ich fünf Tage auf einer Konferenz in Wien. Als Souvenir habe ich mir ein T-Shirt vom Zentralfriedhof mitgebracht: „… und irgendwann bleib‘ i dann durt …“. Es ist schon ungewöhnlich, dass ein Friedhof seinen eigenen Merchandise-Shop hat. Aber der Wiener Zentralfriedhof ist eben ein Touristenmagnet.

Riesengroß ist er. Drei Straßenbahnhaltestellen fährt man an ihm entlang. Berühmte Persönlichkeiten haben außergewöhnliche Gräber bekommen: Falco oder Udo Jürgens zum Beispiel. Und manches ist auch eher kurios. Die Besitzer eines speziellen Grabes sind noch gar nicht verstorben, aber ihren Grabstein zieren nicht nur gleich drei Portraits von ihnen, sondern außerdem ihr Mercedes.

Das T-Shirt ist ein Beispiel für den speziellen schwarzen Humor der Wiener und zugleich Ausdruck ihres besonderen Verhältnisses zu ihrem Friedhof. Wolfgang Ambros hat ihm seinerzeit sogar ein Ständchen zum 100sten Geburtstag gewidmet: „Es lebe der Zentralfriedhof“. Neben dem morbiden Witz vermittelt Ambros auch die Botschaft, dass im Angesicht des Todes die Unterschiede zwischen Menschen nicht mehr ins Gewicht fallen: „De Pfarrer tanz’n mit de Hurn und Judn mit Araber.“

Leider können das nicht alle Menschen akzeptieren. In der Nacht auf Allerheiligen wurde auf den jüdischen Teil des Zentralfriedhofs ein Anschlag verübt. Die Zeremonienhalle wurde in Brand gesteckt und es wurden antisemitische Parolen geschmiert. Die antisemitischen Auswüchse dieser Tage – ob in Österreich, in Deutschland oder anderswo auf der Welt – sind bedrückend und beschämend. Für die Wiener Lebensart ist solch geifernder Hass ganz untypisch. Da gilt vielmehr „leben und leben lassen“. Schön wäre es, wenn diese menschenfreundliche Haltung im Miteinander der Menschen weiter verbreitet wäre. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Wiener laut Umfragen die zufriedensten Menschen der Welt sind.

Der spezielle Wiener Umgang mit dem Tod zeichnet sich nicht nur durch Gelassenheit, sondern fast schon durch einen gewissen Fatalismus aus: „Eh scho wuascht“ steht über einer dem Friedhof benachbarten Würstchenbude.

Ist dieser schwarzhumorige Umgang mit dem Tod in Ordnung? Wird er dem Ernst des Themas gerecht? Werden da nicht die Trauernden verhöhnt? Ich denke nicht. Wiener haben auch eine besondere Ader für die Trauer. Wolfgang Amadeus Mozart, der vielleicht berühmteste Komponist der Wiener Klassik und durchaus für seinen derben Humor bekannt, hat ein stilprägendes Requiem von tiefer Trauer komponiert. Der Humor ist ein Weg, dem Tod und der Trauer die Schwere zu nehmen. In der christlichen Kirchengeschichte gibt es die Tradition des Osterlachens. Manche Pfarrer erzählten in ihren Osterpredigten einen Witz, um es der Gemeinde zu entlocken. Für den christlichen Glauben hat der Tod nicht das letzte Wort. Jenseits des Todes steht Gott und nimmt uns in Empfang. In einem modernen Osterlied heißt es: „An Ostern, o Tod, war das Weltgericht. Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht. Wir lachen dich an, du bedrohst uns nicht.“

Etwas anders verhält es sich für meinen Geschmack mit dem Fatalismus: „Eh scho wuascht“. Ein Grinsen entlockt mir auch dieser Spruch. Zugleich denke ich, dass Gelassenheit angesichts des Todes das Leben trotzdem wertschätzen kann und soll. In meiner Gemeinde in Britzingen gab es einen alten Herrn, der mit 100 Jahren alt und lebenssatt verstorben ist. Er hat viel erlebt im Leben, war bis zuletzt geistig voll präsent und hat sein Leben noch im hohen Alter genossen. Das Grab für sich und seine Frau hatte er schon Jahre vorher gekauft, weil ihm der Bürgermeister das als kluge Investition empfohlen hatte. Gelegentlich, wenn das Wetter schön war, nahm der alte Herr einen Klappstuhl, setzte sich an seinem Grab in die Sonne und dachte sich: „Hier werde ich irgendwann liegen“. Oder eben im Wiener Dialekt: „… und irgendwann bleib‘ i dann durt …“. Diese Gelassenheit, das Leben zu lieben und den Tod als einen Teil des Lebens zu begreifen, wünsche ich uns allen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

Ambros: „Es lebe der Zentralfriedhof“ (mit Text)