„Ehrenleute“

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Seit 2008 wird regelmäßig ein „Jugendwort des Jahres“ gekürt. Das ist mal mehr, mal weniger überzeugend. Manchmal hat man den Eindruck, dass den Erwachsenen in der Jury einfach eine Wortschöpfung besonders gut gefallen hat, die von Jugendlichen aber kaum gebraucht wird. Manches „Jugendwort des Jahres“ höre ich aber tatsächlich immer mal wieder aus dem Mund von Schülerinnen und Schülern.

Das Jugendwort des Jahres 2018 gehört dazu. Es lautet „Ehrenmann“. Und das ebenfalls bei Jugendlichen gebräuchliche Gegenteil heißt – grammatikalisch nicht ganz korrekt – „ehrenlos“.

Ich finde das erstaunlich. „Ehrenmann“ ist ein altes, wenn nicht gar etwas altertümliches Wort. Je nachdem, wie es gebraucht wird, kann es eine ganz schön angestaubte Einstellung bezeichnen. Wenn Menschen z.B. „ehrpusselig“ sind und größten Wert darauf legen, dass sie immer mit ihrem Doktortitel angesprochen werden. Oder wenn Menschen sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen, wenn sie mal auf den Arm genommen werden. Diese Vorstellung von Ehre geht mit einer gewissen Humorlosigkeit einher. Schlimm wird es, wenn Menschen um ihrer „Ehre“ willen über Leichen gehen. Dazu gehören sogenannte „Ehrenmorde“. Dazu gehört auch, wenn ein Staatsführer in die Geschichtsbücher eingehen will und dafür einen Angriffskrieg vom Zaun bricht. Das ist keinesfalls ehrenhaft, sondern erbärmlich.

Nach meiner Wahrnehmung geht es bei dem Gebrauch von „Ehrenmann“ oder „ehrenlos“ durch Jugendliche um etwas anderes. In einer Fünfminutenpause habe ich zum Beispiel aufgeschnappt, wie ein Schüler zu einem anderen gemeint hat: „Du bist so ehrenlos!“ Was war passiert? Der andere hatte gespoilert. Er hatte den letzten James Bond Film gesehen, der damals ziemlich frisch in den Kinos war, und mal eben den Schluss hinausposaunt. Ich fand das auch ehrenlos, weil ich den Film erst ein paar Tage später angeschaut habe.

Ein „Ehrenmann“ – oder eine „Ehrenfrau“ – ist demnach jemand, der Rücksicht auf die Bedürfnisse seiner Mitmenschen nimmt. In dem Fall darauf, dass der andere die Spannung des Films genießen möchte, ohne den Schluss zu kennen. Ich muss sagen, dass mir diese Verwendung des Begriffs „Ehrenmann“ sehr gut gefällt.

So verstanden hat der Begriff zwei Seiten: Er beschreibt erstens eine Haltung bzw. ein Verhalten und zugleich ein Beziehungsgeschehen. Ich verhalte mich ehrenhaft gegenüber meinen Mitmenschen. Ich nehme wahr, wie ich ihnen etwas Gutes tun kann, und setze das dann um. Im Gegenzug wird zweitens dieses ehrenhafte Verhalten anerkannt. Mir wird Ehre für meine Haltung gegeben. Ehre hat also viel mit der der Wahrnehmung und Wertschätzung von anderen Menschen zu tun.

Insofern ist es absolut ehrenlos, wenn man sich auf Kosten anderer an einer schwachsinnigen Tiktok-Challenge beteiligt. Wenn z.B. Schultoiletten verdreckt oder verwüstet werden oder Feuerlöscher abgeschraubt und entwendet. Das ist ehrenlos in beiden Bedeutungen des Wortes. Es ist ehrenlos, weil es von mangelndem Respekt sich selbst gegenüber zeugt. Sich unter ein bestimmtes Niveau zu begeben, weil man auf Beifall aus den sozialen Netzwerken hofft, ist armselig. Vor allem aber zeugt so ein Verhalten von mangelndem Respekt und fehlender Wertschätzung denen gegenüber, die den Dreck oder die Schäden beseitigen müssen.

Und das sind Ehrenleute, denen viel zu selten Ehre zuteilwird. Die Mitarbeiterinnen unseres Reinigungsteams und die Hausmeister. Sie leisten sie engagierte Arbeit dafür, dass wir uns auf dem Schulcampus wohlfühlen können. Zusammen mit den anderen Mitarbeitenden: Dem Küchenteam, den Sekretärinnen, den Mitarbeitenden in der Verwaltung und den FSJlerinnen und FSJlern. Sie alle wirken daran mit, dass unsere Schule ein guter Lebensort ist. Sie tun uns Gutes, sind also für uns Ehrenleute und haben unsere Wertschätzung verdient.

Die Quelle dafür, dass Menschen Ehre zukommt, finde ich bei Gott. In Psalm 8 spricht der Psalmbeter zu Gott: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ Was heißt das, dass Gott uns mit Ehre gekrönt hat? Ich deute es so, dass er uns mit den nötigen Gaben geschaffen hat: Zum Beispiel mit Vernunft und Verstand ebenso wie mit Empathie und Wertschätzung. Wertvolle Eigenschaften, um selbst eine ehrenhafte Haltung einzunehmen und anderen Menschen Ehre zu geben.

Und falls jetzt jemand Sorge hat, dass das alles für ein Jugendwort ein bisschen langweilig sei, der sei daran erinnert, dass wir es eben nicht mit dem humorlosen Begriff von Ehre zu tun haben. Ehrenleute sind nicht immer bierernst. Sie können Unsinn machen und lachen – auch und gerade über sich selbst. Das ist vielleicht die besondere Kunst, die in dem jugendlichen Sprachgebrauch mitschwingt: Ehre und Leichtigkeit miteinander zu verbinden. Möge uns das immer wieder gelingen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld