„Digital Detox“

Mittwochsandacht_online

Steffen Drescher / pixelio.de

„Das brauche ich nicht“ ist das Titelthema der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Publik Forum. Es geht um das „Glück des Verzichts“. „Wie bitte?“, mag man sich fragen. „Glück“ und „Verzicht“ sind das nicht unvereinbare Gegensätze? Die Einschränkungen, die die gestiegenen Lebenshaltungskosten mit sich bringen, werden die wenigsten als beglückend empfinden. Und der mit Blick auf den Klimawandel notwendige Verzicht ruft manche eher kindische Trotzreaktion hervor. „Fck you Greta!“-Aufkleber auf übermotorisierten Automobilen zum Beispiel. Verzicht ist unsexy, so scheint es.

Warum entscheiden sich Menschen trotzdem bewusst zum Verzicht? Nur aufgrund äußerer Notwendigkeiten? Und nur widerwillig und unter innerem Protest? John von Düffel kommt zu einer anderen Erkenntnis. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Das Wenige und das Wesentliche“ und im aktuellen Publik Forum findet sich ein ausführliches – und ausgesprochen lesenswertes – Interview mit ihm. Er sagt: „Wer [bei der Askese] nur im Modus des Martyriums und des Leidens ist, macht etwas falsch.“ Für ihn geht es beim Verzicht um die Konzentration auf das Wesentliche.

Das ist auch ein Kerngedanke der kirchlichen Fastenzeiten, wobei v. Düffel seine Gedanken bewusst und ausdrücklich nicht religiös begründet. Er grenzt sich davon ab, dass Religionen den Verzicht auch in bevormundender Weise und als Instrument der Unterdrückung eingesetzt haben. Allerdings zeigt ein Blick in die Bibel, dass sowohl im Alten (Jes 58,5) als auch im Neuen Testament (Mt 6,16) ein Fasten im Gestus des Martyriums abgelehnt wird.

Verzicht als Konzentration auf das Wesentliche kann tatsächlich eine beglückende Erfahrung sein. Wenn ich erkenne, wovon ich nicht abhängig sein will und auch nicht abhängig bin. Wenn ich mir Freiräume schaffe, in denen ich nicht beherrscht werde von dem, was ich habe oder was ich haben will. Wenn ich der sein kann, der ich sein will. Der Philosoph Erich Fromm unterscheidet zwischen dem Haben und dem Sein und stellt fest, dass das Haben dem Sein oft im Weg steht. Wenn Verzicht mir dabei hilft, ein freier Mensch zu sein, finde ich das ganz und gar nicht unsexy.

Von Jesus erzählen die Evangelien, dass er sich immer wieder von dem Trubel um seine Person zurückgezogen und die Stille gesucht hat. Von Zeit zu Zeit wollte er nicht für die Menschen erreichbar sein. Im Gebet konzentrierte er sich ganz auf das Wesentliche seines Lebens – auf Gott. Wenn Verzicht der Konzentration auf das Wesentliche dienen soll, dann bietet es sich vermutlich an, vor allem auf Dinge zu verzichten, die die Konzentration stören.

Zu den Dingen, die in der Gegenwart die Konzentration stören, gehören nicht zuletzt die digitalen Medien und die mit ihnen verbundene ständige Erreichbarkeit. Untersuchungen haben ergeben, dass schon die bloße Anwesenheit eines Smartphones die Aufmerksamkeit ablenkt. Ein Teil der Aufmerksamkeit richtet sich darauf, ob es sich vielleicht gleich melden wird oder was man damit tun könnte anstelle von dem, was man gerade tut. Auch von Düffel berichtet, dass ihm seine Studierenden erzählt hätten, wie sehr der digitale Konsum sie überfordere und erschöpfe. Viele würden aus freien Stücken eine Zeit lang auf Social Media verzichten wollen und dies digitale Askese nennen. Und auch Schülerinnen und Schüler von mir geben in anonymen Umfragen an, dass sie mehr Zeit mit den digitalen Medien verbringen, als sie selbst für gesund halten.

Die Dauerpräsenz der digitalen Medien hat offenbar eine toxische Wirkung. Und das Bedürfnis trotzdem ständig nach ihnen zu greifen trägt Züge einer Sucht. Ab und zu wäre eine Art Entgiftung von den digitalen Medien – ein „digital detox“ – wohl gesundheitsförderlich. Dazu gibt es konkrete und ganz pfiffige Vorschläge. Zum Beispiel eine „Real-Life-Challenge“, in der in einem Wettspiel verschiedene Herausforderungen zu bewältigen sind. Da so ein Experiment mehr Erfolgschancen hat, wenn man es gemeinsam durchführt und sich dabei gegenseitig anfeuern kann, haben wir in der letzten Lehrerkonferenz den Vorschlag eingebracht, die Passionszeit für ein „Digitalfasten“ zu nutzen. Vielleicht haben Eure Klassenlehrkräfte mit Euch schon darüber gesprochen. Wenn nicht, könnt Ihr sie ja mal fragen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um einen Totalverzicht auf digitale Medien. Das iPad ist ein Arbeitsgerät an unserer Schule und bleibt das auch während der Fastenzeit. Es geht vielmehr um die Frage: Welche Funktionen meines iPads, meines Smartphones etc. sind wirklich wesentlich und welche lenken mich vom Wesentlichen ab und fressen in erster Linie Zeit? Ich verzichte zum Beispiel aktuell auf Handyspiele.

Manchmal geht es auch weniger um die richtige App als um das richtige Maß. Mein Smartphone ist für mich eine wichtige Informationsquelle. Aber öfter als dreimal am Tag in die Nachrichten zu schauen, tut mir nicht gut – vor allem wenn diese von Krieg und anderen schrecklichen Ereignissen beherrscht werden. Auf das „doom watching“, das ich in den ersten Tagen des Ukrainekrieges betrieben habe, verzichte ich seither. Es geht mir besser damit.

Eine Frage, die Lust auf den „digital detox“ machen kann, ist: Was möchte ich schon lange gerne tun und finde nicht die Zeit dafür – unter anderem, weil ich zu viel Zeit mit dem Smartphone verdaddele? Anders gesagt: Was gewinne ich an Lebensqualität, wenn ich auf einen Teil meines digitalen Konsums verzichte? Von Düffel drückt das so aus: „Das Großartige des Verzichts ist, dass man verzichtet, ohne zu verzichten. Es geht darum, wegzulassen, was nicht fehlt.“

Herauszufinden, was uns nicht fehlen würde, darauf verzichten zu können und so das Wesentliche zu finden und Freiräume zu gewinnen, das wünsche ich uns allen in dieser Fastenzeit.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

Links zum digital detox:

Das Interview mit J. v. Düffel findet sich in Publik Forum 4/2023 S.12-17 (und ist online ohne ein Digital-Abo leider nicht verfügbar).