Aus dem Vollen schöpfen

Mittwochsandacht_online

Am Sonntag haben wir in der Melanchthonkirche Erntedank gefeiert. Es war ein reich besuchter Gottesdienst – auch weil die neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden sich an der Gestaltung beteiligt haben und weil eine Taufe gefeiert wurde. Es war eine Freude, diesen Gottesdienst zu feiern. Und dazu haben auch die in diesem Jahr besonders reichen Erntegaben beigetragen, die vor dem Altar aufgebaut waren.

Von der Fülle spricht auch Jesus in einem Wort aus dem Lukasevangelium: „Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“ (Lk 6,38)

In diesem Jahr waren die Ernteerträge – jedenfalls bei Obst und Getreide – allerdings eher mäßig. Manche Erzeuger müssen herbe Einbußen verkraften. Und doch war da vor dem Altar eine Fülle, die einem das Herz aufgehen ließ. Eigentlich erstaunlich. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass wir auch in Jahren wie diesem noch reich beschenkt sind. Und als Verbraucher, der beim Einkauf nicht auf jeden Cent schauen muss, möchte ich gerne meinen Beitrag dazu leisten, dass die Einbußen der Erzeuger verkraftbar bleiben.

Die Fülle vor dem Altar ist in diesem Jahr vielen kleinen Spenden und einer großen Spende eines größeren Erzeugers aus der Region zu verdanken. Weil die Verantwortlichen des Betriebs wussten, dass die Erzeugnisse dem Kinderhaus der Diakonie in Radolfzell zu Gute kommen, waren sie zu dieser Spende bereit. Das zeigt, dass das Wort Jesu auch in umgekehrter Richtung zutrifft: „Gebt, weil euch gegeben ist.“ Die geschenkte Fülle lässt das Herz überfließen und andere an der Fülle teilhaben.

Die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich Gedanken gemacht, was das Erntedankfest für sie bedeutet. „Bewusst werden, wie gut es einem geht“ war eine ihrer Antworten. Und so haben sie zusammengetragen, wofür sie dankbar sind: „Familie, Freunde, Wasser, Pflanzen, Tiere, Essen, Freude.“ Dankbar sind sie sogar dafür, dass sie in die Schule gehen dürfen. Ihre Aufzählung ist eine Ernte im übertragenen Sinn.

Auch mir tut es gut, mir immer mal wieder vor Augen zu führen, mit welcher Fülle ich beschenkt bin. Das Erntedankfest ist in diesem Jahr auf den dritten Oktober gefallen, den Tag der deutschen Einheit. Und trotz allem, was noch im Argen liegt, wurde doch auch deutlich, wie viel erreicht wurde und welches Geschenk es ist, dass wir nicht mehr in zwei – durch eine Mauer und eine scharf bewachte Grenze getrennten – Staaten leben. Ich bin froh und dankbar, in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat zu leben. Die Kanzlerin hat daran erinnert, dass das nicht selbstverständlich ist und wir immer wieder dafür arbeiten müssen. Auch dazu kann Erntedank dienen.

Eine Fülle bot das Wochenende auch im Blick auf die Feste. Am Sonntag wurde im Gottesdienst eben nicht nur Erntedank, sondern auch noch eine Taufe gefeiert. Und tags zuvor, am Samstag, haben wir in der Petruskirche eine Trauung gefeiert. Viele fröhliche und von Dank erfüllte Menschen sind zusammengekommen. Ihre Freude war ansteckend. Und auch diese Fülle erfüllt mich mit Dank: Dank für die Täuflinge, die Teil unserer Kirche werden und unsere Gemeinschaft bereichern. Dank für die Konfirmandinnen und Konfirmanden, die ihre Ideen und Gedanken in die Gemeinde einbringen. Dank auch für die frisch Konfirmierten, die am Sonntag im Gottesdienst waren.

Dankbar bin ich nicht zuletzt für die vielen Menschen, mit denen ich es im Alltag zu tun habe. Für meine Kolleginnen und Kollegen und für Euch Schülerinnen und Schüler. Es ist ein Privileg mit so vielen besonderen Menschen arbeiten zu dürfen. Dankbar bin ich dafür, dass wir eine SV haben, die sich für diese Schule engagiert. Im Anschluss an diese Andacht stehen die Wahlen zur SV an. Ich hoffe, dass Ihr eine große Auswahl habt. Dass ihr bei der Wahl aus dem Vollen schöpfen könnt.

Auch daran erinnert Erntedank. An die Fülle der Begegnungen. An das Zusammenleben und Zusammenwirken von vielen ganz verschiedenen Menschen. Daran, dass Gott uns all das schenkt, dass wir daran teilhaben und mitwirken dürfen. Eben daran, dass wir aus dem Vollen schöpfen können.

Amen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld